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Ein geheimnisvoller Brief
Die englische Psychoanalytikerin Jane Campbell, Jahrgang 1942, debütierte vor zwei Jahren spät mit den Erzählungen "Kleine Kratzer" und legt nun ihren ersten Roman vor. Dieser kreist um drei Figuren im (Spät-)Herbst ihres Lebens: den Theologen Malcolm, seine ebenfalls im akademischen Milieu tätige Nichte Agnes und den Therapeuten Joe. Als Agnes’ Eltern Sophy und Kurt 1946 tödlich verunglücken, hält Malcolm einen Brief seiner Schwester in Händen, den er Joe übergeben soll ― einen Brief, der suggeriert, dass Joe, mit dem Sophy während einer Bombennacht geschlafen hat, Agnes’ leiblicher Vater ist. Malcolm hält den Brief zurück, fünfzig Jahre, und als das Geheimnis gelüftet ist, verändert sich in diesem lebensklugen, brillanten Roman alles.
Chronistin des Zeigeists
Die Irin Sally Rooney, Jahrgang 1991, gilt als Zeitdiagnostikerin, zuständig für Menschen in ihren Zwanzigern und Dreißigern. Für Menschen, die keinen festen Platz im Leben finden und in Liebesverwicklungen geraten. In "Intermezzo" stehen zwei Brüder im Zentrum: der Anwalt Peter, der zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen ist, und sein Bruder Ivan, ein einstiges Schachwunderkind mit Zahnspange, der erst zum Leben erwacht, als er die Mittdreißigerin Margaret trifft. Rooney gelingt es auch in diesem Roman, von Zeitgeistgefühlen, Verunsicherungen und Verlustängsten beiläufig zu erzählen – und von einer Liebe, die nicht sein darf.
Jane Campbell: Bei aller Liebe. Übers.: Bettina Abarbanell. Kjona. 224 Seiten, 24 Euro.
Sally Rooney: Intermezzo. Übers.: Zoë Beck. Claassen. 496 Seiten, 24 Euro.