Obdachlose Jugendliche
Hört uns zu!
Mit 15 lebte Lärry Be. als Punkerin auf der Straße. Jugendliche Obdachlose gelten als "Systemsprenger". Heute ist sie erwachsen und setzt sich bei der ­Initiative "Momo: The Voice of Disconnected Youth" für Straßenkinder ein
Die junge Frau Lärry Be mit ihrem Hund Alibi, der taub ist.
Ehrenamtlich ist sie Hundetrainerin tätig: Lärry Be. mit Alibi
Miguel Ferraz
Tim Wegner
Aktualisiert am 13.08.2024
2Min

Es war kalt unter der Kennedybrücke in Hamburg, als Lärry Be. zum ersten Mal auf der Straße schlief. 15 Jahre war sie alt, wollte weg von der Mutter, die mit der rebellischen Tochter überfordert war; weg von den Schwestern, mit denen sie sich stritt; weg von der Schule, die sie nervte.

Schon öfter war sie nachts nicht nach Haus gekommen. Doch diesmal war es anders: "Ronny stopfte seine beiden Hunde mit in meinen Schlafsack, ein anderer Junge gab mir eine Decke. Ich fühlte mich geborgen."

18 Monate schlief Lärry Be., die eigentlich anders heißt, auf der Straße, dann war die Straße ihr Lebensmittelpunkt. Neun junge Punks, fünf Hunde. An den Alltag gewöhnte sie sich "erstaunlich schnell". Eine Gruppe schnorrte Geld für Hundefutter; eine für Alkohol und Drogen; eine fürs Essen. Als ihre Mutter einmal zum Hamburger Hauptbahnhof kam und sie anflehte, nach Haus zu kommen, sagte Lärry Be.: "Ich hab hier eine neue Familie."

Ehrenamt: Wandern mit Obdachlosen

Aber das Leben als obdachlose Jugendliche ist häufig unerträglich. Ängste, Alkohol, Drogen, dadurch finanzieller Druck. Zwar gibt es staatliche und privat finanzierte Ausstiegshilfen, doch dafür bräuchte es Vertrauen – das diese jungen Menschen früh verloren haben – in die Erwachsenenwelt.

Straßenkinder werden oft auch als "System­sprenger" bezeichnet. Sie fallen durch das eigentlich eng gestrickte Netz, weil es selten individuelle Angebote gibt. Eine Übernachtung in einer offiziellen Schutz­station geht nur ohne den beschützenden Hund? No way, berichtet Lärry Be. von ihren Erfahrungen: "Wir brauchen keine Er-, sondern eine Beziehung." Viele schaffen den Absprung nicht, so wie Ronny. Er war drogenabhängig und hat sich erhängt. Lärry Be. tat nach einem "miesen" Trip den lebensrettenden Anruf bei der Schwester, es gab die Eltern, die sich kümmerten.

Heute ist Lärry Be eine erwachsene Frau und aktiv bei der ­Initiative "Momo: The Voice of Disconnected Youth". ­Momo – nach dem gleichnamigen Buch von Michael Ende. Schätzungen gehen davon aus, dass aktuell gut 30 000 von der Gesellschaft "entkoppelte" Jugendliche auf deutschen Straßen leben, darunter etwa 7000 Minderjährige. Dass sie in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, wollen die gut 30 bei Momo Engagierten ändern. Einige von ihnen, so auch Lärry Be., werden unterstützt von Sozialeinrichtungen, Behörden oder Vereinen; andere bekommen kein Geld und sind auf Spenden angewiesen.

Mittlerweile gibt es die Momos in drei Städten: In Hamburg, in Essen und in Berlin. Einmal im Jahr ­organisiert Momo eine Straßenkinderkonferenz, an der auch Vertreter*innen aus Politik und Verwaltung teil­nehmen. Dort werden Strategien für offene Jugendhotels und Notschlafstellen entwickelt und Möglichkeiten für eine medizinische Grundversorgung. Lärry Be. sagt: "Ihr könnt uns nicht länger übersehen, nur weil ihr nicht wahrhaben wollt, dass es uns gibt."

Eine erste Version des Textes erschien am 10. Januar 2023.

Spendeninfo

Es braucht Spenden für Unterkunft und ­Logistik – für die Bundeskonferenz 2023. Eine der Momo unterstützenden Organisa­tionen ist ­basis & woge e. V.

Spendenkonto:

IBAN: DE63 2005 0550 1230 123216

BIC: HASPDEHHXXX

Hamburger Sparkasse

Verwendungszweck: chrismon/Straßenkinder

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