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Sie sind Schauspieler und hatten ein festes Engagement am Stadttheater. Wieso haben sie diese Sicherheit aufgegeben?
Als junger, idealistischer Schauspieler wollte ich nicht wie meine Kolleginnen und Kollegen in die frustrierten Gespräche in der Kantine einstimmen, weil angeblich nur jede siebte Rolle eine ist, die ich gerne spiele. Mir gingen damals zwei Fragen nicht aus dem Kopf: "Was spielen wir hier eigentlich?" "Und für wen?" Mir war der Großteil des Theaterbetriebs zu abgehoben, hatte zu wenig mit dem Leben der Menschen zu tun, die wir ansprechen wollten – und in der Konsequenz kamen immer die gleichen, ein kleiner Teil des Bildungsbürgertums.
Was machen sie mit dem "Traumschüff" anders?
Unser Theater ist auf Begegnung ausgelegt. Kommunikation, Gespräche, Gemeinschaft erleben ist mindestens so wichtig wie das Stück selber. Wir sitzen abends bis in die Nacht mit den Leuten zusammen, bei uns gibt es etwas zu essen und zu trinken. Wir bleiben immer eine Woche am gleichen Ort, gehen wir in Läden und in Kindergärten und machen etwas mit Bibliotheken oder Schulen. Sogar die Proben sind öffentlich und werden dadurch auch durch die Zuschauenden beeinflusst.
Ihre Stücke sind selbstgeschrieben. Wie kommen sie auf die Ideen?
Wir recherchieren die nebenbei während der Sommertour in den brandenburgischen Havelorten, die wir besuchen. Am Ende des Sommers haben wir dann Ideen für fünf bis sechs neue Stücke. Wir spielen nicht zum 100. Mal eine neue Version von einem Shakespeare-Stück, sondern eben etwas, das direkt etwas mit den Leuten hier zu tun hat. Die Recherchephasen sind sehr intensiv. Meine Frau Nikola, die viele der Stücke geschrieben hat, war ursprünglich Journalistin.
David Schellenschmidt
Was für Stücke sind auf diese Art entstanden?
Unser vielleicht wichtigstes Stück war "Treue Hände". Es handelt von der Treuhand und einem kurz nach der Wende geschlossenen Kaltwalzwerk in Oranienburg. Leute sind nach der Vorstellung zu mir gekommen und haben gesagt: "Danke, du hast meine Geschichte erzählt." Wir haben auch ein Stück "Hinter den Fenstern", in dem es um fehlende medizinische Versorgung wie z.B. die Krankenhausschließung in Havelberg geht. "Bibergeil" dreht sich darum, wie Naturschutzgesetze mit der Lebensrealität vor Ort kollidieren, und zeigt auch einen Generationenkonflikt. Die Protagonisten sind ein konventioneller Landwirt und seine Tochter, die Klimaaktivistin wird.
Ist es frustrierend, dass sie mit dem Schiff und den Themen immer in der Region bleiben und das, was hier an der Strukturschwäche und dem demografischen Wandel für Frust sorgt, gar nicht dort ankommt, wo Entscheidungen getroffen werden?
Wir sind ja kein politisches Instrument und wollen keines sein. Ich denke, wir schaffen ein Angebot zur Kommunikation, eine Möglichkeit, sich zu vernetzen, eine gemeinsame Sprache zu finden, Zusammenhalt herzustellen, Zugehörigkeit … Aber gerade mit "Treue Hände" würde ich gerne mal in den Westen gehen. Da werden drei spannende Ostbiografien exemplarisch gezeigt. Die auch mal woanders zu würdigen, das wäre großartig.
Zeigt sich in den Gesprächen, die sie führen, auch die Polarisierung der Gesellschaft, der Rechtsruck?
Letztes Jahr haben wir das Stück "Die Bürgermeisterschaft" gespielt, in dem es um die Kommunalpolitik geht, darum, wie hart der Job ist, wie groß die Anfeindungen. Dafür haben wir ein Video gedreht, in dem wir Leute befragen, warum sie wählen gehen. Eine Frau sagt: "Um der AfD etwas entgegenzusetzen." Da hat es zwei, drei Leute gegeben, die sich darüber aufgeregt haben, allerdings nicht im Nachgespräch, sondern am Bratwurststand nebenan. Und in der Saison hatten wir insgesamt 1900 Zuschauende. In den Gesprächen mit uns ist die AfD oder Kulturkampfthemen, wie meinetwegen Gendern oder Zuwanderung, gar nicht so präsent. Die Leute wollen über das sprechen, was sie jeden Tag direkt betrifft. Und ich glaube, dadurch erfahren sie Wertschätzung, das Gefühl, zu zählen.
An manche Orte kommen sie in diesem Jahr zum neunten Mal. Haben die Leute schon das Gefühl: "Das ist unser Theater"?
Ja, definitiv. Und auch für uns fühlt es sich jedes Jahr wieder an wie nach Hause kommen. Manche rufen an und fragen, ob wir schon wissen, wann wir da sein werden. Wann, nicht ob. Die Logistik vor Ort organisieren Vereine aus den jeweiligen Orten für uns. Das freut uns total, denn wir hatten schon ein bisschen die Sorge, dass wir als "die komischen Städter" wahrgenommen werden. Anfangs gab es Skepsis, mittlerweile erleben wir überall offene Arme.
Haben Sie ein Beispiel?
Es gab einen Wassersportverein, dessen Vorsitzende sehr skeptisch waren. Als wir zum ersten Mal angefragt haben, ob wir dort eine Woche liegen können, hatten sie total viele Bedenken. Ob wir die Klos am Ende leeren würden und solche Sachen. Dieses Jahr haben sie angefragt, ob wir nicht noch ein bisschen länger bleiben können. Die sind insgesamt viel offener geworden, haben nun sogar selber Gelder bei der Stadt beantragt, um ein Kulturfest zu organisieren.
Wohnen sie in der Region?
Ja, mittlerweile sind Nikola und ich mit unseren Kindern nach Oranienburg gezogen. Die Recherche zu "Treue Hände", dem Stück über das geschlossene Walzwerk, hat uns sehr mit der Stadt verbunden. Für die Menschen war das eine unverarbeitete Geschichte, eine Art kollektives Trauma. Unser Stück hat dazu beigetragen, das aufzuarbeiten, und auch dadurch fühlen wir uns mit dem Ort sehr verbunden. Unser Traumschüff-Büro liegt in dem ehemaligen Walzwerk, über das das Stück geht.
Wie funktioniert die Tour organisatorisch?
Dieses Jahr spielen wir an elf Orten, viele wirklich kleine Orte, die bestimmt nur wenig Menschen kennen, zum Beispiel Strodehne, Premnitz, Rathenow oder Brieselang.
Passen alle, die mitmachen, auf das Schiff?
Das Schiff ist ein 12 Meter langes und 4,5 Meter breites Katamaran-Floß. Man kann so mit fünf Leuten ganz gut auf dem Schiff wohnen. Das ist auch wunderschön: Die Havel an sich ist eine herrliche Landschaft, das Tuckern durch den Fluss, das Spielen im Sonnenuntergang, morgens aufwachen und erstmal baden gehen. Einige reisen auch an Land hinterher. Und die Crew wechselt auch, wir sind ja fast drei Monate unterwegs.
Ist ihre Finanzierung gesichert?
Als wir starteten, war alles unsicher. Wir haben ein Crowdfunding organisiert und mussten viel improvisieren. Wir waren damals zwar überzeugt von der Idee, aber konnten natürlich nicht sicher sein, dass es langfristig funktioniert. Wir dachten: "Wir schauen mal, wie weit wir kommen." Und das hat uns ganz schön weit getragen. Allerdings würde es ohne Fördergelder gar nicht gehen. Das Land Brandenburg unterstützt uns mit dem Ankerpunkte-Förderprogramm sehr großzügig. Wir sind darauf angewiesen, dass das weiterläuft, und das hat natürlich auch mit Wahlen zu tun. Wir hoffen das Beste.
Letzte Frage: Wieso eigentlich "Traumschüff"?
Hier in der Region sagt man nicht Schiff, sondern "Schüff". Und zugleich steckt darin ja auch eine Spielerei, ein Augenzwinkern. Wir machen keine Hochkultur, nehmen uns nicht ganz so ernst, sondern wollen zugänglich sein, nahbar, locker. Das spiegelt sich auch im Namen