Lachender Buddha, Vinh Trang Tempel in My Tho im Mekong Delta, Vietnam
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Religiöse Vielfalt
Verstehen, nicht urteilen
Heinrich Hackmann war eine faszinierende Persönlichkeit. Er reiste vor über 100 Jahren nach Fernost, erforschte asiatische Religionen und begründete damit die moderne Buddhismus-Forschung
(Berlin) 11.02.16; Dr. Johann Hinrich Claussen, Portraet, Portrait; Kulturbeauftragter des Rates der EKD, Leiter des EKD-Kulturbueros, evangelischer Theologe Foto: Andreas Schoelzel/EKD-Kultur. Nutzung durch und fuer EKD honorarfreiAndreas Schoelzel
07.02.2025
4Min

Wer Abstand zum Getöse der Gegenwart, zu all dem lauten politischen Unheil finden möchte und einen Ort sucht, an dem man zur Ruhe kommen und zugleich Inspirationen empfangen kann, sollte eines der ethnologischen Museen besuchen. So war ich am vergangenen Samstag im Leipziger Grassi-Museum.

Allein ging ich durch die Räume. Nur Wärter folgten mir auf leisen Sohlen, in höflichem Abstand. Ein seltsamer Kontrast ist das zwischen den aufgewühlten Debatten um Kolonialismus und Rückgabeforderungen einerseits und dem offensichtlichen Besucher-Desinteresse andererseits. Denn auch in anderen Museen, die sich schwerpunktmäßig mit unserem kolonialen Erbe beschäftigen, erlebte ich ähnliches: ein leeres Haus.

Wie wird der Kolonialismus aufgearbeitet? Eine chrismon-Themensammlung

Woran das liegt? Im Grassi-Museum kann man sehen, wie verunsichert die kuratorischen Teams zu sein scheinen, wie sie sich bemühen, kolonialistische Altlasten loszuwerden und rassistische Perspektiven zu brechen. Manchmal wirkt das doch allzu bemüht, vielleicht braucht man einfach mehr Zeit und Erfahrungen.

Beeindruckt hat mich – wie auch in anderen ethnologischen Sammlungen – die buddhistische Kunst aus China, Japan und anderen Ländern Ostasiens. Hinreißende Buddhas und Bodhisattvas, in makelloser Schönheit, beneidenswert in ihrer Entspanntheit und überweltlichen Ruhe. So tief in wahrhafter Besinnung versunken wäre ich auch gern einmal. Zugleich muss ich gestehen, dass ich diese religiöse Kunst nicht verstehe. So eröffnet sie mir zwar einen weiten Horizont des Menschenmöglichen in aller Vielgestaltigkeit, bleibt mir aber im Letzten fremd. Wir sind eine Menschheit und doch so unterschiedlich.

Da erinnerte ich mich an die Klage einer geschätzten Kollegin. Ihr war aufgefallen, wie viele Buddha-Figuren heutzutage in allen möglichen Wohlfühlhotels, Restaurants, Saunas und Fitness Clubs stehen. Sie sollen wohl ein Versprechen aussprechen: Tritt ein und du wirst tiefste Entspannung finden.

Das ist nicht verboten, das ist Kapitalismus. Er macht sich eben alles zu eigen, auch den Buddhismus. Nun kenne ich Menschen, die – obwohl europäisch oder nordamerikanisch geprägt – ernsthaft in diese aus der Ferne stammende religiöse Welt eingedrungen sind und sich jetzt auf ihre Weise als Buddhisten bezeichnen. Davor habe ich Respekt. Aber ihnen käme es eher nicht in den Sinn, industriell hergestellten Buddha-Kitsch aufzustellen. Lieber würden sie wohl in eine ethnologische Sammlung gehen und sich von den Originalen verzaubern lassen.

Kurz: Der Buddhismus ist mir fremd, aber das darf er gerne sein, denn ich kenne ihn viel zu wenig.

Ich dachte an das letzte Wintersemester und mein Seminar an der Humboldt-Universität über eine Gruppe evangelischer Theologen. Es ging um die "religionsgeschichtliche Schule", also um Menschen, die vor 100 Jahren versucht haben, einen modernen Religionsbegriff zu formulieren: Er sollte nicht europäisch-christlich vorgeprägt sein, sondern helfen, auch fernöstliche Religionen zu verstehen. Einer von ihnen war Heinrich Hackmann, er lebte von 1864 bis 1935. Mir war er unbekannt, aber meine Ko-Dozentin Manke Jiang forscht über ihn.

Wir lernten im Seminar eine faszinierende Gestalt kennen. 1894 ging Hackmann nach China, um in der deutschen Gemeinde von Shanghai als Pfarrer zu arbeiten. Dort lernte er Chinesisch, las klassische Texte, reiste weit, besuchte Klöster, beobachtete das religiöse Leben – und begründete damit die moderne Buddhismus-Forschung. Dieser Heinrich Hackmann stellte einen Religionsbegriff auf, der so weit ist, dass er auch Religionen umgreift, für die die Vorstellung einer Gottheit nicht von Bedeutung ist: Religion war für ihn "die Empfänglichkeit für das Fragmentarische des irdischen Lebens", also die Tendenz, über die Grenzen des Diesseits hinaus zu sehnen, zu ahnen, zu hoffen.

Im Gegensatz zu den meisten Theologen seiner Zeit war Hackmann ein echter Kenner ostasiatischer Religionen und viel weitherziger als die Kollegen zu Hause. Religionen miteinander zu vergleichen, hielt er für eine wichtige wissenschaftliche Aufgabe. Aber von Versuchen, eine Hierarchie zwischen ihnen aufzubauen und die eigene Religion als die höchste auszuweisen, hielt er nichts. Und zwar nicht, weil er religiöse Gewissheiten überhaupt infrage gestellt hätte. Im Unterschied zu Vertretern einer säkularistischen Toleranz war ihm alles Religiöse nicht gleich-gültig. Nur meinte er, dass man ein Werturteil über eine Religion nur von innen heraus fällen könne. Man müsse sich ihr hingegeben und die für sie spezifische Gewissheit empfunden haben. Deshalb könne man nur über die eigene Religion – ihre Stärken und Schwächen, ihr erhebenden und bedenklichen Erscheinungsformen – urteilen. Über fremde Religionen dagegen sollen wir nicht urteilen, weil wir es nicht können.

So fällte er über den Buddhismus, den er wie wenige seiner Zeit kannte, kein Werturteil – aus Respekt. Darin soll er mir ein Vorbild sein, wenn ich das nächste Mal durch Sammlungen religiöser Kunst aus Asien gehe (oder wenn ich über einen dieser Sauna-Buddhas die Stirn runzele).

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Kolumne

Johann Hinrich Claussen

Auch das Überflüssige ist lebens­notwendig: Der Autor und Theologe Johann Hinrich Claussen reist durch die Weiten von Kunst und Kultur