In Jüterbog in Brandenburg gibt es Streit zwischen dem Bürgermeister und der örtlichen evangelischen Kirchengemeinde. Daraus lässt sich eine Menge ablesen.
Worum geht es? Bürgermeister Arne Raue (AfD) und die Kirchengemeinde beschuldigen sich gegenseitig der Hetze. Raue hat an Silvester ein Video veröffentlicht, in dem er Pfarrer Tileman Wiarda vorwirft, Nächstenliebe nur zu predigen und nicht danach zu handeln. Stattdessen verbreite er Hetze und spalte. Die pensionierte Pfarrerin Mechthild Falk bezichtigt Raue, sie habe "Straftaten ihrer Neuankömmlingsschützlinge" gedeckt.
Die Gemeinde wies die Anschuldigungen in einem öffentlichen Statement zurück und drohte Raue rechtliche Schritte an. "Der hauptamtliche Bürgermeister sagt bewusst die Unwahrheit, um Pfarrerin Mechthild Falk und Pfarrer Tileman Wiarda zu verleumden", heißt es in dem Statement. "Hier findet eine Täter-Opfer-Umkehr statt: Die Hetze betreibt, wie jeder Mensch deutlich in den diversen Onlineauftritten des Bürgermeisters wahrnehmen kann, der Bürgermeister selbst, gegen die Pfarrer wie gegen viele andere, die seinem rechtslastigen Weltbild nicht entsprechen."
An diesem Streit zeigt sich, wie wichtig es ist, dass die evangelische Kirche vor Ort stark bleibt und zu ihrem christlichen Auftrag steht - gerade in den Regionen, wo die AfD großen Rückhalt hat.
AfD-Bürgermeister Arne Raue präsentiert in seinem Video eine krude Mischung aus Ausländerhass, Verschwörungsglauben, Gegenwartspessimismus und (gespielter?) Zukunftsangst. So suggeriert er, der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt von Magdeburg sei womöglich deshalb passiert, weil angeblich ein Sicherheitsdienst mit dem Namen Mekka, der von jungen Männern aus arabischen Ländern geführt werde, den Weihnachtsmarkt beobachtet habe. Er wolle das Deutschland von 2014 zurück, damals sei die Lage besser gewesen.
Solche Behauptungen kommen offensichtlich gut an bei vielen Jüterbogern. Raue wurde 2019 wiedergewählt und bewirbt sich gerade für die AfD auf ein Bundestagsmandat.
Wenn die AfD so erfolgreich bleibt und staatliche Ämter und Institutionen immer öfter in die Hand von Rechtsextremen gelangen, muss die Zivilgesellschaft dagegenhalten. Hierbei kann die Kirche mit ihrer breiten, flächendeckenden Struktur helfen. Es darf dabei aber nicht um eine generelle parteipolitische Einmischung gehen. Die Kirche darf nicht als Vorfeldorganisation von Parteien erscheinen, sich weder von links noch von rechts vereinnahmen lassen. Doch darum geht es in Jüterbog auch nicht.
Der Streit entzündet sich mal wieder am urchristlichen Thema der Nächstenliebe. Wer der Kirche vorwirft, sie sei links oder grün oder sonst wie parteipolitisch eingefärbt, weil sie sich für Flüchtlinge einsetzt, der hat sich wohl noch nie mit dem beschäftigt, was den Kern christlicher Ethik ausmacht.
Wie geht man mit Menschen um, die in unserem Land Schutz suchen? Werden sie kriminalisiert oder hilft man ihnen, sich in dieser Gesellschaft zurechtzufinden und sich hier ein Leben aufzubauen? Die evangelische Kirche steht für die zweite Option, die AfD für die erste. Nur wenn die Kirche ihren Standpunkt der Nächstenliebe um keinen einzigen Zentimeter verlässt, kann sie zeigen, dass es ihr nicht um eine übergriffige Einmischung in die Politik geht, sondern schlicht um christliches Handeln.