Liebe Leserin, lieber Leser,
ich kam mir immer Wunder wie hilfreich und originell vor, wenn ich in Kondolenzbriefen "viel Kraft" gewünscht habe. Als nun mein Vater starb, stand ich auf der anderen Seite und fühlte mich durch all die schriftlichen "Viel Kraft"-Wünsche nicht gestärkt, sondern wegverwiesen. Denn woher sollte die Kraft kommen? Und dann die ganzen Sprüche, wie schön Erinnern sei. Hallo? Wer gerade einen Menschen verloren hat, will sich nicht erinnern, sondern wünscht sich diesen Menschen sehnlichst zurück.
Ja, Trauernde können ganz schön ungerecht sein. Und der Umgang mit ihnen scheint überaus schwierig. Woher soll man denn wissen, was ihnen hilft und was nicht? Also habe ich Trauerbegleiterinnen und Seelsorger gefragt. Am Ende hatte ich 31 Fragen und Antworten gesammelt. Dekanin Renate Weigel war mir beim Herumsuchen im Internet gleich als Erste aufgefallen, weil sie dort Tipps für Beileidsbriefe veröffentlicht hat. Im Gespräch empfahl sie auch, den Hinterbliebenen von einer konkreten Erinnerung, einem Erlebnis zu erzählen (sofern man die verstorbene Person kannte). Solche Briefe seien für Trauernde ein Schatz.
Trauernde wirken auf andere oft auch merkwürdig. Warum weinen sie um Expartner oder um schlechte Eltern? Weil sie zum Beispiel um das Nicht-Gelebte trauern, weil sie die Hoffnung begraben müssen, doch noch einen elterlichen Segen zu bekommen. So hat das die Trauerseelsorgerin Tabitha Oehler in vielen Gesprächen erfahren. Sie weiß auch, dass man sich jegliche Bewertung verkneifen sollte wie "Sei doch froh" oder "Sie war doch schon alt". Ebenso Ratschläge wie "Du musst auch mal wieder nach vorn schauen". Stattdessen die Untröstlichkeit anerkennen, das sei fast schon wieder tröstend, findet Tabitha Oehler, die selbst ein Kind verloren hat.
Auch das habe ich gelernt: Wenn ich praktisch helfen will, sollte ich nicht sagen: "Meld dich, wenn du was brauchst." Denn Trauernde melden sich nicht. Sondern ich sollte konkrete Angebote machen, so wie es Renate erlebt hat, eine von vier in chrismon porträtierten jung Verwitweten. "Alles Konkrete war hilfreich. Auch wenn Leute sagten: Wir machen einen Ausflug, wir könnten eins der Kinder mitnehmen."
Und wenn man Trauernden auf der Straße begegnet, was dann? Otilia M., die bei einem Unfall mit übermüdetem Lkw-Fahrer ihre Kinder und ihren Mann verloren hat, sagte mir vor Jahren: "Wie habe ich in der ersten Zeit diese Frage gehasst: ‚Wie geht es dir?‘ Wie soll es mir schon gehen, ich habe meine ganze Familie verloren! ‚Was machst du gerade?‘ – das ist leichter zu beantworten." Nachvollziehbar, finde ich. Vielleicht ist der Umgang mit Trauernden doch gar nicht so schwierig.
Es grüßt Sie herzlich
Christine Holch
Chefreporterin
P.S.: Am 8. Juni, 12 bis 12.45 Uhr, findet das nächste chrismon-Webinar statt. Thema: "Du bist schön". Mit der Influencerin Melodie Michelberger und Pädagogin Sigrid Borse vom Frankfurter Zentrum für Essstörungen. Bringen Sie Ihre Fragen mit! Einfach hier anmelden.