Katja Dietrich, Oberbürgermeisterin von Weißwasser
Katja Dietrich, Oberbürgermeisterin von Weißwasser, 44: "Ich stehe jeden Morgen gern auf, ich arbeite gern"
Tine Jurtz
Ostdeutschland
Aus der Welt zurück nach Sachsen
Nach Jahren in Malawi, Kenia und im Irak kehrt Katja Dietrich als neue Oberbürgermeisterin zurück – und übernimmt Verantwortung in einer Region, die um ihre Zukunft kämpft. In Weißwasser will sie Wandel gestalten statt nur verwalten
Anke LübbertPR
19.06.2025
3Min

Katja Dietrich (Jahrgang 1980):

Nach der Oberbürgermeister-Wahl war ich völlig geschafft, der Wahlkampf war hart. Neben mir als parteiunabhängiger Kandidatin gab es noch einen Mann von der AfD und eine Frau von einer Wähler­vereinigung. Nach der Wahl habe ich zwei Tage nur geschlafen. Zu mehr als Glückwünsche-­Beantworten hat es nicht gereicht.

Seit November 2024 bin ich im Amt, und es ist ­immer noch ein bisschen surreal. Ich arbeite mich in alle möglichen Sachthemen ein. Als Oberbürgermeisterin ist man am ­Ende für fast alles in einer Stadt zuständig: vom Feuerwehrauto über die Kitabetreuung und die Instand­setzung von Radwegen bis zur Vermarktung der Gewerbe­gebiete. Bei der Kommune landen alle Themen, die die Menschen in ihrem Alltag bewegen – ob es um den verstopften Straßengully geht, den Gratulationsbesuch bei Hundert­jährigen oder die Klärung der Energieversorgung. Das wusste ich zwar theoretisch, aber in der Praxis hat mich die Vielfalt und die hohe Taktung der Themen doch überrascht.

Weißwasser ist eine recht kleine Stadt in der Oberlausitz, in Sachsen, mit 15 000 Einwohnern. Vor der Wende waren es mal 38 000. Wir haben über die Hälfte der Bevölkerung verloren, vor allem, weil alle hier irgendwie von der Braunkohle und der Glasindustrie gelebt haben. Die Glasindustrie brach nach der Wende zusammen, dann kam der Kohle­ausstieg und vor drei Jahren auch noch die Energiekrise.

"Keiner muss mehr weg wie früher"

Katja Dietrich

Das ist eine wahnsinnige Herausforderung, aber auch eine Chance. Weil wir – auch mit der Hilfe von Förder­programmen – jetzt endlich etwas Neues aufbauen ­können. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass ein Standbein nicht genügt. Der Tourismus und die Kreativwirtschaft sind in der Zukunft wichtiger, weil sie Menschen in die Region bringen. Das erhöht auch die Lebensqualität einer Stadt, Ausflugsziele werden ja auch von den Familien vor Ort genutzt. Deshalb ist es wichtig, finanzielle Lösungen zum Beispiel für Schwimmhalle und Tierpark zu finden.

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Schon heute können wir unseren Jugendlichen endlich Arbeitsplätze in der Region bieten. Keiner muss mehr weg wie früher. Zuzug brauchen wir dennoch. Das sehe ich als eine meiner größten Aufgaben in den nächsten Jahren. Das passt zu mir, ich bin Wirtschaftsgeografin, habe Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit in Malawi gemacht, für die Vereinten Nationen in Kenia gearbeitet und beim Wiederaufbau im Irak. Die vielen Erfahrungen helfen mir enorm, unvoreingenommen und mit viel Positivität die Dinge anzugehen.

"Die Pegida-Aufmärsche haben mich irritiert"

Katja Dietrich

Ich bin in Dresden aufgewachsen. Was ich in der Ferne aus meiner Heimat mitbekam, die Pegida-Aufmärsche, die hohen Stimmenanteile der AfD bei den Wahlen, das hat mich irritiert. Ich fragte mich, wie man es als Dresdner für eine gute Idee halten kann, aus der EU auszutreten. Ich ­hatte das Gefühl, dass ich mich hier mit meinen Erfahrungen einbringen kann. 2020 kam ich zurück. Nach einer Station in der Stadtverwaltung von Leipzig landete ich bei der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung in Weißwasser.

Die AfD ist hier in der Region stark. Es gibt große ­Ängs­te und Unsicherheiten. Die Zukunft wird von vielen Menschen nicht als Chance, sondern als Bedrohung gesehen. Ich bin ein harmoniebedürftiger Mensch, ich habe den Anspruch, mit jedem zu reden, ich will keine verhärteten Fronten. Ich vertraue auch darauf, dass Stadträte, Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft zum Wohl der Stadt agieren und wir in den Sachfragen konstruktiv zusammenarbeiten können. Das hat sich jüngst bei der Entscheidung für eine große Investition in unsere Eisarena gezeigt: Die Verwaltung hat einen Zeitplan vorgelegt, und alle Stadträte haben zu­gestimmt, weil der Eishockeysport generationen- und ­parteiübergreifend verbindet.

Ich stehe jeden Morgen gern auf, arbeite gern, muss nur achtsam sein, dass ich es nicht übertreibe. Das war auch schon in den anderen Jobs so. Wenn ich was mache, dann richtig. Zum Glück habe ich meine Familie. Die ist in ganz Sachsen verstreut, und ihre Türen sind immer für mich offen.

Mein Vorgänger war 14 Jahre im Amt. Die ­Weißwasseraner waren sehr mutig, mich zu wählen, sie wollten Ver­änderung. Ich will mich dessen unbedingt würdig erweisen.

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