AfD, CDU und FDP
Sich nicht treiben lassen
Wen kann man als liberal-bürgerlicher Christ eigentlich noch wählen? Die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen machen diese Frage immer schwieriger, denn es geht direkt weiter im Wettstreit um die beste Zweit-AfD
Wahlplakate zur Landtagswahl: AfD-Wahlplakat mit der Aufschrift "Der Osten machst - Sommer, Sonne, Remigration"; auf dem Flugzeug steht in kleiner Schrift "Abschiebe-Hansa"; darunter CDU-Plakat mit Christoph Zippel
Wahlplakate zur Landtagswahl: AfD-Wahlplakat mit der Aufschrift "Der Osten machst - Sommer, Sonne, Remigration"; auf dem Flugzeug steht in kleiner Schrift "Abschiebe-Hansa"; darunter CDU-Plakat mit Christoph Zippel
picture alliance/dts-Agentur
Tim Wegner
03.09.2024
3Min

Die CDU und die FDP machen einen Wettstreit: Wer schafft es, die bessere AfD-Kopie zu werden. Gerade hat die AfD in Thüringen und Sachsen ein historisch gutes Wahlergebnis erzielt, da wird vermeldet: "Die CDU erhöht in der Migrationspolitik den Druck auf die Ampel." Boris Rhein, CDU-Ministerpräsident von Hessen und derzeit Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, sagte in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe: "Es braucht eine Zeitenwende in der Migrationspolitik." Und kurz danach legte FDP-Vorsitzender Christian Lindner einen obendrauf: Die Leute "haben die Schnauze voll davon, dass dieser Staat möglicherweise die Kontrolle verloren hat bei Einwanderung und Asyl". Und dann kündigte Lindner an, dass man, wenn "den Leuten" die Asyl- und Einwanderungsgesetze nicht mehr passen, sie ja auch einfach ändern könnte. CDU und FDP verleugnen ihre eigenen Werte und machen, was die AfD will.

In zu vielen Politikfeldern gibt es keine klar christliche Position. Bei der Flüchtlingspolitik ist das anders. Wer Zweifel daran hat, der schaue einfach mal in die Bibel. chrismon-Autor Johann Hinrich Claussen hat mal ein ganzes Buch darüber geschrieben ("Das Buch der Flucht"). Die Bibel, das "Grundbuch der abendländischen Kultur", ist ein Buch voller "Geschichten, Lieder, Gebete, Klagen und Visionen von Geflohenen, Vertriebenen, Deportierten, Ausgezogenen, Entkommenden, Heimatsuchenden, Migranten und Wanderern aus dem Morgenland". Beim Recht auf Asyl und dem Gebot der Nächstenliebe gibt es christlich einfach kein Wenn und Aber.

Die christliche demokratische Union denkt trotzdem, dass sie mit einer Politik gegen hilfesuchende Menschen Wählerstimmen gewinnen kann. Aber es hilft nicht. Wer stramm rechte bis rechtsextreme Politik will, wird weiterhin das Original wählen. Der sächsische AfD-Spitzenkandidat Jörg Urban hatte es am Sonntagabend gesagt: "Wir werden das machen, was wir die ganzen Jahre hier im sächsischen Landtag gemacht haben: Wir werden diese Regierung vor uns hertreiben." Die CDU lässt sich offenbar gerne treiben.

chrismon-Redakteur Nils Husmann hat Ideen, was jetzt helfen könnte.

Und die FDP? Auch sie verleugnet ihren Kern, wenn sie plötzlich ihre Überzeugungen über Bord wirft, weil "die Leute damit fertig haben", wie Christian Lindner gestern so entlarvend gesagt hat. War nicht vor kurzem noch eine Kernidee des liberalen Denkens, dass Deutschland ein weltoffenes Land sein soll, dass humanitäre Verpflichtungen eingehalten werden und Einwanderung unserem Land guttut?

Die Diskussion nach dem mutmaßlich islamistischen Anschlag von Solingen war erschreckend. Alle Parteien haben härtere Grenzkontrollen, mehr Abschiebungen und Leistungskürzungen für Geflüchtete gefordert. Dabei hat die Ampel-Regierung die Asyl- und Migrationspolitik seit ihrem Antritt sowieso immer weiter verschärft. Und natürlich transportieren diese Forderungen mindestens unterschwellig: Menschen, die hier Zuflucht suchen, sind gefährlich.

Was ist von muslimischen Reaktionen auf die Attacke von Solingen zu halten? Lesen Sie Johann Hinrich Claussens nachdenklichen Text dazu.

Genau das will die AfD. Ihre Thesen sickern immer weiter ein und gute Nachrichten in Sachen Migration interessieren eh niemanden mehr. Das sieht man daran, dass eine Studie im Antimigrationstaumel der letzten Woche völlig untergegangen ist. Das "Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung" hatte erhoben: Wenn man Geflüchteten Zeit lässt, finden sie auch in eine Beschäftigung. Nach sieben Jahren sind durchschnittlich 63 Prozent der Geflüchteten im Job. Klar, es wäre für alle schön, wenn es schneller geht. Nur: Dass es so lange dauert, liegt vor allem an den Hürden, die unser Staat den Menschen in den Weg stellt. Beschäftigungsverbot, während das Asylverfahren läuft, und ein Verbot, den Wohnort selbst zu wählen, sind nur zwei davon.

Die sächsischen Bischöfe Heinrich Timmerevers und Tobias Bilz haben gestern ein gemeinsames Statement abgegeben. "Aus unserer Sicht muss der Geist der Nächstenliebe, der Schutz der Menschenwürde und die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts die Richtschnur sein", teilen die Bischöfe mit. Nur welche Partei soll man als bürgerlich-liberaler Mensch dann überhaupt wählen, wenn CDU und FDP sich weiter vor der AfD hertreiben lassen?

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Demokraten geben ungeniert ihrem Herzenswunsch Ausdruck, den sie vollinhaltlich mit den Faschisten teilen: Das Land braucht gute Führung! Streit gibt es dann um die Frage, ob diese herbeigesehnte gute Führung von der AfD, den Liberalen, den Konservativen oder irgendwelchen Linken gestellt wird. Bei diesem Streit hilft dann der Himmel mit bischöflichen Worten.

Könnte es sein, dass Demokraten, Faschisten und der Himmel einen gemeinsamen Fehler machen?

Fritz Kurz

Zitat v. H. Kurz: "Demokraten geben ungeniert (> frech?) ihrem Herzenswunsch Ausdruck, den sie vollinhaltlich mit den Faschisten teilen: Das Land braucht gute Führung". Der Sinn bedarf dringend der Erklärung. Braucht dann jede Demokratie eine schlechte Führung, damit die Wähler einen Grund haben, sich zu genieren? Können sich Demokraten auch genieren, nach guter Führung zu rufen? Es ist eine echte intellektuelle Herausforderung den, "Kurzen" Gedankensprüngen zu folgen.

Nein, danke! Ich habe keinen Bedarf an den alten Führern, weder dem im Himmel, noch dem in der Reichskanzlei. Ich habe auch keinen Bedarf an neuen Führern, insbesondere keinen demokratisch gewählten. Die nennen sich bekanntlich nicht Führer, sondern politisch Verantwortliche, die tatkräftig Führungsstärke beweisen sollen und müssen.

Wie wäre es denn mit selber denken, handeln und sich mit seinesgleichen streiten, diskutieren und einigen? Klar, das sehen weder Gott noch der Bundeskanzler gerne. Wie im Himmel, so auf Erden, würde Horst O. vermutlich schreiben.

Fritz Kurz