Islamistischer Terror
Vorm Terror geflohen und von ihm eingeholt
Die Messerstiche des Terrors in Solingen waren nicht nur gegen die Opfer gerichtet, sondern auch gegen unsere Herzen, kommentiert Khalid Al Aboud. Warum die Reaktionen in der Politik trotzdem unredlich sind
Plakat der neunjährigen Emilia in Solingen
Plakat der neunjährigen Emilia in Solingen
Malte Ossowski/Sven Simon/picture alliance
28.08.2024
2Min

Zunächst möchte ich den Familien der Opfer mein Beileid aussprechen und den Verletzten eine schnelle Genesung wünschen. Ich habe mit vielen syrischen Geflüchteten gesprochen, die der Diktatur und dem Terror entkommen sind. Wir alle waren zutiefst schockiert über die Nachricht vom Messerangriff auf das Festival der Vielfalt in Solingen. Die Angriffe richteten sich nicht nur gegen die Opfer, sondern fühlten sich wie Stiche in unsere eigenen Herzen an.

privat

Khalid Al Aboud

Khalid Al Aboud studierte arabische Sprache und Literatur an der Universität Damaskus. Zwei Jahre nach Beginn der syrischen Revolution zog er nach Jordanien, seit 2014 lebt er in Berlin. In Deutschland arbeitete er bei Radio RBB und gewann für seine Sendung gemeinsam mit der Journalistin Shadi Bohouth den AMIKO-Preis für Vielfalt 2017. Er gehört zum Team von Amal Berlin.

Wir sind vorm Terror geflohen und sehen uns nun vom Terror an einem Ort verfolgt, an dem wir uns in Sicherheit wähnten. Ich habe geweint, als ich las, was die neunjährige Emilia auf ein Plakat in Solingen geschrieben hat: "Wir haben dich beschützt! Wir haben dir geholfen! Warum tötest du uns?!"

Was in Solingen passiert ist, darf sich weder in Deutschland noch irgendwo anders auf der Welt wiederholen. Es war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, gegen die Vielfalt und das friedliche Zusammenleben, das wir alle anstreben.

Die politischen Entscheidungsträger müssen klug und besonnen mit den Konsequenzen dieses Ereignisses umgehen. Sie dürfen nicht der Propaganda der rechtsextremen Strömungen verfallen, die alle Muslime und Syrer unter Generalverdacht stellen.

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Gleichzeitig müssen strenge Maßnahmen gegen Kriminelle oder diejenigen ergriffen werden, die daran denken, die Gesetze und das friedliche Zusammenleben in diesem Land zu gefährden. Wenn man sagt, Abschiebungen seien die Lösung, ist es oft ungerecht gegenüber vielen, die ein Bleiberecht und Asyl verdienen. Diktatorische Regime könnten dies als Vorwand nutzen, um Beziehungen zu europäischen Staaten aufzubauen und damit ihre eigene Verantwortung für die Lage in den Heimatländern der Geflüchteten zu verschleiern.

Alle Geflüchteten als Terroristen zu stigmatisieren, tut Millionen Menschen Unrecht

Wir alle sind für die Abschiebung von Kriminellen und gegen den Terrorismus. Aber das ändert nichts daran, dass wir unsere Entscheidungen auf der Grundlage der in den Menschenrechtsabkommen und internationalen Gesetzen festgelegten Prinzipien treffen müssen. Diese zu akzeptieren, macht demokratische Länder aus. Unsere Entscheidungen dürfen nicht aus reiner Reaktion heraus getroffen werden. Extremistische Parteien, die auf Ablehnung von Vielfalt und friedlichem Zusammenleben setzen, nutzen diese Ereignisse aus.

Wir sind dem Terror und den Diktaturen in unseren Heimatländern entkommen und suchten in Deutschland nach der Sicherheit und Freiheit, die uns dort fehlte. Was wir in unseren friedliebenden Familien gelernt haben, ist, dass Gutes mit Gutem vergolten wird. Dies spiegelt sich im Verhalten eines großen Teils der Geflüchteten wider, die mittlerweile Teil dieser Gesellschaft sind, arbeiten, Steuern zahlen und am sozialen, kulturellen und politischen Leben teilnehmen. Alle Geflüchteten als Terroristen zu stigmatisieren, tut Millionen unschuldigen und redlichen Menschen Unrecht.

Wir fordern Gerechtigkeit und arbeiten gemeinsam daran, den Terrorismus und den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Denn wir alle, Deutsche und Geflüchtete, verdienen das Leben, die Freiheit und die Sicherheit sowie das friedliche Zusammenleben.

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Als ich mitbekam, dass der Täter von Solingen ein Kandidat für Abschiebung war/ist, da dachte ich: Meine Güte, wieder ein Amokläufer der nicht hätte sein müssen.

Vielleicht war er somit auch ein leichtes Opfer für die Drahtzieher von Terror der nicht sein müsste!?

Einen Bär mit einem Busch verwechseln. M
an sagt, es ist besser, einen Busch 10x mit einem Bären zu verwechseln, als einmal umgekehrt. Überlebt haben nur die Vorfahren, denen das gelungen ist. Es steckt also in unseren Genen, Gefahr zu wittern und entsprechend vorsichtig und distanziert zu sein. Nur, wir modernen Menschen wollen eine humanistische Gesellschaft, eine, die das Fremde einbezieht, wenn es sich einbeziehen lassen will. Und da steckt der Unterschied. Aufgewachsen bin ich unter einer strikten Trennung von Staat und Kirche. Das tat beiden gut, vor allem der Kirche. Ich habe sie kämpferischer erlebt, als heute. Wenn ein weltlicher Kanzler auf Gott schwört, ist das nur lächerlich und ich bin auch hier bei chrismon nicht mit jedem Beitrag einverstanden, aus dem eine gesättigte, in sich ruhende Kirche spricht. Zu leise, zu selbstzufrieden, zu weit weg von den Brennpunkten. Die Kirche könnte ein starkes Sprachrohr sein, kraftvoll, mutig, Orientierung gebend, sie ist nur Gott verantwortlich und muss die Positionen besetzen, aus denen sich der Staat zurückzieht. Ich komme aus Berlin, ich arbeite und lebe mit Ausländern. Wie gut das funktionieren kann, wird viel zu selten bekanntgemacht. Politischer Islamismus hat hier so wenig zu suchen, wie jeder Extremismus. Wir wollen, dass man uns nicht auf den Geist geht und wir wollen keine Parallelgesellschaften mit Wertvorstellungen aus dem Mittelalter. Wir wollen unseren Mitmenschen vertrauen. Das Attentat von Solingen hatte genau diese Stoßrichtung, wir sollen wieder denken, jeder Busch könnte auch ein Bär sein, jeder Ausländer ein potentieller Mörder. Genau das wollen wir nicht. Und eben dafür kann sich Kirche garnicht stark genug machen.

Antwort auf von Eiko (nicht registriert)

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Nein, es liegt nicht an den Genen, wenn einer Ausländer als Bedrohung ansieht. Es liegt an falschen Vorstellungen darüber, wie die moderne Gesellschaft funktioniert und welche Rolle dabei der Staat spielt, der die Unterscheidung zwischen Inländern und Ausländern aufmacht und sorgfältig pflegt. Diese falschen Vorstellungen sind nicht erst dann falsch, wenn sie die von Rechtsradikalen bekannten Formen annehmen, sondern wenn sie von der demokratischen Mitte der Gesellschaft propagiert werden.

Gegen Ausländerfeindlichkeit hilft es auch nichts, darauf zu verweisen, dass es auch gute, nette Ausländer gibt. Das wissen die Ausländerfeinde selber. Eine führende Gestalt bei den AfD-Vorgängerorganisationen NPD und Republikaner war berühmt dafür, dass er seine antitürkischen Ansichten gerne damit schmückte, dass er oft in der Türkei Urlaub mache und er enge türkische Freunde habe.

Verwechslungen können immer schädlich sein. Also besser nicht Büsche mit Bären verwechseln und auch nicht umgekehrt. Brennende Dornbüsche mit Göttern zu verwechseln ist auch nicht harmlos.....

Fritz Kurz