Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen
Hilft denn gar nichts gegen die AfD?
Doch! Die jüngsten Wahlergebnisse machen auch den Blick frei für zwei Ideen, die den Rechtsextremen gar nicht gefallen dürften, schreibt unser Autor in seinem Kommentar
Wahlen in Thüringen und Sachsen
Vor Jahren noch undenkbar: Der blaue Balken schnellt in den Prognosen nach oben. Was tun?
picture alliance/Wolfgang Mari
Tim Wegner
02.09.2024
4Min

Am 1. September 2024 – genau 85 Jahre vorher hatte mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg begonnen - erreichte die AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen jeweils über 30 Prozent. In Thüringen holte keine andere Partei mehr Stimmen. In beiden Ländern gilt der jeweilige Landesverband als gesichert rechtsextrem. Mehr als 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Sachsen und Thüringen nehmen dies entweder achselzuckend hin - oder sie denken und sind rechtsextrem.

Am Tag nach der Wahl weiß man immerhin, was offenbar nicht hilft, um den Aufstieg der AfD zu stoppen. Vielleicht lassen sich daraus Lehren ziehen für die Zukunft?

Erstens: Es hilft nicht allein, das Problem "dem Osten" anzulasten. Zwar ist die AfD hier besonders stark. Aber zur Erinnerung: In Bayern erreichte die Partei 14,6, in Hessen 18,4 Prozent. Die AfD ist eine bundesweite Gefahr für die Demokratie.

Zweitens: Es hilft auch nicht, wenn sich zahlreiche zivilgesellschaftliche Akteure gegen völkische Gedanken wenden, unter anderem auch Stimmen aus der Wirtschaft wie die Supermarktkette "Edeka".

Und - drittens - scheint es wirkungslos zu bleiben, wenn Parteien Forderungen der AfD übernehmen. Zu beobachten war das erneut nach dem Terroranschlag von Solingen. Natürlich braucht es eine kluge, auch harte Strategie gegenüber Menschen, die hier bei uns im Namen ihrer Religion Gewalt ausüben! Aber in der Politikwissenschaft gibt es einen treffenden Fachbegriff, er nennt sich "Issue Ownership" und besagt, dass Parteien bei bestimmten Inhalten eine so hohe Kompetenz zugebilligt wird, als würden sie den Inhalt besitzen. Und wenn dann oft über dieses Thema geredet wird, kommt das dem Besitzer zugute. In Fragen der Migration ist das die AfD, die genau deshalb auch über fast nichts anderes reden möchte als über "die Ausländer", "die Migranten" und "den Islam". Ein Beispiel: In der ARD war gestern der Auszug einer Rede von Björn Höcke zu sehen, in der er sagte, der "Abschiebeflieger" würde bald im Minutentakt von Erfurt aus starten. Das ist zutiefst irreführend, menschenverachtend und rassistisch.

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Doch wer in der vorigen Woche die Nachrichten verfolgte, kam nicht umhin zu denken, dass viele Parteien der Mitte dieses Vokabular kopieren oder sich zumindest daran orientieren. Nun zeigt sich erneut: Die Leute machen ihr Kreuz dann doch beim Original, also der AfD. Womit nicht gesagt sei, dass Migration, Kriminalität und Islamismus keine dringlichen Themen wären, um die sich die Politik nicht kümmern müsste. Viele Menschen haben Fragen. Aber es ist gefährlich und sinnlos, sich bei Lösungsansätzen der AfD in Sprache und Haltung anzubiedern.

Aber was hilft dann?

Hinter den jüngeren Wahlergebnissen scheint auch der Wunsch vieler Menschen zu stehen, dass man sie in Ruhe lässt mit der überkomplexen Welt da draußen. Auch hierfür ist das Thema Migration ein gutes Beispiel. Es ist leicht zu sagen: "Wir wollen keine Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan mehr!" Dabei stellt so eine Forderung alle Menschen aus einer Gruppe unter Pauschalverdacht - auch das ist gefährlich. Und: Deutschland befindet sich nicht im rechtsfreien Raum. Es gibt das Grundrecht auf Asyl, es gibt internationale und europäische Abkommen - und so weiter. Es ist die Aufgabe politischer Führung, das den Leuten auch so zu sagen und keine markigen Sprüche zu klopfen, auf die nichts folgt außer neuer Frust. Mutige Politikerinnen und Politiker, die vorangehen, komplexe Zusammenhänge geduldig erklären und die öffentlich präsent sind - ja, die könnten helfen gegen die AfD.

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Was auch helfen kann: die Menschen an den Lösungen der Probleme zu beteiligen, sie mitdenken zu lassen. Die Leute werden nicht in Scharen eintreten in demokratische Parteien. Auch in Westdeutschland ist der Mitgliederschwund enorm; im Osten war und ist der Begriff "Partei" verständlicherweise mit einem Makel versehen. Aber es gibt sehr ermutigende Beispiele von Bürgerräten, die kluge Lösungen jenseits von Parteigrenzen finden. Warum nicht die überfällige Aufarbeitung der Coronapandemie auch einem Bürgerrat übertragen, unter Beteiligung der Wissenschaft? Warum nicht mehr Kommunen ermutigen (und mit den nötigen Geldern ausstatten, damit sie es tun können), die Energiewende zu gestalten und sie nicht nur "über sich ergehen zu lassen"? Denn auch die Klimakrise ist ein gutes Beispiel für eine Aufgabe, die kompliziert und herausfordernd ist - die sich aber weder wegwüten noch aussitzen lässt.

Einen anderen, kleinen Teilschritt können wir alle gehen: Die Art, wie wir über Politik reden, ist wirklich verbesserungswürdig. Überall hört man zynische Herabwürdigungen, persönliche Angriffe und Hassreden. Den Hass haben - siehe "Issue Ownership" - aber die Anti-Demokraten gepachtet. Wir stärken sie, wenn wir ihre Sprache übernehmen. Mehr Differenzierung, mehr Besonnenheit und mehr Respekt vor Entscheidungsträgern täten uns allen gut.