Wie geht es Kindern und Jugendlichen mit dem Krieg in der Ukraine?
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"Die Eindrücke brauchen Ausdruck"
Gibt's jetzt einen Weltkrieg? Kinder und Jugendliche machen sich Sorgen. Jürgen Belz, Direktor des Religionspädagogischen Zentrums Heilsbronn, weiß, wie Eltern und Lehrerinnen und Lehrer damit umgehen können
Tim Wegner
22.03.2022

chrismon: Seit drei Wochen ist Krieg in der Ukraine. Eltern haben schnell gelernt, dass man Kindern gegenüber den Krieg nicht verschweigen soll.

Jürgen Belz: Ja. Mit Kindern über den Krieg zu sprechen ist für die heutigen Eltern etwas Neues. Es ist wichtig, Kinder und ihre Fragen ernst zu nehmen. Ich würde ihnen aber keine Gespräche aufdrängen. Unsere Kinder nehmen viel auf. In der Schule und unter Freunden ist dieser Krieg Gesprächsthema. Wer ein offenes Ohr hat, merkt, wenn Kinder etwas mit sich herumtragen. Seien Sie hellhörig.

Das Kind kommt also auf mich zu und fragt: Gibt es jetzt einen Weltkrieg?

Nehmen Sie sich Zeit, damit Kinder ihre Gefühle auszudrücken können. Sprechen Sie nicht nur über die Fakten, sondern auch darüber, was das mit Ihnen macht. Genau wie Erwachsene verspüren sie Ohnmacht und Ängste. Und bitte das Kriegsgeschehen dann nicht herunterspielen! In solchen Momenten ist es wichtig, den Kindern Sicherheit und Orientierung zu geben, sei es in der Familie, im Kindergarten, in der Schule oder Jugendeinrichtung. Ein Gespräch in ruhiger Atmosphäre tut Kindern gut – und in den Arm genommen zu werden auch.

Wie antworte ich also richtig auf die Frage mit dem Weltkrieg?

Mit Kindern und Jugendlichen über den Ukrainekrieg sprechen: Das Religionspädagogische Zentrum Heilsbronn bietet Online-Gesprächsrunden für interessierte Lehrpersonen und Mitarbeitende in der Kinder- und Jugendarbeit an. Anmeldung über: direktion@rpz-heilsbronn.de. Termine: dienstagabends 19 bis 20 Uhr Weitere Infos auf der Webseite des Zentrums

Ich würde mit Kindern darüber sprechen, was Fachleute zu dieser Frage sagen: Die Wahrscheinlichkeit, dass der Krieg sich ausweitet, ist gering. Zum anderen können Eltern davon erzählen, wie viele Menschen sich um friedliche Lösungen in diesem Konflikt kümmern und dass es neben all dem in der Welt aktuell auch gute Nachrichten und positive Entwicklungen gibt.

"Auch Jugendliche brauchen Hilfe, die Geschehnisse einzuordnen"

Kinder und Jugendliche bekommen über Social Media viel mit …

Es ist eine Generation, die dadurch mit Bildern und Nachrichten konfrontiert ist wie keine vorher. Das löst Ängste aus, und Aufgabe der Erwachsenen ist es, den Kindern dabei zu helfen, ihre Gedanken und Gefühle zu sortieren. Was ich auch wichtig finde, ist, Falschmeldungen aufzugreifen. Es gibt so viele mutige Journalisten, die versuchen, der Welt ein klares Bild zu liefern. Trotzdem wissen wir bei vielem nicht, was Fake News sind und was nicht.

Und wem sollte man da vertrauen?

In den nächsten Wochen werden die Kinder und Jugendlichen Gleichaltrigen aus der Ukraine in den Schulen begegnen. Die können sicherlich authentisch berichten. Es gibt daneben auch Kindernachrichten, die gute Quellen sind. Da wird in kindgerechter Sprache journalistisch angemessen für Kinder etwas aufbereitet. Zum Beispiel Logo!-Kindernachrichten auf Kika. Eltern sollten sie gemeinsam mit ihren Kindern anschauen, um sie nicht alleinzulassen mit ihren Eindrücken.

Bei einem 14-Jährigen, der sich durch TikTok oder Instagram scrollt, sitzen die Eltern aber nicht mehr daneben …

Bei Jugendlichen ist es anders gelagert. Ich halte es für sinnvoll, sie direkt ansprechen. Du, es ist ja Krieg in der Ukraine, was nimmst du denn davon wahr? Dann wird man sehen, ob er oder sie einsteigt ins Gespräch. Auch Jugendliche brauchen Hilfe dabei, die Geschehnisse einzuordnen. Sie haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden, sie sind dabei, ihr eigenes Weltbild zu entwickeln. Man muss sie ernst nehmen in ihrer ganzen Ambivalenz. Jugendliche sind bereit, schnell aktiv zu werden. Auch das gemeinsame Tun gibt Sicherheit – man könnte mit ihnen überlegen, wie oder wo sie sich einbringen können. Bestimmt starten in den nächsten Wochen viele Initiativen an den Schulen.

"Traurigkeit ist etwas ganz Normales!"

Einen Großteil ihrer Zeit verbringen Kinder und Jugendliche im Kindergarten oder in der Schule. Was sehen Sie als deren Aufgaben an?

Dazu bekomme ich viele Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen. Vom ersten Tag des Krieges an war das Thema, Kinder wollten das besprechen. Und das muss dann Vorrang haben, die Eindrücke brauchen Ausdruck!

Wie denn?

Bei älteren Kindern oder Jugendlichen könnte das eine Friedensandacht sein. Oder, da wir gerade in der Passionszeit sind: Als Christen haben wir als Symbol das Kreuz, das ganz deutlich an Leid erinnert. Es gibt keine andere Religion auf dieser Welt, die das so ins Zentrum rückt. Vielleicht ist es eine Gelegenheit, mit Jugendlichen einen Kreuzweg zur aktuellen Situation zu gestalten. Das schafft einen Rahmen, mit ihnen über dunkle Seiten im Leben zu sprechen. Dabei wäre mir wichtig, gemeinsam Kerzen zu entzünden und daran zu erinnern, dass Gewalt und Tod bei Gott nicht das letzte Wort behalten.

Und was bietet sich bei den Kleineren an?

Ein Morgenritual zum Beispiel. Ein Stuhlkreis, gemeinsame Stille, eine Kerze anzünden und sich Frieden wünschen. Man kann eine Friedenstaube basteln, da gibt es Origamivorlagen. Und mit diesen Friedenstauben den Klassenraum schmücken – mit Bildern oder Symbolen können die Kinder ihre Empfindungen zum Ausdruck bringen.

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Dr. Jürgen Belz

Dr. Jürgen Belz, geboren 1966, ist Pfarrer und Direktor des Religionspädagogischen Zentrums im mittelfränkischen Heilsbronn bei Ansbach. Von 2016 bis 2021 war er Direktor des Schulreferats im Kirchenkreis Nürnberg, davor Schulpfarrer am Albert-Schweizer-Gymnasium in Erlangen.
Tim Wegner

Mareike Fallet

Mareike Fallet, Jahrgang 1976, ist Textchefin und Mitglied der Chefredaktion. Sie studierte Sozialwissenschaften in München und Göttingen. Redakteurs-Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Ihr Schwerpunkt sind gesellschaftspolitische Themen, sie betreut die Rubriken "Begegnungen", "Fragen an das Leben" und "Andererseits".

Sollten Erwachsene zeigen, dass sie betroffen sind?

Das haben wir auch im Kollegenkreis im RPZ Heilsbronn diskutiert. Ich denke, Kinder dürfen ruhig spüren: Den Erwachsenen geht es mit diesem Krieg nicht gut. Sie merken es ohnehin. Traurigkeit ist etwas ganz Normales. Aber wenn Erwachsene ohne ersichtlichen Grund wütend oder aggressiv sind, irritiert es Kinder, sie können das Verhalten nicht deuten.

Dann beziehen sie es auf sich?

Ja! Sie denken dann, es liegt an ihnen. Erwachsene könnten sich so ausdrücken: Ich spüre Wut über diesen Krieg. Ich bin traurig darüber, weil es den Menschen dort so schlecht geht. Damit es für die Kinder einzuordnen ist, woher diese Gefühle kommen.

Aber wie kann man Sicherheit geben, wenn man sich selbst unsicher fühlt?

Die Angst vor einer schrecklichen Eskalation begleitet uns natürlich, die Drohkulisse Putins ist enorm, bis hin zu den möglichen katastrophalen Folgen, die wir bis nach Zentraleuropa spüren könnten. Wir können das nicht ausblenden.

Klar gibt es keine absolute Sicherheit, Kinder sind im Straßenverkehr unterwegs …

… genau. Eine verkürzte Aussage wie "Gott ist immer da und beschützt dich" hält den aktuellen Erfahrungen nicht mehr stand. Die Verletzlichkeit des menschlichen Lebens haben wir schon durch die Corona-Pandemie erlebt. Kinder haben die Einschränkungen ganz besonders gespürt. Der Krieg verstärkt die Wahrnehmung, dass unser Leben auch Gefahren ausgesetzt ist, an manchen Stellen schutzlos, dass wir uns ohnmächtig und hilflos fühlen können, obwohl wir an einen Gott glauben, der es gut mit uns meint. Das zu besprechen, ist eine Herausforderung.

Was sagt man denn der Neunjährigen, die mitbekommt, dass russische Einheiten Kinderkrankenhäuser bombardieren und fragt: Warum machen die das? Warum gibt es Menschen, die so böse sind?

Ja, das ist die reine Bosheit. Es gibt Menschen, die nur an sich denken. Diese Haltung ist die Quelle des Bösen.

"Das Leben und die Liebe sind stärker"

Oder wenn sie fragt: Warum lässt Gott das zu?

Für mich selbst wird in der Geschichte Jesu Christi deutlich, dass Gott das Leid ja nicht verhindert. Jesus sagt am Kreuz: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Diese Verlassenheit hält er aus und ist auf der Seite derer, die das alles erleiden. Vielleicht kann man dem Kind so etwas antworten: Das Leben und die Liebe sind stärker als das, was Menschen anderen an Bösem tun. Wir können aber jetzt gerade nichts anderes machen, als eine Kerze anzuzünden und zu beten. Oder etwas zu malen. Auch denkbar ist eine Rückfrage ans Kind: Wie siehst du das? Kinder machen auch Erfahrungen mit Boshaftigkeit und bringen ihre eigenen Gedanken mit.

Viele Menschen gehen zu Friedensgebeten in die Kirchen. Und doch wirkt es irgendwie hilflos. Warum sollten wir es trotzdem weiterhin tun?

Ich fühle mich an manchen Tagen auch noch wie betäubt. Diese immer gleichen Bilder im Fernsehen! Beim Gebet kann ich meiner Seele Ruhe geben. Das kann man in Gemeinschaft gut. Bei solchen Gelegenheiten können wir uns der Trauer, der Wut und der Ohnmacht stellen. All das in Gottes Hände zu legen, entlastet. Da gibt's einen Ort, wo ich Gleichgesinnte finde und Ruhe. Aber es ist kein Automatismus. Manchen hilft auch Bewegung, ein Spaziergang mit einem Freund oder einer Freundin.

Und die Hilflosigkeit, dass Putin trotz dieser vielen Friedensgebete weiterbombt?

Sprechen Sie mit anderen darüber. Und wenn Sie die Kraft haben: Werden Sie aktiv, das tut gut und verändert das Gefühl der Hilflosigkeit! Wir können Menschen aus der Ukraine zum Beispiel im Alltag helfen. Neben Unterkünften und erster Unterstützung braucht es auch Orte für gemeinsames Lernen, Spielen, Sport und Musik. Das können Schulen, Kirchengemeinden und andere Einrichtungen sein.

Infobox

Hotlines, anonym und kostenlos

Für Kinder und Jugendliche:
Nummer gegen Kummer 116 111 (Montag bis Samstag 14 bis 20 Uhr)
Für Eltern:
Elterntelefon 0800 111 0 550 (Montag, Mittwoch, Freitag 9 bis 17 Uhr, Dienstag und Donnerstag 9 bis 19 Uhr)
www.nummergegenkummer.de

Altersgerechte Nachrichten für Kinder:

Logo!, Fernsehnachrichten von ZDF tivi zwischen 19 und 20 Uhr auf Kika

Neuneinhalb, immer samstags um 8.20 im Ersten

Kiraka, der Kinderradiokanal des WDR

Arte Journal Junior

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