Wer hilft mir und zwar jetzt?
Menschen in suizidalen Krisen nutzen oft den Echtzeit-Chat der Telefonseelsorge, Chats sind für sehr tiefgehende Themen noch beliebter als das Telefon. Man braucht nur eine funktionierende Mailadresse und irgendeinen Benutzernamen für die Anmeldung. Bei der Mailseelsorge wiederum bekommt man zwar nicht in Echtzeit Antwort, hat dafür aber auch für weiteren Kontakt eine feste Ansprechpartner*in.
Natürlich kann man auch am Telefon seine Sorgen oder seine Verzweiflung teilen, rund um die Uhr, anonym und kostenfrei: 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222. Die Telefonseelsorge kennt auch weiterhelfende Adressen, falls diese benötigt werden.
Mit neuen Funktionen gibt es die App namens Krisenkompass - ein Notfallkoffer für die Hosentasche, on- und offline nutzbar. Für Menschen in Krisen und auch für Menschen, die jemand durch eine suizidale Krise begleiten wollen und zum Beispiel Kraftquellen dafür brauchen. Auch für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben. Darin finden sich neben vielem anderen Atemübungen zur Sofortberuhigung sowie direkte Kontaktmöglichkeiten zur Telefonseelsorge und anderen professionellen Anlaufstellen. Und man kann sich persönliche Archive anlegen, um positive Gedanken oder Fotos, Erinnerungen oder Lieder zu speichern – als Rüstzeug für schlechte Momente.
Für Jugendliche und Kinder
Nummer gegen Kummer – 116 111 anonym und kostenlos vom Handy und Festnetz, montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr. Man kann sich auch online beraten lassen – per Mail oder Chat.
Weitere Chat-, Mail- und Telefonmöglichkeiten für junge Menschen in Krisen gibt es hier. Darunter zum Beispiel die Mailberatung von Jugendlichen für Jugendliche bei Selbsttötungsgedanken. Wenn einen niemand zu verstehen scheint oder man keinen Weg aus all den Problemen sieht, gibt es auch bei nethelp4u eine Mailberatung durch extra geschulte Jugendliche. Oder die Jugendnotmail-Beratung durch Fachkräfte bei vielerlei Problemlagen, wenn man unter 19 ist.
Wie kommt es zu Selbsttötungsgedanken?
Belastungen, die MOMENTAN nicht bewältigbar scheinen, können dazu führen, dass Menschen daran denken, ihr Leben zu beenden. Das kann Arbeitslosigkeit sein, eine Kränkung, Krankheit, Trennung, Existenzangst, Verlust eines Nahestehenden, Schulden ... Auch Menschen, die unter einer Depression leiden oder unter einer anderen seelischen Erkrankung, haben manchmal quälende Selbsttötungsgedanken. An einen Suizid zu denken, ist ein Zeichen großer innerer Not. Viele Menschen schämen sich dafür und sprechen deshalb nicht darüber.
Soll man das überhaupt ansprechen?
Ja, unbedingt soll man Menschen, um die man sich Sorgen macht, ansprechen. Etwa so: Sag mal, denkst du manchmal daran, dir das Leben zu nehmen? Manchmal lehnt die Person das Gespräch strikt ab, meist aber ist es für suizidgefährdete Menschen sehr entlastend, mit einer anderen Person über die quälenden Gedanken sprechen zu können.
Bringt man sie dann nicht erst auf die Idee?
Nein, sagen die Fachleute, das ist definitiv widerlegt. Widerlegt ist auch der Mythos, dass, wer einen Suizid ankündige, diesen dann nicht ausführe. Das Gegenteil ist wahr: Diese Person ist in höchster Gefahr. Denn die allermeisten Suizide werden direkt oder indirekt angekündigt. Durch Äußerungen wie "Ich will nicht mehr leben" oder "Ich kann nicht mehr weiter" oder "Wenn das nicht anders wird, dann passiert was".
Was sind Anzeichen für Suizidgefährdung?
Nicht immer, aber oft sind Warnsignale für eine Suizidgefährdung zu erkennen. Anzeichen können zum Beispiel sein:
- Große Hoffnungslosigkeit und Äußerungen wie: "Es hat ja doch alles gar keinen Sinn mehr ...", "Irgendwann muss auch mal Schluss sein ...", "Es muss jetzt was passieren ..." können Hinweise auf eine ernste Gefährdung sein.
- Keine Freude und kein Interesse mehr an Dingen, die jemand früher gern gemacht hat.
- Rückzug aus sozialen Beziehungen: Menschen, die an Suizid denken, ziehen sich oft aus ihren Beziehungen zu anderen Menschen zurück. Suizid ist eine einsame Tat.
- Angelegenheiten ordnen, Abschied nehmen. Viele Menschen möchten vor einem Suizid ihre Angelegenheiten ordnen. Sie verschenken Wertgegenstände oder setzen ihr Testament auf oder verabschieden sich von Freunden und Verwandten. Wer fest zum Suizid entschlossen ist, wirkt oft ruhiger, gefestigter und weniger verzweifelt als in der Zeit davor. Das kann zu dem trügerischen Schluss verleiten, es gehe der Person endlich wieder besser.
Mehr Erkennungszeichen gibt es nachzulesen beim österreichischen Kriseninterventionszentrum sowie bei der Deutschen Depressionshilfe.
Was soll ich sagen, was nicht?
Wenn sich Ihnen jemand öffnet, hören Sie zu und werten Sie nicht; fragen Sie nach, ob Sie alles richtig verstanden haben; verharmlosen Sie nicht, spotten Sie nicht, geben Sie keine pauschalen Ratschläge wie "Ach, das wird schon wieder!"
Es kann Betroffenen schon guttun, wenn man einfach sagt: "Mir tut es unendlich leid, dass es dir so schlecht geht."
Wie kann ich einem suizidgefährdeten Menschen helfen?
Auf der Tagung der Suizidüberlebenden hat Kristina Dernbach der "Gießener Allgemeinen" im April 2019 ein lesenswertes Interview gegeben, mit erfahrungsgesättigten Hinweisen, was einem Menschen in solch einer Krise hilft. Einige Tipps:
- "Was können wir tun, damit du die nächsten 24 Stunden sicher bist?", das sei eine hilfreiche Frage, so Kristina Dernbach. Entscheidend sei, dass die Unterstützung ein Angebot ist und keine Kontrolle, die dem anderen seine Selbstbestimmung nimmt.
- "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es nicht unbedingt Profis wie Psychologen, Psychiater oder andere Therapeuten sind, die den Betroffenen am besten aus einer Krise heraushelfen. Oft sind tatsächlich Gespräche mit empathischen Menschen die Rettung. Wir trauen uns da alle zu wenig zu."
- Das Gegenüber nicht vorschnell zu einer professionellen Stelle "wegschicken", das rät auch Arno Drinkmann, emeritierter Professor für Psychologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. "Es geht zunächst darum, auf der persönlichen Ebene ehrliches Mitgefühl zu zeigen und auch Hoffnung."
- Natürlich sollte man als Unterstützerin auch seine eigenen Grenzen beachten – die Hilfe könnte dann darin bestehen, geeignete professionelle Angebote zu suchen, Termine zu vereinbaren, jemanden zu begleiten, etwa zum Sozialpsychiatrischen Dienst (diese Stellen sind meist auf Landkreisebene angesiedelt) oder, wenn es nachts bzw. am Wochenende ist, in die psychiatrische Notfallambulanz oder zum ärztlichen Bereitschaftsdienst. Hier findet man Krisendienste per Postleitzahl. Wichtig: den gefährdeten Menschen nicht allein lassen.
Einige Vorträge der Tagung der Suizidüberlebenden 2019 – von Betroffenen (Überlebenden) und beruflichen Profis – gibt es auch zum Nachhören.
Das Wichtigste: Zeit gewinnen!
Zeit zu gewinnen, ist das Wichtigste, sagen die Fachleute von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Denn der Wunsch zu sterben sei fast immer ein vorübergehender Zustand. Auch bei schwierigen Lebenssituationen kehre meist der Lebensmut zurück. Reiner Kunzes Gedicht "Selbstmord" ist kurz und treffend: "Die letzte aller Türen / doch nie hat man / an alle schon geklopft."
Wenn jemand im Gespräch nicht erreichbar ist?
Wenn ein suizidaler Mensch partout nicht mehr erreichbar ist über ein Gespräch, wenn er nicht ehrlich über sich sprechen will und auch nicht bereit dazu ist, gemeinsam Hilfe zu suchen, sollte man womöglich zum Schutz des Menschen den Notarzt / die Notärztin anrufen und diese genau über die Situation informieren. Ein schwieriger Schritt, weil er Zwang gegenüber der betroffenen Person bedeutet.
Wo finden Hinterbliebene Hilfe?
AGUS – Angehörige um Suizid ist eine bundesweite Selbsthilfeorganisation für Trauernde, die einen nahestehenden Menschen durch Suizid verloren haben. Dabei ist es unerheblich, wie lange der Suizid her ist. AGUS bietet die Kompetenz Betroffener an und die langjährige Überlebenserfahrung nach einem Suizid. Die Selbsthilfeorganisation gibt Menschen Halt und zeigt Perspektiven auf, wenn das eigene Leben unwiederbringlich zerstört scheint.
Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister: Ortsgruppen findet man über den Bundesverband. Der Selbsthilfeverein sagt: Wir helfen Familien im schwersten Moment ihres Lebens – dem Tod eines Kindes.
Was soll es bringen, sich mit anderen Trauernden zu treffen?
In einem Video der Verwaisten Eltern in München sagt ein Vater über die "Suizidgruppe": "Wir waren vorher heimatlos gewesen. In der Suizidgruppe fühlten wir uns daheim."
Und: Man kann in solchen Gruppen viel voneinander lernen – denn bei manchen liegt der Suizid des Angehörigen zehn Jahre zurück, bei anderen erst wenige Monate. In den Gruppen wird anfangs auch immer eine Kerze für jeden Verstorbenen angezündet. Niemals würde hier jemand sagen: Du musst jetzt auch mal drüber wegkommen!
Wie soll man "das" eigentlich nennen – "Selbstmord"?
Man sagt richtig: Jemand will sich das Leben nehmen. "Selbstmord" ist der falsche Begriff, weil es kein Verbrechen ist, sich das Leben zu nehmen. Und "Freitod" ist falsch, weil sich Menschen zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht frei gefühlt haben, sondern unter qualvollem Zwang, wie in einem Tunnel – alles wird immer enger. Was auch ein Grund dafür ist, dass viele, die sich das Leben nehmen oder zu nehmen versuchten, nicht auch an das Leid der ihnen Nahestehenden denken können.
Wie viele Menschen nehmen sich das Leben?
In Deutschland nehmen sich etwa 10.000 Menschen jedes Jahr das Leben. Durch Suizid sterben mehr Menschen als durch Verkehrsunfälle, Drogenmissbrauch, Aids und Mord - zusammengenommen. Die Zahl der Suizidversuche wird auf das 15- bis 20-fache davon geschätzt. Besonders gefährdet sind ältere Männer. Die Broschüre "Wenn das Altwerden zur Last wird. Suizidprävention im Alter" kann hier heruntergeladen werden.