Kein Hafen, nirgends?
Kein Hafen, nirgends?
Fritz Engel/laif
Kein Hafen, nirgends?
Doch. Über 110 deutsche Städte wollen etwas für Seenotretter und Flüchtlinge im Mittelmeer tun.
Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff
27.11.2019

Dass Marina Röthlinger heute Mahnwachen organisiert und zu Demos geht, liegt an "diesen paar Junitagen" im Sommer 2018: Das Seenotrettungsschiff "Lifeline" fand mit über 200 Flüchtlingen an Bord keinen Hafen zum Einlaufen, weil niemand die Geretteten aufnehmen wollte. Röthlinger, 55, Sozial­beraterin und bis dato eher "passiv politisch", verfolgte die sechs­tägige Odyssee in ihrer Wohnung in Hannover vor dem Fernseher, jeden Tag stieg ihr Unmut. Für sie lief das Fass über, als Maltas Präsident das Schiff einlaufen und festsetzen ließ und ankündigte, gegen die Mannschaft ­wegen Menschenschmuggels ermitteln zu lassen. "Da wurde mir klar: Dazu kann ich nicht schweigen. ­Menschen werden bestraft, wenn sie andere retten. Das störte mein Rechts­empfinden sehr."

Portrait Hanna Lucassen, Redaktion chrismon, Redaktions-Portraits Maerz 2017Lena Uphoff

Hanna Lucassen

Hanna Lucassen ergründet das Miteinander. Sie war Krankenschwester, studierte Soziologie, arbeitet heute als freie Journalistin in Frankfurt und leitet ein diakonisches Projekt gegen Einsamkeit im Alter. In chrismon bloggte sie unter dem Titel Pflegeleicht. Für den Fastenkalender von 7 Wochen Ohne sucht sie nach schönen Texten.

So wie Röthlinger ging es offenbar vielen Deutschen. Tausende demonstrierten in mehreren Städten gegen die Kriminalisierung von Seenotrettern und eine europäische Abschottungspolitik. Der Berliner Verein "Mensch Mensch Mensch", der Flüchtlingsprojekte fördert, gründete das bundes­weite Aktionsbündnis "Seebrücke" und vernetzte die lokalen Gruppen, die sich wiederum an ­ihre Kommunal­politiker wandten. Die Kommunen, so ihr Plan, könnten die Geretteten schnell und unbürokratisch auf­nehmen, zusätzlich zur Verteilerquote, die in staat­licher Hand liegt.

Ein symbolischer Akt

Mittlerweile haben sich über 110 Städte und ­Gemeinden zu sogenannten "Sicheren Häfen" erklärt. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sie auch zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen. Seebrücke hat acht ­Kriterien formuliert, von denen mindestens eins erfüllt sein muss: die Patenschaft für ein Rettungsboot übernehmen zum Beispiel oder schlicht: sich mit Menschen auf der Flucht und den Zielen der Seebrücke öffentlich solidarisch er­klären. "Es ist vor allem ein symbolischer Akt", so Röthlinger.

Der dennoch oft schwerfällt. In Hannover etwa stritten die Parteien fast ein halbes Jahr lang, bevor der Rat im Februar 2019 zustimmte. Ganz anders in Rottenburg am Neckar. Da ist Oberbürgermeis­ter Stephan Neher (CDU) selbst die treibende Kraft. Er begründet das mit der christlichen Tradition der Bischofsstadt: "Menschenleben sind zu retten."

CDU-Bürgermeister wartet auf Flüchtlinge

Für Neher soll es nicht bei der Symbolik bleiben. Er hatte dem für Flüchtlingsfragen zuständigen Bundesinnenministerium bereits im Juni angeboten, die Flüchtlinge der "Sea Watch 3" aufzunehmen, die damals unter Kapitänin Carola Rackete im Mittelmeer ausharrte. Bis heute ist niemand in Rottenburg angekommen. Aber immerhin: Im September einigte sich Bundesinnenminister Horst Seehofer mit drei EU-Staaten auf einen Notfallplan und erklärte, Deutschland würde 25 Prozent der im Mittelmeer Geretteten aufnehmen.

Spendeninfo

Das Aktionsbündnis Seebrücke können Sie mit Spenden unterstützen oder sich ehrenamtlich engagieren.

Spendenkonto:
Mensch Mensch Mensch e.V.
IBAN: DE07430609671167120503
BIC: GENODEM1GLS
Bankname: GLS Gemeinschaftsbank

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat den Trägerverein "United4Rescue" gegründet, um ein weiteres Rettungs­schiff aufs Mittelmeer zu schicken. Haben Sie Fragen dazu? Hier sind die Antworten.

Spendenkonto:
Trägerverein Gemeinsam Retten e.V.
IBAN: DE93 1006 1006 1111 1111 93
BIC: GENODED1KDB
Bank für Kirche und Diakonie eG - KD-Bank
 

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Ich komme aus der Kommunalpolitik und bin mit Fragen der Zuwanderung vertraut. Es sind sehr unterschiedliche Beweggründe, die die Menschen veranlassen, nach Europa oder nach Deutschland zu kommen. Sie wollen Sicherheit, aber auch materiell besser gestellt zu werden. Bei allem Verständnis muss uns klar sein, dass unsere Aufnahmemöglichkeiten begrenzt sind. Reinhold Sing