Liebe Leserin, lieber Leser,
ich bin leider keine Heldin der Zivilcourage, aber vor ein paar Jahren habe ich wenigstens das getan: Ich bin am Kölner Hauptbahnhof aus einem Taxi wieder ausgestiegen, weil Werbung für das "Pascha" drauf klebte, ein "Laufhaus", sprich: einen Puff. Nein, damit habe ich niemanden überzeugt, schon gar nicht den Taxifahrer, aber ich fand es schlicht widerlich, im selben Auto zu fahren wie Freier, die sich gleich eine Frau kaufen, mit der sie tun können, was sie wollen. Damals dachte ich: Prostitution ist eines der Themen, über die ich als Journalistin seit über 30 Jahren schreibe, da ändert sich nie was. So ähnlich wie beim Ehegattensplitting.
Doch jetzt scheint sich etwas zu bewegen. Politikerinnen und Politiker aus allen Parteien fordern, das deutsche Recht zu ändern. Anlass ist eine Studie, die zu dem Schluss kommt: Das deutsche Gesetz von 2002, gutgläubig verabschiedet von Rot-Grün und 2017 halbherzig reformiert, ist verfassungswidrig. Es verstößt gegen Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Meine Kollegin Sabine Oberpriller hat eine der drei Forschenden befragt, die die Studie verfasst haben, die Sozialethikerin Elke Mack von der Uni Erfurt. Mack sagt: "Nirgends ist die Sexindustrie derart gewachsen wie hier. Es werden Reisen von den USA nach Deutschland organisiert, mit dem Angebot: Hier kann man alles machen." Um es kurz zu sagen: "Was früher Thailand war, ist jetzt Deutschland. Wir sind das Bordell der Welt geworden."
Die Studie hat offenbar Medien und Politik aufgerüttelt. Selbst der Boulevard - sonst Eins-a-Werbefläche für Prostitution aller Art - ist aufgewacht und berichtete. "Das ist wie Sklavenhaltung", sagte in "Bild" die CSU-Politikerin Dorothee Bär. Auch in anderen Parteien gibt es seit längerer Zeit Missmut über die vermurksten deutschen Gesetze, die SPDler Leni Breymaier und Karl Lauterbach machten sich immer wieder stark für das "Nordische Modell", das längst in vielen Ländern gilt, von Norwegen und Schweden bis Frankreich. Dort machen sich nicht die Frauen strafbar - für die gibt es Hilfe und Beratung. Sondern die Männer. Sie müssen in Frankreich Aufklärungsworkshops besuchen, unsere Reporterin Geneviève Hesse war bei einem dabei.
Ich hoffe, dieses "Nordische Modell" kommt auch in Deutschland. Ich will nicht im Bordell der Welt leben. Und ich habe die Lektüre der Studie von Frau Mack nach der Hälfte abgebrochen, weil ich die Berichte von zerrissenen Unterleibern und traumatisierten jungen Afrikanerinnen schlicht nicht ertragen habe. Es braucht jetzt 184 Abgeordnete, um eine Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht einzuleiten. Unterstützung kommt aus Europa: Am Donnerstag hat das EU-Parlament einen Initiativbericht der bayerischen Sozialdemokratin und MdEP Maria Noichl angenommen - darin steht klipp und klar: Prostitution verstößt gegen die Menschenwürde. Und muss bestraft werden.
Ich werde mir bei der nächsten Wahl jedenfalls genau anschauen, welche Abgeordneten sich jetzt engagieren und welche nicht. Was zum Beispiel ist mit unserer grünen Frauenministerin? Ich werde das im Auge behalten in der Wahlkabine, das bringt dann auch mehr, als aus dem Taxi auszusteigen. Aber selbst da gibt's Fortschritt: In Köln kann man jetzt Taxis ohne Bordellwerbung bestellen. Geht doch.
Ich wünsche Ihnen eine würdevolle Woche
Ihre
Ursula Ott
Chefredakteurin