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Unser chrismon-live Webinar zu Neuen Wohnformen war wenige Stunden vorbei, da bekam ich eine Mail von Hildegard Luttenberger aus Neuwied. Sie hatte zugeschaut und schrieb mir: "Ich bitte Sie, bei allen Gelegenheiten für gemeinschaftliches - und bezahlbares - Wohnen zur Miete zu werben! Bewusstsein zu schaffen dafür, dass es - auch für 'Otto Normal Verbraucher' - diese Möglichkeit geben kann."
Diesen Wunsch erfülle ich sehr gerne!
Hildegard Luttenberger lebt in Neuwied in einem Wohnprojekt für ältere Menschen: "Gemeinschaftlich Wohnen Neuwied e.V.". Zusammen mit 19 Menschen, alle über 70 Jahre alt, bewohnen sie als Mitglieder ihres Vereins zusammen ein Haus der kommunalen Gemeindlichen Siedlungs-Gesellschaft Neuwied mbH (GSG). Alle zur Miete, einige im geförderten Wohnungsbau, keiner zahlt viel mehr als 9 Euro. Zusammen werden sie nun älter, gemeinsam, nicht einsam. Wie haben sie das geschafft?
Niemand konnte bauen oder planen
"Einfach machen", das sei das Zauberwort, erzählen mir Hildegard Luttenberger (71), Dagmar Barua (84) und Resi Schmidt (74) in unserem Videocall. Denn eines war Initiatorin Luttenberger schon vor über 20 Jahren klar: "Immer, wenn ich meinen einsam lebenden alten Vater besucht hatte, dann wusste ich: So will ich nicht alt werden."
Auf einem (kostenlosen, sie hatte wenig Geld) Workshop der Landesberatungsstelle Neues Wohnen Rheinland-Pfalz bekam sie Grundinformationen zu neuen Wohnkonzepten, fing an sich schlau zu machen und suchte Mitstreiter*innen mit gleichen Wünschen. 2011 gründete sie zusammen mit 16 anderen Menschen den Verein "Gemeinschaftlich Wohnen Neuwied e.V." und es begann eine lange und oft auch schwierige Phase der Selbstfindung und Organisation.
Auch Träume sind geplatzt
Klar war von Anfang an: Es ging um preiswertes Wohnen zur Miete, auf keinen Fall etwas selbst bauen oder umbauen. Hildegard Luttenberger hat als Friseurin gearbeitet, später als Trauerrednerin. Die Familie (zwei Kinder) wohnte zur Miete, so wie viele andere Vereinsmitglieder auch. Gesucht war also ein fertiges Haus mit Wohnungen.
Die beste und erste Anlaufstelle für derartige Ideen war die GSG, die städtische Wohnungsbaugesellschaft. Dort stieß Hildegard Luttenberger auf große Skepsis: Wie? Was? Sie wollen als Verein eines unserer Häuser mieten? Jede Wohnung mit eigenem Mietvertrag? Und dann als so eine Art moderne Senioren-WG auch noch Gemeinschaftsflächen gemeinsam anmieten?
In ganz Neuwied gab es etwas Ähnliches bisher nicht; keine Genossenschaft, kein Wohnprojekt, kein Best-Practice-Projekt, an dem sich der junge Verein ein Beispiel hätte nehmen können. Doch die Damen und Herren blieben hartnäckig. Als die Stadt ein Neubaugebiet ausschrieb, den Zeppelinhof, gab kam es 2017 zum Kooperationsvertrag; im Februar 2019 bezogen sie ihr Haus mit 14 Wohnungen. Das war weniger als gewünscht; einige Vereinsmitglieder konnten nicht einziehen, die Grundrisse waren vorgegeben, keine Sonderwünsche: "Wir mussten viele Kompromisse machen", erzählt Frau Luttenberger, "Träume sind geplatzt." Doch vieles konnten sie auch realisieren. So die vom Verein angemietete (geförderte) Wohnung, die ihnen heute als Gemeinschaftsraum dient und die sie gemeinschaftlich in der Gruppe finanzieren.
Ein WhatsApp-Gruppe gibt es nicht, auch keine Zoom-Konferenzen, alles wird auf dem Info-Tisch ausgelegt.
Wann kommt die Fußpflege? Wer hat Lust für ein Sonntagsfrühstück? Wer kommt mit bei einer Info-Tour für Neuinteressierte und wer abends mit in die Kneipe? Das Protokoll vom monatlichen Bewohnerschaftstreffen liegt dort aus, oder, ganz aktuell, die Ankündigung zum "Tag der Vereine" in Neuwied am 24. September.
Abgeschlossen wird der Gemeinschaftsraum nur nachts, unabhängig davon haben alle einen Schlüssel. Vielleicht will ja noch jemand ein kühles Bier auf der Terrasse? Dass der Kühlschrank gefüllt ist, erledigt Hildegards Mann Willi Luttenberger, der auch alle Bilder als Hausfotograf des Vereins beisteuert. Wer was kann, macht es eben.
Genauso sind sie auch zum gemeinsamen Bestattungsbaum gekommen: Eine Mitbewohnerin hat den Platz gekauft und dem Verein zur Verfügung gestellt.
Sie haben sich versprochen: Keine gegenseitige Pflege
Überhaupt gehört das Denken an Später dazu: "Wir hoffen, dass wir einen gemeinsamen Pflegedienst poolen können, wenn es soweit ist", berichtet Hildegard Luttenberger. Schon jetzt gibt es ein Schlüsselkästchen mit allen Haustürschlüsseln und Notfallnummern; jede und jeder kann einen Unfall haben. Doch was sie sich auch versprochen haben: Keine gegenseitige Pflege. Das würde die Gruppe überfordern. Vielleicht baut die Stadt noch ein Hospiz im Viertel?
Der Verein braucht Nachwuchs. Wirklich junge Familien passen nicht gut zu dem Konzept: "Aber ein kinderloses Paar um die Vierzig, warum nicht?" Schon jetzt wohnen Mitglieder des Vereins in einem anderen Haus auf dem Gelände: "Wir wollen weiter wachsen", fasst Hildegard Luttenberger die Zukunftspläne zusammen. Eben einfach machen. Wenn jemand von Euch Interesse habt: Mailt ihr, sie freut sich
PS: Die nächste Wohnlage erscheint am 12. Oktober 2023