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Ernste Mienen, betretene Blicke, gekräuselte Stirnen, Sorgenfalten. So ähnlich sahen wahrscheinlich viele Zoom-Teams-und-Reallife-Konferenzen am Montagmorgen nach der Bundestagswahl aus. Schlimm, schlimm, so ist das Leben. Die Wahl und der vorhergehende Wahlkampf waren ja wirklich schwer zu ertragen. Die schlechte Laune des Meetings hat mich noch den Tag über begleitet. Aber dieses Meeting hat auch meinen inneren Widerstand geweckt. Alles ist sicher nicht schlimm, nur manches. Nur ich fand im Laufe des Arbeitstages keine Möglichkeit, mich dem Nichtschlimmen zu widmen.
Zum Glück kamen später meine Kinder nach Hause. Irgendwann am Nachmittag, ich wollte gerade die Treppe hochgehen, flog mir so ein ekliger, wabbeliger Quetschball in den Nacken, den die Kinder zurzeit bei Kindergeburtstagen ständig als Mitgebsel bekommen. Ich zuckte kurz, wusste aber sofort, woher das kam. Einer unserer Söhne stand im Flur und grinste herausfordernd. Ich nahm den Ball auf und verfehlte ihn knapp. Er traf mich wieder. Ich ihn dann auch. Es ging hin und her. Kurze Zeit später lag er auf dem Sofa und musste vor Lachen schreien, weil ich ihn so durchgekitzelt habe.
Abends beim Essen haben wir über Schweine geredet. Ich weiß nicht mehr warum, es könnte an der Wurst gelegen haben, die auf unseren Broten lag. Meine Kinder sagen ständig, dass sie Schweinchen so süß finden, die Wurst aber einfach zu gut schmeckt, sodass sie nicht auf sie verzichten möchten.
Jedenfalls hat eines der Kinder plötzlich gesagt: "Achtung, da hinten ist ein Schwein!" Ich war so überrascht, dass ich mich tatsächlich umgedreht habe. Das war natürlich nur ein schlechter Witz. Kein Schwein war weit und breit zu sehen. Kurz habe ich mich ertappt gefühlt. Dann allerdings musste ich laut grunzen und habe so getan, als sei ich das Schwein, um zu kaschieren, dass ich so leicht auf diesen sehr durchschaubaren Quatsch hereingefallen bin.
Das war ein bisschen kindisch von mir, das gebe ich zu. Abends habe ich den Schmerz dieser Welt nicht mehr so gefühlt wie morgens nach der Sitzung. Kindisch sein ist einfach sehr entlastend. Zum Glück geben mir die Kinder immer wieder die Chance dazu. Ich wüsste wirklich nicht, wie ich leben sollte, ohne ab und zu (oder auch öfter Mal) komplett aus der Rolle des ernsten Erwachsenen zu fallen.
Ich weiß gar nicht, wie andere das machen. Ein Leben ohne Kinder scheint mir irgendwie ernster. Eine kurze Umfrage in der Redaktion hat ergeben, es gibt sehr unterschiedliche Zugänge. Eine Kollegin hat erzählt, dass ihr Mann beim Tisch decken mehrere Gabeln hinlegt oder auch mal das Shampoo in den Kühlschrank stellt. Das hört sich sehr lustig an, aber ich dachte gleich: Falls er mal dement werden sollte, könnte es ein bisschen dauern, bis es auffällt.
Ein Kollege hat gesagt, er sei absolut ernst, albern sein sei nichts für ihn. Lediglich unter Alkoholeinfluss sei ein bisschen Lockerheit möglich. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob das nicht ein Scherz war. Merkwürdige, aber eingängige Lieder im Radio scheinen auch zu helfen: Spülbürste in die Hand und mitsingen.
Mit fällt auf, dass das gemeinsame Abendessen bei uns scheinbar oft der Ort für Albernheit ist. Letztens haben wir plötzlich angefangen, in Quatschsprache zu reden. Das geht dann in etwa so: "Häbe gudemu ne gwaltisun habugenlate" und ein fragender Blick. Die Antwort eines der Kinder: "Sobenalu gebawutase habugemu telbutu" und so weiter. Ich habe mich ein bisschen hereingesteigert und plötzlich eine etwas lautere Rede gehalten. Meine Kinder fanden es sehr lustig, aber irgendwas stimmte nicht, das merkte ich. Sie lachten ein bisschen zu ausgelassen. Ich war verunsichert und habe aufgehört mit meiner Rede.
Dann habe ich auch schnell gesehen, was sie so amüsiert hat. Hinter mir war das Fenster sperrangelweit geöffnet und die gesamte Nachbarschaft konnte meine Rede verfolgen.