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Wenn ich meinen westdeutschen Freunden erzähle, dass ich nach Chemnitz fahre, erhalte ich oft immer noch gemischte Reaktionen. Die Aufgeschlossenen zeigen sich interessiert, waren vielleicht selbst schon in der Stadt, die dieses Jahr Europäische Kulturhauptstadt ist, und geben einem Hinweise. Die anderen ziehen die Augenbrauen hoch, die Mundwinkel runter und wechseln schnell das Thema.
Wir dagegen fahren öfter nach Chemnitz. Bei unserem jüngsten Besuch sind wir dem Purple Path gefolgt. Das ist ein weites Netz von Kunstwerken im öffentlichen Raum, das für dieses Jahr gesponnen wurde, aber in großen Teilen erhalten bleiben soll. Es verbindet Chemnitz mit vielen kleineren Städten und Dörfern im Erzgebirge. Auf diesem Kunst- und Skulpturenweg kann man wunderbare Entdeckungen machen – zu Fuß in Chemnitz, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto in der Umgebung. Um einem die Orientierung zu erleichtern, gibt es Vorschläge für Routen.
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Über 70 Kunstwerke gilt es zu entdecken. In der Stadt haben wir uns fast alle erlaufen. Im Erzgebirge haben wir immerhin fünf geschafft. Aber wir wollten eben auch die Orte selbst näher kennenlernen. So fuhren wir nach Schneeberg, um eine Skulptur von Sean Scully zu besuchen.
Wenn man schon da ist, geht man natürlich auch in die St. Wolfgangkirche mit ihrem Cranach-Altar und danach in das Museum für bergmännisches Kunsthandwerk mit seinen mechanischen Weihnachtskrippen und -bergen (den Vorläufern des Hamburger Miniaturwunderlandes).
Von Berlin kommend, muss man sich im Erzgebirge erst einmal daran gewöhnen, dass hier nicht so viele Menschen unterwegs sind. Dafür wird man nicht angemotzt oder angeschwiegen. Im Gegenteil, auf unserer Tour haben wir überaus freundliche, interessante und anregende Gespräche mit wildfremden Menschen geführt, wie schon seit langem nicht. Zum Glück hatten wir entspannt Zeit dafür. Manches Vorurteil, das einem medial eingetrichert wurde, löste sich da in Luft auf – hoffentlich auch für unsere Gesprächspartner.
Das Kulturhauptstadtjahr ist zur Hälfte um. Als Besucher staunt man, was alles – mit vergleichsweise wenig Mitteln und Menschen – gelungen ist. Den Purple Path haben wir nicht im Ansatz ausgeschöpft. Dafür haben wir das NSU-Dokumentationszentrum besucht und die großartige Ausstellung zur Kunst der Neuen Sachlichkeit im Gunzenhauser Museum.
Vieles kommt noch, zum Beispiel eine neu komponierte Oper zum wichtigsten Chemnitz-Roman "Rummelplatz" von Werner Bräunig. Wir wollen versuchen, im Herbst noch einmal diese Stadt und die Region zu besuchen. Vielleicht machen sich dann auch die letzten Augenbrauen-Hochzieher und Mundwinkel-Runterzieherinnen auf den Weg.