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Jedes Mal, wenn ich im Advent von München aus ins Erzgebirge fahre und die ersten Schwibbögen mit den kunstvollen Holzornamenten in den Häusern sehe, weiß ich, dass ich wieder von dem besonderen Licht der Weihnachtszeit umgeben bin. Und ich komme zur Ruhe.
Bei einem Besuch in meiner Heimatstadt Annaberg-Buchholz diesen November bin ich über einen Aufkleber gestolpert, der an der Fensterscheibe eines zugemachten Ladens in der Innenstadt platziert war. "Das Licht bleibt an, das ist unsere Tradition.", stand da. Ein Protest gegen die angedachten Sparmaßnahmen im Winter dieses Jahres in Folge der Energiekrise - und zugleich Ausdruck der tiefen Verbundenheit mit dem Licht, das in der Region identitätsstiftend ist. Jetzt erst recht lassen wir das Licht an, denken etliche im Erzgebirge. Nun nach zwei Jahren der Pandemie mit ausgefallenen Weihnachtsmärkten und Veranstaltungen bahnt sich das Licht deshalb seinen Weg zurück, zögerlicher, aber nicht weniger kraftvoll als vor drei Jahren. Und ich staune über den wundervollen Lichterglanz.
Als ich zum Studium nach Erfurt gezogen bin, kam es mir das erste Mal wirklich bewusst in den Sinn, dass das Erzgebirge untrennbar mit dem Licht verbunden ist. Und dass in vielen Regionen außerhalb des Erzgebirges zwar ebenfalls Lichter in der Weihnachtszeit leuchten, aber oft nur vereinzelt als teils kitschig bunt blinkende Lichter, einem Stern am Fenster oder aufgestellte Figuren im Garten.
Wir sind die Dunkelheit nicht mehr gewöhnt
Der helle Schein und die Wärme begleiten die Menschen in der Region seit Jahrhunderten. Das Licht spielte in der Zeit des Bergbaus eine essentielle Rolle. In den zahllosen engen Schächten unter Tage herrschte eine erdrückende Finsternis, die nur wenige von uns kennen. Wir sind nahezu immer von Licht umgeben - oft durch künstliche Beleuchtung, ab und an auch durch die Sterne am Firmament, die uns in klaren Nächten wunderbare Stunden bescheren, wenn wir andächtig und staunend in den Nachthimmel blicken.
Ich bin seit ich ein kleines Kind war in zahlreichen Schaubergwerken gewesen und gebückt durch die schmalen, feuchten Gänge gelaufen. Für mich ist diese entbehrungsreiche Arbeit unter Tage heute unvorstellbar. Wie gut, dass es einen stabilen knallgelben Schutzhelm und einen wasserdichten Poncho gibt, mit dem man zwar oft wie ein aufgeplustertes Michelin-Männchen aussieht, aber dafür vor schmerzhaften Zusammenstößen mit niedrigen Gesteinsdecken und heruntertropfendem Wasser geschützt ist.
Wenn bei einer Führung zur Veranschaulichung der damaligen Arbeitsbedingungen das Licht von einer zu nächsten Sekunde ausgemacht wird, herrscht komplette Finsternis. Ich schließe dann oft meine Augen - doch es macht keinen Unterschied, denn die Dunkelheit ist die selbe. Sekunden vergehen. Die Gedanken kreisen, man fühlt sich ohne Orientierung hilflos. Ich harre an der Stelle aus. Nach einer Minute, die sich wie eine Ewigkeit anfühlt, flackern die an den Stollendecken angebrachten Lampen wieder auf und bringen das Licht zurück in die Finsternis.
Im Bergwerk erleuchtet ein kleines Streichholz einen ganzen Raum
Manchmal kramt der Tourführer mitten in der Dunkelheit in seiner Tasche und zückt eine Streichholzschachtel. Ein- oder zweimal höre ich dann, wie er mit dem Streichholz rasch über den Schachtelrand fährt. Dann entzündet es sich. Und mit ihm erstrahlt der Raum in einem warmgelben Licht, das flackernde Schatten der neben mir stehenden Personen an die unebenen, kantigen Wände wirft. Ein kleines dünnes Holz. Mit einer so unglaublichen Strahlkraft, die Verborgenes sichtbar macht und die Angst dahinschwinden lässt. Es fasziniert mich immer wieder. Gleichzeitig kann ich mir die Bergwerke im Erzgebirge ohne die eintönig summenden elektrischen Leuchtstoffröhren, die sich heutzutage systemartig durch die Besucherbergwerke ziehen, nicht mehr vorstellen. Zu vertraut bin ich mit dem Licht. Zu unbekannt ist mir die völlige Finsternis, der so viele Bergleute begegnet sind.
Die Kerzen erhellen die einsetzende Dämmerung
Die zahllosen Stolleneingänge zu den Bergwerken, die in all den zurückliegenden Jahrhunderten entstanden sind, spiegeln sich in den Schwibbögen wider. Die rundliche Form eines Schwibbogens verdeutlicht den Stolleneingang in das Bergwerk. Früher wurde er auch "Schwib-" oder "Schwebebogen" genannt, ähnlich eines Bogens, der frei zwischen zwei Gebäuden oder Mauerwänden schwebt. Wenn man es genau nimmt, ist das gesamte Erzgebirge in der Weihnachtszeit erleuchtet, denn fast jeder Ort, jede Straße, jedes Haus und jedes Fenster erstrahlt in einem gelblichen Licht durch seine vielen Schwibbögen, die Jahr für Jahr pünktlich aus ihren Kartons geholt und aufgestellt werden.
Auch große beleuchtete Pyramiden sehe ich vielerorts in den Orten auf Marktplätzen aufgestellt. Oder kleinere in den Stuben. Mein 94-jähriger Opa hat noch eine größere, alte Pyramide im Wohnzimmer in der Weihnachtszeit stehen. Ich selbst erfreue mich an einer winzig kleinen mit drei niedlichen Figürchen, die man auf die Heizung stellt - und dabei auch der Brandgefahr ein Stück weit aus dem Weg geht.
In der Weihnachtszeit liebe ich dann besonders eine Fahrt mit einer der alten Dampflokomotiven, die in ehrenamtlicher Arbeit gepflegt und erhalten werden. Wenn man so langsam vor sich hin tuckert, der Rauch emporsteigt und man mit Glühwein und Lebkuchen im Waggon sitzt, spüre ich ein heimeliges Gefühl. Ich genieße es, durch die Winterlandschaft mit den schneebedeckten Baumwipfeln und den weiten glitzernden Feldern zu fahren. Oder in den späten Nachmittagsstunden bei einsetzender Dämmerung. Dann sehe ich das Licht.