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Ist Baumschmücken Kunst? In vielen Familien beginnt mit dem Akt des Behängens und Verzierens das Weihnachtsfest. Und nicht wenige entdecken angesichts eines nackten grünen Tannenbaums den Dekorationskünstler in sich.
Auch der Fotograf Andreas Mühe hat das Baumschmücken zur Kunstform erhoben – allerdings eher als Versuch, Erinnerungen festzuhalten denn als besinnliche Einstimmung auf Heiligabend. Mit einer fast schon heiligen Beharrlichkeit hat Andreas Mühe, wegen einiger bemerkenswerter Angela-Merkel-Porträts lange zu Unrecht als reiner Kanzlerinnenfotograf verbucht, aus Familienalben die ersten 38 Weihnachtsbäume seines Lebens rekonstruiert.
Er hat dafür Strohsternchen, Wachskerzen oder Engelfiguren aus dem Keller der Eltern geholt oder, was fehlte, nach der Fotovorlage auf Trödel- und Antiquitätenmärkten zusammengesucht.
Es ist aber weniger die Dekoration, die an dem Baum als Erstes ins Auge sticht, als das mangelnde Licht. "O Tannenbaum, wie lang sind deine Schatten?!" Das ist die Assoziation, die sich beim Blick auf diesen Baum einstellt. Er ist regelrecht in die Ecke gedrängt, nüchtern in Szene gesetzt, seiner festlichen Symbolik beraubt – kein behaglicher Wohnzimmerteppich, keine Kinder unterm Baum, die buntes Papier von den Geschenken reißen, kein angedudelter Vater im blinkenden Rentierpulli, der versucht, die Weihnachtsgeschichte zusammenzukriegen.
In Ausstellungen hängen Andreas Mühes 38 Weihnachtsbäume im Postkartenformat in der Regel neben- und untereinander. Sie ergeben so ein Fotomosaik der Familiengeschichte, nadelige Erinnerungsstützen. Die Unterschiede beim Schmuck werden dabei offensichtlich: War es ein gutes Jahr in der Mühe-Familie, so wie offenkundig bei diesem Baum, ist er reich verziert. Unter einem traurigen Jahr hingegen leidet auch die Deko.
So war der Weihnachtsbaum der Familie im Todesjahr von Vater Ulrich Mühe (ja, dem Schauspieler) praktisch nackt und trug nur ein paar weiße Kerzen. "Zeichen der verrinnenden Zeit" hat Andreas Mühe seine Fotoserie genannt.
Die langen Schatten künden also weniger von einer lichttechnisch ungünstigen Studiosituation als vielmehr vom Verblassen der Erinnerung, vom Dämmern der Zeit. Was für ein passendes Symbol! Weihnachten gilt gemeinhin als Fest der Besinnung (nicht nur der Besinnlichkeit). Ein Moment zum Ende des Jahres hin, um noch einmal das zu sammeln, was in den vergangenen zwölf Monaten geschehen ist.
Die Dekoration ergibt sich aus dem Charakter des ablaufenden Jahres. Der Schatten rührt aber auch von der ungewissen Zukunft her: Denn von Weihnachten aus geht der Blick wieder stramm ins neue Jahr. Ein Baum an der Stelle des Übergangs – nehmen Sie sich also ruhig ein bisschen Zeit für den Schmuck. Es lohnt sich.