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Das wunderbarst neugestaltete Diözesan-Museum in Freising liegt nur eine halbe Stunde von München entfernt und ist ein Ort zum Staunen: von Grund auf saniert, neu eingerichtet, eine weit geöffnete, klug geordnete Schatzkammer christlicher Kunst von den ersten Anfängen bis zur Gegenwart.
Auf die ebenfalls nicht ganz unwichtige Frage "Was ist europäische Kultur?" findet man hier reiche Hinweise. Doch hier jetzt zu einer kleinen Ausstellung, die in Freising gerade zu sehen ist.
Gezeigt werden Werke von Thomas Lehnerer, die im Besitz des Museums sind. Damit wird seines 70. Geburtstags und zugleich seines 30. Todestages gedacht. Lehnerer war vieles zugleich: Theologe, Philosoph, Künstler, Pädagoge. Ich habe seine Bücher über die Ästhetik von Friedrich Schleiermacher und die "Methode der Kunst" gelesen, mich mit seinen Gedanken über das Glück beschäftigt, seine Kunstwerke, wo immer möglich, angesehen. Persönlich gekannt habe ich nicht. Aber ich weiß, wie viel er älteren Kollegen und Weggefährten bedeutet hat, wie sehr sein viel zu früher Tod – er litt an einer unheilbaren Nervenkrankheit – sie erschüttert hat.
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Erschütternd ist auch, wie schnell selbst eine Ausnahmegestalt wie Thomas Lehnerer vergessen wird. Der Wissenschaftsbetrieb läuft weiter, die Kunstwelt richtet sich auf neue Namen aus. Umso verdienstvoller ist es, dass in Freising an ihn erinnert wird – auf eine Weise, die ihm wohl gefallen würde. Feinsinnig und beziehungsreich werden eine große Installation, mehrere Zeichnungen und kleine Plastiken von ihm so ausgestellt, dass man lange verweilen möchte.
"Homo pauper" ist der Titel der Ausstellung, ist der Oberbegriff für eine Reihe seiner Kleinplastiken. "Armer Mensch".
Der Mensch ist seinem Wesen nach klein, machtlos, verletzlich, beschädigt, sterblich. Er ist nicht groß, gebieterisch, aufrecht, angriffslustig, tatkräftig, ewig. Der Mensch ist eben nicht reich, sondern arm. Aber genau darin liegt seine Würde, seine Schönheit – ja, ich würde noch einen Schritt weitergehen: seine Gottebenbildlichkeit.
Lehnerer war ein hochreflektierter Konzeptkünstler, am Ende seines Lebens ging er zurück zum Einfachen und Handgreiflichen. Das mag auch an seiner Krankheit gelegen haben. Aus Wachs oder Brotresten formte er Figuren, die er dann in Bronze ausgießen ließ. Man kann sie lange betrachten und sich in ihnen spiegeln: So ein armer Mensch bist auch du. Sie sind so human, weil die Hand des Künstlers noch auf ihnen sichtbar ist. Am liebsten würde man sie selbst in die Hand nehmen – leider verboten –, um die Handgriffe des Künstlers, den Druck und die Bewegung seiner Finger nachzuvollziehen. Schade, dass es in der Kunst heute immer nur ums Anschauen geht. Das Anfassen gehört doch eigentlich auch dazu. Aber man kann ja auch mit einem ruhigen, nahen Blick ein Kunstwerk er-fassen.
"Ecce homo" – "Siehe, ein Mensch", hat Pilatus gesagt, als er auf den zu Kreuzigenden gezeigt hat. "Ecce homines" – "Seht, so sind wir Menschen", könnte man mit Blick auf die Figuren von Thomas Lehnerer sagen. Wir sind arm und genau darin Christus ähnlich. So kann man in dieser Ausstellung dem Wort "arm" etwas Gutes, Tröstliches abgewinnen. Als ich hinausging, habe ich an Luthers berühmten letzten Zettel gedacht. Kurz vor seinem Tod hatte er geschrieben: "Wir sind Bettler, das ist wahr."