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Es ist Berlinale. Das war in den vergangenen Jahren eher kein Grund zur Freude. Die prämierten Filme sind selten länger in Erinnerung geblieben. Dafür gab es allerlei Aufregungen über einseitigen Politaktivismus von einigen Künstlern auf der einen Seite und feige Hilflosigkeit im Umgang damit bei den Verantwortlichen. Nun soll es unter der neuen Leiterin, Tricia Tuttle, wieder besser werden.
Und immerhin ist es dieses Mal gelungen, die beliebte Schauspielerin Tilda Swinton nach Berlin zu holen. Sie wurde für ihr Lebenswerk ausgezeichnet und hielt die Eröffnungsrede. Das war ein kurzer Text, der jedoch eine Nachbetrachtung wert ist. In Schwarz gekleidet, mit strenger Mimik und unbedingtem Pathos stellte sie darin zwei Mächte einander gegenüber.
Dort die Mächte des Bösen – Diktatoren, Oligarchen, Populisten und ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und hier das Kino – die Kunst des Guten, die Überwindung aller Grenzen, die Verteidigung der Menschlichkeit, die allumfassende Inklusion.
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Der Saal jubelte. Diese Begeisterung übertrug sich nicht so recht auf mich, als ich die Rede auf YouTube nachschaute. Dieser Dualismus mag als Ego-Marketing (einer Schauspielerin und einer Branche) durchgehen, mit der Wirklichkeit hat er wenig zu tun.
Die Filmbranche bringt Gutes und Schlechtes hervor, manchmal große Kunst, oft massenhaften Kommerz. Mal sendet sie Signale der Menschlichkeit, oft gehorcht sie den Gesetzen des Marktes oder dient sich neuen Machthabern an. Wie kommt Frau Swinton also zu der Behauptung, dass in einer Welt, die im Finstern liegt, ausgerechnet das Kino das "Licht" sei, "das nicht ausgeht"?
Zusatzfrage: Wie verhält sich Swintons Beschwörung der absoluten Nichtdiskriminierung im Kino zu ihrer positiven Einstellung gegenüber der BDS-Bewegung? BDS steht für "Boykott, Desinvestition und Sanktionen" und richtet sich unter anderem gegen Waren aus Israel sowie gegen die Zusammenarbeit mit Israel in Kultur und Wissenschaft. Swinton hatte ihre Sympathien für BDS zuletzt auf einer Pressekonferenz der Berlinale bekräftigt. Sind also Künstlerinnen und Künstler aus Israel für Swinton nicht auch Menschen, die ein Anrecht darauf haben, gesehen, gehört, eingeladen, gecastet und gebucht zu werden?
Nun muss man sich über die BDS-Nähe von Frau Swinton nicht groß aufregen. Diese spezifische Form des israelbezogenen Antisemitismus gehört zum Selbstverständnis eines großen Teils der britischen Kulturszene. Vielleicht hat sie selbst nie groß darüber nachgedacht, sondern nur nachgesprochen, was in ihrem Milieu als comme il faut gilt. Gerade bei überprivilegierten Vertreterinnen und Vertretern eines radical chic ist selbstkritische Reflexion eher nicht so eingeübt. Aber es wäre freundlich gewesen, wenn sie sich vor ihrem Auftritt ausgerechnet in der Berlin gefragt hätte: Anders als all die bösen Männer schließen wir Kinoleute niemanden aus, allerdings kaufen wir nicht bei Juden – so verstehe ich zugespitzt die Forderungen von BDS - ergibt das irgendeinen Sinn?
Es sind solche Reflexionslücken, man könnte auch von Heuchelei sprechen, die dazu führen, dass der rhetorische Einsatz von Showgrößen für das Gute in der Politik so gar keine Wirkung zeigt. Das konnte man schon bei der letzten Wahl in den USA sehen, was einen Anlass für einen Moment selbstkritischer Nachdenklichkeit geboten hätte.
Ob der Auftritt von Tilda Swinton auf der Berlinale kurz vor der Bundestagswahl potentielle AfD-Wähler noch auf den rechten Weg bringen wird? Ich glaub’s nicht.