Arsenal in Tübingen
Es klingt banal, ist aber trotzdem nicht von der Hand zu weisen: Filme werden erst im Kino zu Kino. So hatte ich zwar schon vorher Filme gesehen, aber was Kino ist, das habe ich erst als Jugendliche im Tübinger "Arsenal" entdeckt. Der Großteil der Programmkino-Standards der späten 70er und frühen 80er ist für mich unlösbar mit diesem einen kleinen Raum verbunden. Da gab es die gängigen Popmusikfilme der Zeit wie "Concert for Bangladesh" und "Cream live", aber auch Sehgewohnheiten schwer herausfordernden Stoff wie "Koyaanisqatsi" und John Waters’ "Polyester", echt nur mit Odorama-Scratch-Karte. Und natürlich die "Rocky Horror Picture Show", später Jean-Jacques Beineix’ "Diva", die über Jahre hinweg Fixpunkte im Programm bildeten.
An den Wänden im Saal, ich habe es noch genau vor Augen, fesselten zwei Filmplakate immer wieder meine Aufmerksamkeit: die lachenden Frauen aus Alain Tanners "Messidor" und der Titel von "Jonas, der im Jahr 2000 25 Jahre alt sein wird", ebenfalls ein Tanner-Film. Wie weit weg das Jahr 2000 damals schien!
Das 1974 eröffnete 100-Plätze-Kino war nie ein "Palast", sondern rockte immer schon den Charme des gut Eingesessenen. Dass das Foyer eine Kneipe ist, erleichterte das Alleinegehen – man fiel unter den sich mischenden Kino- und Kneipengängern nie auf. Es machte zugleich auch das Verabreden einfacher: Man musste nicht lange über das "Danach wohin?" diskutieren, sondern konnte nahtlos das Filmgespräch fortsetzen. Heute müssen die Betreiber gegen die Kündigung der Räumlichkeiten kämpfen. Hoffentlich haben sie Erfolg.
Barbara Schweizerhof
Caligari Filmbühne in Wiesbaden
Der Trend bei Kinoneubauten geht wieder zum Großraum. So schön das ist: Die Theatersäle selbst sind heutzutage meist funktional, vier dunkel gehaltene Wände mit ein paar Lampen darauf. Wer weiß, vielleicht kommen deshalb viele Besucher erst dann, wenn sich die Werbung ihrem Ende zuneigt . . .
Aber Kino, das war einmal mehr: Raum- und Lichtinszenierung, draußen wie drinnen. Schon beim Betreten des Saales sollte das Staunen beginnen. Es haben sich nicht mehr viele Kinos aus der zweiten großen Zeit des Kinobaus, den 50er Jahren, erhalten. Die "Caligari Filmbühne" ist eines von ihnen – und eines der schönsten Kinos in Deutschland. 1926 wurde es eröffnet, aber Mitte der 50er Jahre umgebaut, von Ludwig Goertz, zu einem Traum in Licht und Raum. Die Decke ist wellenförmig, mit kleinen, wie ins Wasser gefallenen Blättern drauf, und endet mit einer großen Woge vor der Leinwand. Die Saalbeleuchtung entspringt goldenen Pflanzenwedeln. Eine Mischung aus Fifties, Jugendstil, Organik und ein bisschen Poelzig.
Das "Caligari" gehört der Stadt Wiesbaden, und es beherbergt das "exground"- und das "goEast"-Festival. Jedes gute Kino verändert auch ein bisschen den Film. Im "Caligari" ist der Zuschauer kompromissbereiter. Wenn Sie zum ersten Mal ins "Caligari" gehen: Kommen Sie eine Viertelstunde vor dem Film!
Rudolf Worschech
Klick in Berlin
Eine der erfreulichsten Rückentwicklungen der Berliner Kinoszene ist die Wiederentdeckung der Nachbarschaft. Die Kiezkinos schlagen dem raschen Verschwinden der Filme ein Schnippchen: Sie führen dort ein entspannteres Leben, sind nicht gleich von der Verdrängung durch neue Titel bedroht.
Die Kinobesitzer arbeiten engagiert daran, ihnen ein treues Publikum zu schaffen. Einige leisten diese Nahversorgung mit einer liebevollen Programmgestaltung, die auch das Repertoire pflegt (etwa im "Bundesplatzkino"), andere lassen die alte, festliche Aura mit Samt, Stuck und Kronleuchtern verlockend wieder aufleben (besonders die "Passage" in Neukölln). Da ist die Wahl eines Favoriten schwer.
Meine fällt aus mehrfach sentimentalen Gründen auf das "Klick" am Stuttgarter Platz in Charlottenburg. Es hat eine lange, bewegte Geschichte, die 1911 begann. Meine Erinnerungen aus Studienzeiten verbinden sich mit der Wiederaufführung von polnischen Klassikern wie "Die Handschrift von Saragossa" und Jerzy Kawalerowicz’ "Nachtzug". Damals gelangte man noch durch eine verrauchte Kneipe zum Kinosaal. 2017 eröffnete das "Klick" wieder, mit frischem Elan und anspruchsvollen Filmen. Danach gab es Probleme mit dem Vermieter, aber totzukriegen ist es nicht. Seit Anfang Juli hat es erneut seine Türen geöffnet. Ein Kino, das am ersten Tag "Die Müßiggänger" zeigt und so den 100. Geburtstag von Alberto Sordi feiert, muss man einfach lieben.
Gerhard Midding
Schauburg in Leipzig
Unter dem dreistufigen Art-Déco-Giebel werden den Bildern seit 1928 Beine gemacht, heute natürlich mit moderner Technik. Der Architekt Hermann Mäding hat das Gebäude einst für den Rudolf-Film-Verlag entworfen. 2006 bis 2008 wurde es saniert, aber nicht verändert, Charme und Atmosphäre blieben erhalten. Von der Popcornbar grüßen melancholisch Stan Laurel und Oliver Hardy, die Barecke lockt wie eine gemütliche Küche.
In den unterschiedlich farbigen Sälen für insgesamt 435 Zuschauer läuft natürlich "Gundermann" (wir sind in Leipzig!), aber auch "Wer wird die Zukunft verändern?". Der Montag gehört den Originalen, das Wochenende den Familien, und wenn das Internationale Festival für Dokumentar- und Animationsfilm Pause macht, kann man sich die Festivalfilme hier noch mal anschauen.
Ich mag an der "Schauburg", dass sie nostalgisch ist, aber nicht verzuckert, publikumsnah, aber nicht populistisch. Ein bisschen ist es wie mit den Cafés in Leipzig: Die charmanten findet man nur noch in den Vierteln außerhalb der Innenstadt. Und während vor der "Schauburg" im unglamourösen Stadtviertel Kleinzschocher die Autos lärmen, kann man drinnen stille und große Filmmomente genießen. Nach der Pandemiepause geht es am 4. September wieder los, verspricht Betreiber-Familie Schönberg – dann leuchtet der Schriftzug des Kinos wieder blau in die Nacht.
Ute Grundmann
Lichtburg in Essen
Manche Kinoerlebnisse sind unvergesslich. Meist sind es zwar die Filme, die sich ins Gedächtnis brennen. Doch gelegentlich hinterlässt das Kino selbst einen noch größeren Eindruck. Ich gestehe, dass ich nicht mehr weiß, welches der erste Film war, den ich in Essen in der "Lichtburg" gesehen habe. Aber eins ist mir heute noch so gegenwärtig wie damals: der Blick, der sich mir bot, nachdem ich den Mittelgang im Parkett bis zur Bühne gegangen war und mich umdrehte. Dieser Blick zurück in den Saal, hoch zum Rang und zum Balkon hat etwas Überwältigendes, vor allem für jemanden, der in den 1980er und -90er Jahren mit den Schachtelkinos der westdeutschen Innenstädte und später mit den gesichtslosen Multiplex-Sälen kinosozialisiert wurde.
Sascha Westphal
Provinz in Enkenbach-Alsenborn
In Queidersbach am Rande des Pfälzer Waldes wagten 1980, inspiriert vom Erfolg des Berliner Programmkinos "Filmkunst 66", unternehmungslustige "Kinobuben" die Wiedereröffnung des traditionsreichen Dorfkinos. Die Filme des "Provinz"Kinos, das eine glückliche Symbiose mit einer Dorfkneipe einging, bedeuteten für mich, in Zeiten des Dreiprogrammfernsehens aufgewachsen, ein kulturelles Erwachen. Kaum war der Führerschein bestanden, fuhren wir am Wochenende nach Q-bach. Dort machte es ständig "klick": Wir sahen Filme, die rote Ohren erzeugten ("Casanova" von Fellini), herrlich respektlos waren ("Das Leben des Brian"), verstörten ("Eraserhead").
1987 zog das "Provinz" in ein anderes verwaistes Kino im Landkreis Kaiserslautern um, nach Enkenbach-Alsenborn, Wohnort von Fußballgott Fritz Walter. Im Laufe der Jahre entwickelten die engagierten Betreiber, die sich oft aus Kinobesuchern rekrutierten, ein enorm vielseitiges Programm. Seit Jahren ist das "Provinz", mit Preisen überhäuft, im weiten Umkreis ein Treffpunkt und eine feste Größe im Kulturleben. Durch die Corona-Zwangsschließung geriet es ausgerechnet zum 40-Jährigen in seine tiefste Krise. Spenden und Sicherheitsmaßnahmen zum Trotz trauen sich seit der Wiedereröffnung nur wenige Besucher hin. Mit einer Open-Air-Reihe sollen die schlechten Zahlen etwas aufgefangen werden. Denn die Hinterpfalz ohne "Provinz"-Kino, das ist wie Paris ohne Eiffelturm: einfach undenkbar.
Birgit Roschy
Mon ami in Weimar
Die Filmstarfotos sind einfach an die Wand gepinnt – so wie man es vielleicht auch zu Hause macht. So lassen sich die Favoriten schneller auswechseln. Das passt auch gut zum jungen Publikum, das Kino ist Teil eines Jugend- und Kulturzentrums.
Die Adresse ist beeindruckend: Goetheplatz, das weiße klassizistische Gebäude auch. Doch Ehrfurcht oder Schwellenangst muss hier niemand haben, eine Altersgrenze gibt es nicht. Ein Mehrgenerationenkino sozusagen, mit kleinem, anheimelndem Foyer, das einladend wirkt und zugleich Zutritt zum Kulturzentrum gewährt. Der Filmsaal strahlt in Orange und Rot, über den Sitzreihen leuchtet ein Lämpchenhimmel.
Seit 1999 kann hier, wer will, Filme reihenweise gucken: Solche der DEFA und viele "Wider das Vergessen" (das frühere Konzentrationslager Buchenwald ist nur ein paar Busminuten entfernt). Hier gibt es aber auch Cinéma francais und Stummfilme mit Livemusik – der erfolgreichste war und ist Fritz Langs "Metropolis".
Für die anspruchsvolle Programmgestaltung gab’s 2014 den Programmpreis der DEFA-Stiftung und schon zwölf Mal den Kinopreis des Kinematheksverbundes. Auch an verstorbene Schauspieler wie Ulrich Mühe oder Susanne Lothar wird hier auf der Leinwand regelmäßig erinnert. So komme ich denn, wenn die beruflichen Termine im Nationaltheater oder im Neuen Museum abgearbeitet sind, gern hierher und genieße großes Kino und lockere Atmosphäre.
Ute Grundmann
Harmonie in Frankfurt
Das Programmkino in Frankfurt-Sachsenhausen: unzählige Erlebnisse. Darunter auch ein beklemmendes. Ein Bekannter und ich schauten "Lebendig begraben"; der lief vor einer Ewigkeit in einer Roger-Corman-Reihe. Irgendwann erwachte der Held, Ray Milland, trotz akribischer Vorkehrungen gegen genau diesen Fall, in seinem eigenen Grabmal – über ihm der Sargdeckel. Ein unerwarteter Tiefschlag. Ich hatte eine Panikattacke. Konnte kein Wort darüber verlieren. Es geht, so viel weiß ich heute, um die Angst, vom Mutterleib verschlungen zu werden. Das macht es nicht besser.
Es gab auch Erlebnisse mit mehr Harmonie. Das erste Mal hörte ich von diesem Kino im Kunstunterricht. Das war kurz nachdem die Strandfilm GmbH 1977 das heruntergekommene Pornokino übernommen hatte. Der Mitschüler erzählte mit leuchtenden Augen von "Peeping Tom". Von da an war ich Stammgast. Der Balkon wurde mein zweites Wohnzimmer.
Bei einer meiner ersten Pressevorführungen sah ich die Wiederaufführung von Eric Rohmers "Im Zeichen des Löwen". Und zwar ganz allein mit der pensionierten FAZ-Redakteurin Brigitte Jeremias. Als ich sie etwas fragte, erklärte sie: "Junger Mann, schauen Sie in Ihr Filmlexikon."
Unvergessene Filmerfahrungen: "Le dernier combat", das Debüt von Luc Besson; "Ein Z und zwei Nullen", die Greenaway-Zeit. Allerdings lief hier auch der schlechteste Film aller Zeiten, Julien Temples Musical "Absolut Beginners". Übel fand ich auch den Stinkbombenanschlag der RAF-Sympathisanten, die Fassbinders Terrorparodie "Die dritte Generation" boykottierten. Jahrelang roch es nach Buttersäure.
Das Kino wurde immer mal renoviert; kürzlich wurde es unter der Leitung der "Arthouse Kinos Frankfurt" umgebaut und einer regelrechten Frischzellenkur unterzogen, mit neuem Bistrobereich. Früher hing eine Zeit lang ein Mugwump an der Decke, eine halluzinierte Figur aus David Cronenbergs "Naked Lunch". Nicht vergessen darf man das "Fantasy Filmfest", das eine Weile in der Harmonie gastierte. Da lief etwa der unvergessene Mockbuster "Carnosaur". Roger Corman, wer sonst, nutzte die Publizität um "Jurassic Park" aus und brachte den Trash-Saurierfilm vier Wochen vor dem Start von Spielbergs Blockbuster ins Kino. Panik hatte ich diesmal nicht.
Manfred Riepe
Abaton in Hamburg
Liebe auf den ersten Blick – bloß ein Klischee? Es gibt sie wirklich, zumindest für mich: als Faszination, die von einem Ort ausgeht, seiner Atmosphäre, den Menschen, die ihn bevölkern oder noch Jahre nach ihrem Besuch weiter strahlen.
Es war im April 1994, als diese meine erste Hamburger Liebe entflammte. Als junge Studentin aus einer rheinischen Kleinstadt nach Hamburg gekommen, wurde ich gleich nach der Ankunft am Allende-Platz im Univiertel von ihr erfasst, vor einem Café. Im Hintergrund ein Kino, der Schriftzug, die Schaukästen, sie schienen aus einer anderen Zeit und verströmten einen Zauber, den sie nie wieder verloren haben: das "Abaton", 1970 als eines der ersten Programmkinos in Deutschland eröffnet, immer mit dem Anspruch, sich vom Mainstream abzuheben, zum politischen Diskurs beizutragen, mit der Auswahl der Filme, mit Filmgesprächen, Premieren, als Festivalkino des Filmfests Hamburg. Knapp 30 Jahre prägte Matthias Elwardt das Programm, inzwischen ist Geschäftsführer Felix Grassmann, Sohn des Gründers, dafür verantwortlich.
Britta Schmeis
Werkstattkino München
Es hat einen besonderen Charme, dieses Kino. In einem Hinterhof und im Keller gelegen, wirkt es gemütlich, aber auch ein bisschen unheimlich, vielleicht verrucht. In seiner ganzen Verfahrensweise (Programmzettel, Handkasse, Kasten Bier) ist es allabendlich ein analoges Ein-Mann/Frau-Unternehmen, wenngleich es inzwischen natürlich über eine Homepage verfügt und auch mal (oder öfter) digital vorgeführt wird.
Mittlerweile hat das Münchner "Werkstattkino" 44 Dienstjahre auf dem Buckel und muss niemandem nichts mehr beweisen. Der Ordnungsmacht nicht das Recht auf abweichende Ausdrucksformen und den radikalen Kräften linker und rechter Hand nicht das Recht auf eine andere Meinung; es wurde auch schon länger kein Wachtmeister mehr vorstellig, um eine Kopie aus dem Projektor zu zerren und mit drakonischen Strafen zu drohen.
Ich habe dieses Kino kennengelernt, da herrschte mit feudaler Großgeste Franz Josef Strauß in Bayern, und der kleine Kellerraum in der Fraunhoferstraße mit seinen 46 Sitzplätzen leuchtete wie eine Bastion des Widerstands. Kein Konformismusdiktat, kein Konsenszwang, kein Rechtfertigungsdruck beengte je die Programmierung. Woraus die erstaunliche Vielfalt des Präsentierten herrührt – die doch eines eint: Wider den Mainstream!
Die Randständigen, die Skandalösen, die Chancenlosen, die Obskuren, die Peinlichen, die Fußnoten der Filmgeschichte, die heimlichen Klassiker und die raren Juwelen – im "Werkstattkino" finden sie nicht nur eine Spielstätte, sie haben dort ein Heim.
Alexandra Seitz