Begegnung Christian Stückl und Wolfgang Fischer
Begegnung Christian Stückl und Wolfgang Fischer
Monika Höfler
"Ich hab mir den Jesus erst mal freigeschaufelt"
Intendant Christian Stückl hat in Jesus einen Mann entdeckt, der konsequent seinen Weg geht. Doch was, wenn alle Wege falsch sind? Davon handelt Wolfgang Fischers Film "Styx".
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff
Tim Wegner
25.03.2019

chrismon: Sie kommen beide aus dem Alpenland. Da hängen überall Kruzifixe. Was verbinden Sie mit diesem Anblick?

Wolfgang Fischer: Damit bin ich aufgewachsen, das war etwas Alltägliches. Ein bisschen befremdlich war für mich die Kommunion, wo ich auf einmal den Leib Christi essen sollte.

Christian Stückl: Oberammergau ist ein Herrgott-Schnitzer-Dorf, unser Nachbar war einer. Er hat jede Woche einen Herrgott gemacht. Damit bin ich aufgewachsen, das war normal. Schon als Kind fühlte ich mich von der Kirche angezogen. Ich durfte aber nicht Ministrant werden, mein Cousin war das schon, und der Pfarrer meinte: Ein Stückl reicht. Ich hab mich dann selbst zum Hilfsmesmer gemacht. Ich hatte Schlüsselgewalt über die Kirche und hab auf dem Kirchenspeicher ein heiliges Grab gefunden und restauriert, da konnte man sogar mit einer Kurbel den Jesus rauskurbeln, damit das Grab bei der Auferstehung leer war. Als Kind interessierten mich bei den Passionsspielen nicht theologische Hintergründe, sondern wie das Blut hingeschmiert wird und wie das mit den Nägeln funktioniert. Mit 16 wusste ich, dass ich Passionsspielleiter werden will.

Christian StücklMonika Höfler

Christian Stückl

Christian Stückl, 57, lebt schon immer in Oberammergau. Seit 1987 leitet er dort die Passionsspiele, die auf ein Gelübde von 1633 zurück­gehen. Sie werden ­alle zehn Jahre aufgeführt, das nächste Mal von Mai bis Oktober 2020. Seit 2002 ist Stückl Intendant des Münchner Volks­theaters, wo er unter anderem Schiller, Ibsen, Brecht und Hochhuth ­inszenierte. Gerade ist sein "Hiob" nach dem Roman von Joseph Roth am Burgtheater in Wien zu sehen.
Wolfgang FischerMonika Höfler

Wolfgang Fischer

Wolfgang Fischer, 49, ist ein Wiener Drehbuchautor und Filmregisseur. 2009 kam sein Film "Was du nicht siehst" in die Kinos, 2018 der Film "Styx", in dem er die Notärztin und Einhandseglerin Rike auf eine Reise durch den Atlantik schickt. Dort be­gegnet sie einem ­havarierten Flüchtlingsboot. "Styx" wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Regiepreis Metro­polis und dem ­Österreichischen Filmpreis.

Was sagt den Menschen heute die Passion Christi?

Stückl: Da muss man bei sich selbst anfangen: Was sagt sie mir persönlich? Als Passionsspielleiter habe ich plötzlich alles infrage gestellt: "Der Leib Christi" und "für unsere Sünden gestorben" – was bedeutet denn das? Und: "So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn hingab als Lösegeld für viele."
Fischer: Dass sich jemand für uns opfert, ist ein sehr starkes Bild.

Stückl: Aber hier opfert Gott seinen Sohn für uns. Was sagt uns das? 1934 hat Hitler die Spiele besucht und sie für reichswichtig erklärt. Denn da sehe man auf wunderbare Weise, wie edel der Römer und wie dreckig der Jude sei. Für ihn war das Passionsspiel ein Ausdruck seiner anti­semitischen Ideologie. 1910 schrieb Lion Feuchtwanger, dass die Oberammergauer immer nur von den äußerlichen Begleiterscheinungen der Passion reden: vom Geld. Für mich wurde es immer wichtiger, dass wir uns um die Inhalte kümmern. Die Kirchen haben die Inhalte aber mit Dogmen und Theologie zugestellt. Ich hab mir Jesus erst mal freischaufeln müssen.

Und was haben Sie entdeckt?

Stückl: Einen jungen Juden, der seinen Weg auf Gott aus­gerichtet hat und diesen Weg unglaublich konsequent geht, wissend, dass ihn dieser Weg auch das Leben ­kosten kann. Mit ähnlicher Konsequenz sind auch Sophie Scholl und ihre Mitstreiter ihren Weg gegangen. Mein Opa hat ­immer gesagt: Jesus lehrt uns, wenn einer dich schlägt, dann halte auch die andere Backe hin – das kannst du ja gar nicht ­leben, da wirst du ja zum Schwächling. Aber ­zu ­sagen, dass ich nicht zurückschlage, das ist keine ­Schwäche, sondern Stärke. Ich versuche, den Heiligenschein um Jesus weg­zulassen und ihn verstehbar zu ­
machen.

Herr Fischer, Ihr Film "Styx" erzählt von einer Notärztin, die mit einer Yacht zu einer Insel im Südatlantik segelt, die Ascension heißt: Himmelfahrt. Da ist viel christliche Symbolik drin.

Fischer: Wir hatten bei "Styx" eher an die "Göttliche ­Komödie" von Dante gedacht. Aber der Film hat auch viel mit dem Paradiesgedanken zu tun. Die Hauptfigur segelt zu dieser Insel, wo Darwin Pflanzen aus der ganzen Welt zusammengebracht hat, ein Experiment. Er hat sie sozu­sagen auswandern lassen. Dort leben jetzt Pflanzen zusammen, die sonst nicht zusammenleben. Das funktioniert. ­Früher war Ascension Island eine Vulkaninsel, auf der es gar nichts gab. Jetzt ist dort ein Dschungel, und es regnet. Diese Pflanzenwelt ist das Paradies für die Notärztin Rike. Für andere Menschen ist das Paradies, Sicherheit zu haben.

Die Ärztin trifft unterwegs auf ein havariertes Flüchtlingsboot.

Fischer: Genau. Die Protagonistin fährt von Nord nach Süd, und die Flüchtlinge fahren von Süd nach Nord. Sie treffen sich in dieser rauen, archaischen Welt des Atlantiks. Und beide Seiten stellen sich das Paradies unterschiedlich vor.

Ein Flüchtlingsjunge rettet sich auf Rikes Boot.

Tim Wegner

Claudia Keller

Claudia Keller ist Chefredakteurin von chrismon. Davor war sie viele Jahre Redakteurin beim "Tagesspiegel" in Berlin.
Portrait Burkhard Weitz, verantwortlicher Redakteur für chrismon plusLena Uphoff

Burkhard Weitz

Burkhard Weitz war als chrismon-Redakteur bis Oktober 2022 verantwortlich für die Aboausgabe chrismon plus. Er studierte Theologie und Religionswissenschaften in Bielefeld, Hamburg, Amsterdam (Niederlande) und Philadelphia (USA). Über eine freie Mitarbeit kam er zum "Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt" und war mehrfach auf Recherchen in den USA, im Nahen Osten und in Westafrika. Seit November 2022 betreut er als ordinierter Pfarrer eine Gemeinde in Offenbach.

Fischer: Und er ist nicht der demütige, dankbare Mensch aus Afrika. Er stellt Forderungen, er will, dass die Seglerin mehr Menschen von dem havarierten Boot rettet. Wir ­zeigen sie als zwei gleichwertige Menschen und fragen, was passiert, wenn sie sich im Atlantik treffen. Das ist auch eine Frage der Haltung: Unsere Notärztin hat den hippokratischen Eid geschworen, sie ist verpflichtet zu ­helfen. Aber das oberste Gebot eines Notarztes ist eben auch, sein eigenes Leben zu schützen, bevor er eingreift. Dieses Dilemma wollten wir aufzeigen.
Rike findet keine Lösung. In der letzten Einstellung des Filmes sieht man sie völlig zerrüttet. Sie wollte ins ­Paradies und landet – wo? In der Hölle?

Fischer: Nein, in einer Art Auslöschung. Am Anfang des Films sehen wir einen Autounfall in Köln, da kommt sofort eine ganze Armada von Hilfskräften. Auch die Notärztin Rike ist dabei. Auf hoher See ruft sie wegen des havarierten Flüchtlingsschiffes die Küstenwache zu Hilfe, aber sie kommt erst nach ganz langer Zeit. Ein schockierendes Erlebnis. Wenn Menschen an unseren Außengrenzen in Not geraten, hilft kaum jemand. Diesen Kontrast wollten wir zeigen und hinschauen, wo andere wegschauen. Am Ende der Geschichte ist Rike nicht mehr Ärztin. Sie ist gescheitert. Und wird von der Seenotrettung auch noch angeklagt, weil sie geholfen hat. Das ist das Dilemma, in dem wir leben. Da geht es um Nächstenliebe und um ­Menschenrechte und wie sie angewandt werden.

Macht sich Rike schuldig, weil sie nicht mehr Menschen rettet? Sie hätte sich opfern können.

Fischer: Sie ist auch ein bisschen feige. Aber dieses Problem ist natürlich für jeden Einzelnen zu groß. Ihr Schicksal ist ein Appell an uns alle: Es geht um das Wir und nicht um das Ich. Wir müssen zusammenstehen und gemeinsam eine Lösung für das Problem suchen. Die internationale Staatengemeinschaft ist gefordert, wir alle sind gefordert. Gemeinsam mit Ika Künzel habe ich das Drehbuch 2009 ­geschrieben. Die Lage der Menschen, die auf der Flucht sind, hat sich heute noch weiter zugespitzt. Wir erlauben uns, diese 
Menschen als Bedrohung anzusehen. Aber wer hat denn die Krise: Wir? Oder die Menschen, ­die auf der Flucht sind?

"Mit einem Theaterabend biegen wir keinen Seehofer um"

Die Passionsspiele enden immer mit der Erlösung.

Stückl: Ich finde dieses Wort wahnsinnig schwierig. Sind wir erlöst, dann müssen wir nicht mehr darüber reden, dann haben wir das Ziel erreicht. Ich denke, wir sehnen uns nach Erlösung und suchen danach. Vielleicht steckt in dem Weg, den Jesus uns zeigt, Erlösung, wenn wir ihn ­konsequent gehen würden. Deshalb versuche ich, nicht nur die Leidensgeschichte Jesu zu erzählen, sondern vielmehr sein Leben und das, was er predigt, das, was er von uns will.

Und am Ende muss er auferstehen.

Stückl: Wir leben in einer Welt, in der sich jeder etwas anderes unter Auferstehung vorstellt. Das schönste Bild dafür hat die katholische Kirche in ihrer Liturgie für die Osternacht gefunden. Da herrscht totale Dunkelheit, und plötzlich kommt das Licht. Ich zeige die Auferstehung nicht, sondern versuche zu zeigen, dass da ein Licht sein kann. Einer meiner besten Freunde ist Hindu und lebt in Südindien. Ist der weniger erlöst, weil er Jesus nicht ­kennengelernt hat? Wir haben die Erlösung nicht. Wir ­suchen danach. Und sind plötzlich auf so einer Jacht, sehen ein Flüchtlingsboot, können nicht helfen und kommen aus dem Dilemma nicht raus.

Herr Fischer, Sie hätten Ihren Film anders ausgehen ­lassen können. Die Ärztin hätte sich mit dem afrikanischen Flüchtlingsjungen anfreunden können. Man wäre nicht ganz so im Dunkeln sitzengelassen worden.

Fischer: Wir wollten einen Film machen über die Frage: Wer sind wir, wer wollen wir sein, wie würde ich mich verhalten in dieser Situation? Deswegen ist der Film nur aus der westlichen Perspektive konzipiert. Es ging darum, ein emotionales Ereignis mit dem Zuschauer zu teilen. Das hat gut geklappt. In Florenz kam eine Frau auf mich zu, ­die mir sagte, dass sie die Flüchtlingstragödie aus den Nachrichten kennt. Erst nach dem Film konnte sie das emotional nachvollziehen und Empathie empfinden. Auf einmal sieht man Menschen, nicht nur Massen.

Ist das erlöste Happy End immer Kitsch?

Fischer: Für unsere Geschichte wäre das nicht glaubhaft gewesen. 1948 wurde der Versuch gestartet, die Menschenrechte für allgemeingültig zu erklären. Daran erinnert ­jedes Jahr der Tag der Menschenrechte. Seit 2015 gibt es Menschenrechtsverletzungen auch in Europa. Schauen Sie nur in meine Heimat Österreich. Das ist erschreckend.

Stückl: Da muss man gar nicht nach Österreich schauen.

Fischer: Mit einem Happy End aus dem Film zu gehen, ­wäre naiv gewesen. Die Notärztin Rike kann die Welt nicht allein retten. Das können wir nur gemeinsam ­schaffen. Wir müssen uns anschauen, wie wir in der globalen Welt mit den Schwächsten umgehen!

Herr Stückl, braucht die religiöse Inszenierung mehr Humor oder mehr Distanzierung? Sie könnten ja mal in Oberammergau einen ganz schrägen Jesus darstellen.

Stückl: Nein, kann ich nicht. Ich habe eine 400-jährige ­Tradition, und es gibt ein Spielrecht in Oberammergau. Jeder, der da geboren ist oder seit 20 Jahren dort lebt, hat das Recht mitzumachen. Ich muss jeden mitnehmen. Wenn ich einen Jesus inszenieren würde, der ganz weit weg ist von dem, den sie kennen, laufen sie mir davon. Trotzdem kann ich als Regisseur den Blick auf Jesus ausweiten und Akzente setzen. Jedes Kind in Oberammergau kennt die Szene, in der Jesus die Händler aus dem Tempel treibt. Als Kind hab ich immer gedacht: Das muss viel härter sein! Aber Jesus sagt ja auch: Mein Haus ist ein Haus des Gebetes, aber ihr habt eine Räuberhöhle draus gemacht. Deshalb dachte ich: Wir müssen die Szene eigentlich mit einem ­Gebet enden lassen. Aber ein Gebet auf der Bühne so runterleiern wie das Vaterunser in der Kirche, geht gar nicht! Mir ist dann aufgegangen, dass Jesus als Jude das Sch’ma Israel gebetet hat. Da mussten meine Darsteller Hebräisch lernen. Das hat alle irritiert, aber alle wurden aufmerksam.

"Ein Film kann eine ganz schöne Kraft haben", sagt Wolfgang Fischer (links). "Mit einem Theaterabend biegen wir keinen Seehofer um", sagt Christian Stückl.

Wollen Sie die Welt verändern?

Fischer: Mich schockieren Dinge, und da möchte ich ­genau hinschauen. Das will ich darstellen. Und mich ­fasziniert das große Drama. Ich finde es wichtig, dass man als Zuschauer einen Konflikt mitleben muss und sich fragt: Was tue denn ich? Bei "Styx" hat das geklappt. Es gibt einen großen Gestaltungswillen; auf einmal ­wollen sich die Leute engagieren. Wir waren im Europapar­lament mit "Styx", wo Entscheidungen getroffen werden. Und plötzlich haben wir mit den Parlamentariern eine Auseinander­setzung auf der emotionalen Ebene geführt, nicht nur mit Zahlen, Daten und Fakten. Ein Film kann eine ganz ­schöne Kraft haben.

Stückl: Meine Arbeit ist zunächst, mit den Schauspielern zusammen eine Geschichte zu erarbeiten. Oft geht es erst mal darum, die Welt zu verstehen, und nicht, sie zu verändern. Von Religion sind die Leute heute sehr weit weg! Deshalb fahre ich mit meinen Darstellern nach Israel, wir reden über Jesus, gehen seine Wege ab, diskutieren über ­Israel und Palästina und treffen Holocaust-Überlebende. Da entsteht etwas. Wenn jemand anfängt, wieder über Jesus, über Religion zu reden, dann ist das viel. Ich rege an, versuche, dass Spieler und Zuschauer ihre Haltungen hinterfragen. Dass ich Leute besser mache, glaube ich nicht. Mit einem Theaterabend biegen wir keinen Horst Seehofer um.

Weil sich die Leute gar nicht bessern wollen?

"Ein Film kann eine ganz schöne Kraft haben"

Stückl: Seit drei Jahren arbeitet Sarah, eine Studentin aus Afghanistan, als Kartenabreißerin am Volkstheater. Sie trägt ein Kopftuch. Ich bin kein Freund vom Kopftuch. Aber Sarah ist Sarah, ich kann mich mit ihr gut unterhalten. Da kommen Leute aus einer Aufführung und sagen: Herr Stückl, das war so ein toller Abend, aber ich muss mir nicht von einer Kopftuchträgerin die Karte abreißen ­lassen! Da hab ich gesagt: Das ist keine Kopftuchträgerin, sondern Sarah. – Ja, aber die gehört nicht hierher. – Doch, die gehört hierher. Sie ist Teil unseres Hauses. – Da haben Sie was falsch verstanden, Herr Stückl, die gehört nicht hierher, die hat mit unserer Religion nichts zu tun. Sag ich: Wir leben halt in einer Zeit, in der auch Muslime hier leben. – Nein, die gehört nicht hierher. – Da bin ich so sauer geworden und habe gesagt: Sie kapieren nichts. Sie gehören nicht hierher. Ich mag Sie hier nicht mehr sehen.

Fischer: Auch mir geht es nicht nur darum, einen Film zu machen, sondern um eine Haltung. Keine der Personen bei uns im Film ist Statist. Auch die Feuerwehrleute, die Rettungskräfte sind echte Rettungskräfte. Die Soldaten auf dem Coast-Guard-Schiff waren Soldaten der maltesischen Armee, die im Rahmen von Frontex unterwegs waren. Wir brauchen diese Experten und ihre Perspektiven. Auch die Menschen auf dem Flüchtlingsboot waren allesamt ­Menschen, die eine solche Flucht hinter sich haben. ­Gedion, der Kingsley-Darsteller, kommt aus den Slums von Nairobi. Er war noch nie in Europa und noch nie am Meer. Wir mussten ihm das Schwimmen beibringen, und er hat mit uns diese wahnsinnige Reise gemacht. Er hatte inzwischen zwei Castings für Hollywoodfilme, er hat die Hauptrolle in einem spanischen Film gespielt. Da sieht man, was man mit dem Film leisten kann.

Stückl: Wir müssen aber auch aufpassen! In einem Münchner Flüchtlingsheim stand auf einmal ein junger Afghane vor mir und fragte, was ich mache. Und als ich sagte, dass ich Theater mache, hat er vor mir ausgespuckt und gesagt: Ihr seid die größten Dreckskerle.

Warum?

Stückl: Ein Kollege hat im Heim ein Stück inszeniert und sie als Statisten eingebaut. Die ganzen gut ­situierten Münchner sind rausgefahren und haben sich das an­geschaut, die Schauspieler haben mit den ­Geflüchteten Telefon­nummern ausgetauscht und versprochen, ­Kontakt zu halten. Aber dann ist nichts mehr passiert. Die haben sich total verloren gefühlt. Weil sie erst in eine ­Hoffnung ­hineingetrieben wurden, und dann waren sie nur ­Statisten. Da sind Schauspieler und wir Theaterleute auch nicht ­besser.

Warum müssen sich die Oberammergauer vor den ­Passionsspielen Bärte wachsen lassen? Braucht man diese Folklore?

Stückl: Ich finde das total spannend, dass sich ein ganzes Dorf ab Aschermittwoch des Vorjahres Bart und Haare wachsen lässt. Natürlich ist das auch Folklore, aber es zeigt auch, dass sich alle um eine große Sache versammeln. Das ist ein Ritual, für die Oma genauso wie für den Bub.
Und der Friseur hat nichts mehr zu tun?

Stückl: Na doch. Es geht dann doch jeder irgendwie zum Spitzenschneiden und achtet drauf, dass er noch ansehnlich aussieht. Wir sind ein touristisches katholisches Dorf, da leben alle mit der Folklore. Aber dabei darf es nicht bleiben. Heute spielen auch Muslime mit und auch die, die aus der Kirche ausgetreten sind. Abdullah Karaca ist als zweiter Spielleiter akzeptiert. Jetzt kommt Céngiz ­Görür dazu, der macht den Judas. Tradition ja, aber nicht um jeden Preis. Der Céngiz hat bei Wilhelm Tell mitgespielt und ist einer der besten Schauspieler. Die Leute sagen: Der ist ja auch gut integriert. Dann sag ich: Hört auf mit dem Wort Integration, der gehört dazu! Der ist hier geboren. Der muss sich nicht integrieren. Der lebt in dritter Generation hier. Punkt aus!

Nebenbei gefragt

Herr Fischer, worum beneiden Sie Theaterregisseure? 

Wolfgang Fischer: Um die lange und ­intensive Vorarbeit mit Schauspielern. Die ist leider aus ­finanziellen Gründen beim Film nicht ­möglich.

Wie feiern Sie Ostern?

Fischer: Traditionell beende ich an Ostern meine 40-tägige Fastenzeit.

Sie kriegen ein Sabbatjahr: Was machen Sie?

Fischer: Vermutlich würde ich genauso leben wie jetzt – Geschichten recherchieren und versuchen, gute Filme 
zu machen.

 

Herr Stückl, welche Story würden Sie gern mal erzählen?

Christian Stückl: Ich hab mich total in Indien verliebt und träume davon, dort mit 300 indischen Schauspielern und Laien eine Geschichte aus der hinduistischen Mythologie einzu­studieren. Aber es scheint fast un­möglich, diese Religion zu verstehen.

Wie feiern Sie Ostern? 

Stückl: Die Familie trifft sich und sitzt zusammen.

Sie kriegen ein Sabbatjahr: Was machen Sie?

Stückl: Vielleicht eine Schule im indischen Urwald aufbauen. ­Vielleicht eine Kneipe aufmachen.

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Dieses Thema beschäftigt mich immer wieder, da auch ich in Kontakt zu einem frommen syrischen Muslim stehe, für den das Kopftuch ganz klar ein Gebot Gottes aus dem Koran ist. Wie stehe ich dazu? Wir sichern Religionsfreiheit zu, also könnte man das Kopftuch ganz entspannt sehen - eigentlich. Es zeigt aber auch ganz deutlich die Religionszugehörigkeit, auch das ist noch kein Problem. Aber der Islam sieht sich als DIE Religion an, die über allen anderen steht, und sich als höherwertig betrachtet. Und da beginnt mein Problem. Und die große Frage ist, an der sich alles entscheidet: ist es für die Person, die das Kopftuch trägt möglich, das Grundrecht auf Religionsfreiheit mitzutragen, und das bedeutet eben auch ganz explizit, die Möglichkeit die Religionszugehörigkeit zu wechseln. Wenn das nicht möglich ist, mit Ausschluss aus der Familie geahndet wird, oder gar auch die Todesstrafe in Betracht kommt, dann geht das Kopftuch für mich gar nicht. Und dann widerspreche ich auch Herrn Stückl, der der Frau, die sich am Kopftuch stört, mitteilt, dass sie dann nicht hierher gehört. Da ich keine Kontaktadresse von Herrn Stückl gefunden habe, würde es mich sehr freuen, wenn Sie meine e-mail an Herrn Stückl weiterleiten würden. Freundliche Grüße Birgit Siller