Klimaaktivist Wolfgang Metzeler-Kick
Sichtlich gezeichnet: Wolfgang Metzeler-Kick in Berlin. Die Striche zeigen die Zahl der Hungertage der Aktivisti
Wolfgang Maria Weber/picture alliance
Forderungen an den Bundeskanzler
Notfalls bis in den Tod
In Berlin befanden sich mehrere Menschen im Hungerstreik, nun wurde die Aktion abgebrochen. Die Forderung lautete: Der Bundeskanzler solle erklären, dass unsere Zivilisation gefährdet sei. War das angemessen?
Tim Wegner
10.06.2024
5Min

Heute, am 13. Juni, ist der Hungerstreik, der eigentlich nun hätte verschärft werden müssen, nachdem Bundeskanzler Scholz nicht auf die Forderungen eingegangen war, beendet worden. Das ist gut, denn der Tod der Aktivisten hätte viele Menschen traumatisiert zurückgelassen.

Es war die freie Entscheidung, diesen Hungerstreik anzutreten - nun ist es auch die freie Entscheidung, ihn abzubrechen. Die Aktivisten rufen dazu auf, dass es Aufgabe aller sei, darüber zu berichten, wie gefährlich die Situation ist.

Wie es zu der Aktion kam und worin die Forderungen der Gruppe genau standen, lesen Sie hier:

In Berlin befinden sich mehrere Menschen im Hungerstreik, manche schon seit Monaten. Einer von ihnen, Wolfgang Metzeler-Kick, brach letzte Woche zusammen und musste ins Krankenhaus. Er hatte bereits angekündigt, in den sogenannten trockenen Hungerstreik zu treten, also auch nichts mehr zu trinken. Ein Mensch kann das nur wenige Tage überleben. Davon nahm er nun wieder Abstand. Unter dem Motto "Hungern bis ihr ehrlich seid" haben die Hungerstreikenden Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Donnerstag eine Woche mehr Zeit gegeben, um sich zu äußern.

Dann das ist die Forderung der Gruppe: Der Kanzler soll die Öffentlichkeit aufklären, Zitat von "Hungern bis ihr ehrlich seid": "Das große Ziel des Hungerstreiks ist, dass die Bevölkerung endlich aufrichtig und wissenschaftlich fundiert über die Dramatik der Klimakrise informiert wird. Der wissenschaftliche Forschungsstand ist in drei Punkten zusammengefasst: Der Fortbestand der menschlichen Zivilisation ist durch die Klimakatastrophe extrem gefährdet. Es gibt kein CO2-Restbudget mehr, denn es sind bereits jetzt Hunderte von Gigatonnen zu viel CO2 in der Luft. (…) Die Hoffnung der Hungerstreikenden ist, dass Olaf Scholz, die Presse und die Abgeordneten des Bundestages (...) die Menschen in Deutschland endlich ausreichend über diese wissenschaftliche Realität aufklären."

Bereits die Straßenblockaden und andere Aktionen der "Letzten Generation" waren extrem umstritten und führten zu heftigen Diskussionen. Auch bei "Hungern bis ihr ehrlich seid" stellt sich die Frage: Ist diese Form des Protests hilfreich, um das Ziel zu erreichen - dass die Leute endlich erkennen, wie ernst die Lage ist?

In der Sache haben die Aktivisti recht: Die Erderwärmung bedroht uns

Ich tue mich extrem schwer, auf diese Frage eine Antwort zu finden. Ein Versuch:

Ich teile die Verzweiflung der Menschen, die in den Hungerstreik getreten sind. Denn in der Sache haben sie recht. Man kann es nicht oft genug erklären: Viele Errungenschaften der Zivilisation verdanken wir einem sehr stabilen Klima in den vergangenen Jahrtausenden, wie es – und er ist nur einer von vielen Forschenden – Dirk Notz in seinem Vortrag "Ende der Eis-Zeit: Der globale Klimawandel und seine Folgen" erklärt. Dirk Notz ist Leiter der Forschungsgruppe Meereis am Institut für Meereskunde der Universität Hamburg. Seinen Vortrag verlinke ich hier.

Weil die Menschheit seit der Industrialisierung aber riesige Mengen an Kohle, Öl und Gas verbrannt hat, erwärmt sich die Atmosphäre weltweit rapide. Was bedeutet das? 1,5 Grad Erwärmung – das klingt für unser alltägliches Temperaturempfinden absolut verkraftbar. Aber gemeint ist die globale Mitteltemperatur; es geht nicht um einen Juni-Tag bei uns in Mitteleuropa, an dem es montags 20 Grad und dienstags 21,5 Grad hat. Für das Klima und diverse Ökosysteme reichen 1,5 Grad mehr bereits aus, um gefährlich ins Wanken zu geraten. Seit Jahren beobachten wir auch in Deutschland mehr und heftigere Wetterextreme wie aktuell Hochwasser. Wir haben uns als Menschheit in ein hochgefährliches Experiment begeben. Das sagt eine überwältigende Mehrheit der Wissenschaft.

Sich das einzugestehen, fällt schwer. Unangenehmen Einsichten weichen wir Menschen genauso gern aus wie Terminen beim Zahnarzt, wenn wir ahnen: Der wird wohl ein Loch finden.

Lesen Sie hier, welche Rolle die Psychologie spielt: Der Kopf "hilft" uns immer wieder, die Gefahr zu verdrängen. Das macht den Weg frei für Verzögerer

Man kann argumentieren: Aktionen wie der Hungerstreik erinnern uns an das Problem. Ich glaube aber, allein schon die moralische Wucht dieser Protestform lenkt viele wieder vom eigentlichen Thema ab. Ja, es geht bei der menschengemachten Erderwärmung um Leben und Tod, um existentielle Fragen also. Insofern hat "Hungern bis ihr ehrlich seid" eine treffende Symbolik gefunden. Aber wie oft wurden Sie seit März auf den Hungerstreik angesprochen? Ich noch nie. Erst mit dem Zusammenbruch von Wolfgang Metzeler-Kick und der Ankündigung, im Zweifel wirklich das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, hat die Berichterstattung größere Kreise gezogen.

Als empörend empfinde ich die Aussage von Wolfgang Metzeler-Kick vom Donnerstag, der Bundeskanzler werde es wohl vorziehen, ihn und andere "verhungern zu lassen", bevor er ausspreche, was Sache sei. Wer in einen Hungerstreik tritt, wählt dieses Schicksal selbst, mögen die Motive dafür noch so hehr sein. Angenommen, einer der Hungerstreikenden stirbt. Am Ende blieben traumatisierte Angehörige, Freundinnen, Mitstreiter. Was wäre gewonnen außer einer Welle an Berichten?

Leiden viele und immer mehr Menschen unter dem Klimawandel, ist das die Verantwortung von politischen Entscheidungsträgern und fossilen Lobbyisten. Es gibt einen Tagesschau-Mitschnitt vom 17. März 1995. Ich verlinke ihn hier. Dieser nur 28 Sekunden kurze Ausschnitt zeigt: Besonders Menschen mit politischer Verantwortung hätten es besser wissen müssen, und das seit vielen Jahren. Es geht nicht nur um Olaf Scholz. Es geht nicht nur um einen Hungerstreik. Es geht um eine Menschheitsaufgabe, die verschleppt worden ist. Eine Gruppe allein kann dieses Versäumnis nicht ungeschehen machen.

Nein, Hungerstreiks sind nicht der richtige Weg. Aber was dann? Ich hoffe, dass Gruppen wie Fridays for Future wieder größere Wirkung entfalten, dass Bilder von friedlichen Großdemonstrationen um die Welt gehen. Es ist schlau, dass Klimaaktivisten die Nähe zu Gewerkschaften gesucht haben. Denn ohne viele Berufe, die heute schlecht bezahlt sind (Busfahrerinnen und -fahrer zum Beispiel), wird es keine Mobilitätswende geben. Es ist wichtig, auch die soziale Frage und Ungleichheiten zu thematisieren. Denn vermögende Menschen schädigen die Umwelt weit mehr als Menschen mit geringen oder normalen Einkommen.

Und reden hilft. Persönliches Beispiel: Ich kam neulich mit einer Frau ins Gespräch, die mir sagte, sie verdränge die Gefahr häufig und habe sich deshalb nie wirklich mit dem Thema befasst. Zuerst war ich erstaunt, denn aus meiner Perspektive dachte ich: Wir reden doch seit Jahren über kaum etwas anderes als das Klima! Aber das stimmt nur für einige Menschen. Für viele stimmt es nicht. Solche ruhigen Gespräche helfen uns mehr als Hungerstreiks - jedenfalls, wenn sie immer öfter und von immer mehr Menschen geführt werden.

Dann, hoffe ich, wird der Druck wachsen. Gemessen an der Größe der Aufgabe ist diese Hoffnung klein. Aber immerhin ist es eine.

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Das ist der grösste denkbare Unsinn. Warum soll er denn das bestätigen, was alle wissen und deshalb auch niemand sagen muss? Dann kann er auch bestätigen sollen, dass wir morgen einen Tag älter sind. Dieser Streik zeugt von totaler Naivität. Nur weil viele Wähler und Weltanschauungen die Warheit nicht ertragen, muss geheuchelt werden. Nur so ist zu vermeiden, dass alle zum Psychiater müssen. Durch Leben und Tod, Verbrauch und Vernichtung, Zahl und Enge, Luxus und Armut, sind wir auf dem Weg in einen unvermeidlichen Zvilisationssuizid, von dem alle wissen, dass er auf Dauer kommt. Wie ein Naturgesetz. Denn was einen Anfang hat, muss auch ein Ende haben. Wenn Flasche leer, ist Kopf kaputt. Ein Verbrauch kommt nie zurück. Und wenn es ein Komet ist, der das Signal gibt. Mit einer Ausnahme, und das ist die Zeit, die weder einen Anfang noch ein Ende hat. Für den, der das nicht akzeptieren will, gilt: "Die Dummheit hat die Freiheit, auch den letzten Rest an eigener Vernunft abschalten zu dürfen".

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Jetzt warfen die Aktivisten auch den Medien Versagen vor. "Medien haben zu wenig berichtet und meistens die Forderungen falsch wiedergegeben", meinte Adrian Lack, der nach Angaben der Kampagne 37 Tage im Hungerstreik war. © dpa Quelle: web.de

Ja, das glaube ich - Eines Tages werden wir auch lesen (wenn die atomare Apokalypse doch nicht stattgefunden hat!) wie sehr der Westen an dem Krieg in der Ukraine schuld war und irgendein Heuchler wird als Buchautor und Enthüllungsjournalist mit einem Preis belohnt.

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Zitat: "Wir müssen die Schöpfung bewahren. Was heißt das konkret?" Pure Heuchelei! Die Schöpfung hat, mit der Zivilisation als Motor, ihren Lauf genommen. Wir können sie nicht bewahren,. Wir können nicht zurück zu Adam und Eva. Wir können nur versuchen, dass der Missbrauch nicht zuviel und zu schnell die Zukunft raubt. Warum wird nicht beachtet, dass eine Rechnung nur mit Zahlen möglich ist? 1800 eine Milliarde, jetzt 8, 2050 dann 9 und 2100 dann 10? Und Sie beklagen die Folgen dieser Entwicklung, aber zu den Ursachen kein Wort! Wird damit das Ergebnis zur Schuld für die Ursache? Unerträgliche diese Schuldumkehr!