Hass und Christentum
Dürfen Christen hassen?
Hass zu verbieten nützt nichts, aber freien Lauf sollte man ihm auch nicht lassen. Ein christlicher Blick sieht erst mal: Da steht ein Mensch
Viele Reißzwecken liegen mit der Spitze nach oben nebeneinander
Lisa Rienermann
Lena Uphoff
Aktualisiert am 12.04.2024
3Min

Wir wissen, wo du wohnst, und werden dich töten!" Solche Nachrichten werden im Internet täglich vielfach verschickt. Sie werden Hatespeech (Hassrede) genannt. Der seit Februar geltende Digital Services Act (DAS) der EU ist der Versuch, Hass im Netz besser in den Griff zu bekommen. Aber nicht nur im Internet scheint Hass derzeit Konjunktur zu haben. In Medien, in Klassenzimmern oder auf Demos: Judenhass, Hass auf Politiker der Grünen, Schwulenhass oder Hass auf Klimaaktivisten – die Formen sind vielfältig.

Zwar gibt es in der Psychologie und philosophischen Emotions­theorie keinen Konsens darüber, was Hass eigentlich ist. Darauf können sich die Forschenden aber einigen: Anders als Wut und Zorn hat der Hass nichts Gutes an sich und lässt sich auch nicht so leicht wieder loswerden. Zorn kann zu besonders starken Leistungen motivieren und Wut, die mit einem Wutausbruch herausgelassen wird, Erleichterung verschaffen. Hass dagegen entsteht langsam, bleibt lange und führt nie zu etwas Gutem. Wer ihm freien Lauf lässt, erfährt keine Erleichterung, sondern Leere und oftmals noch mehr Hass – nicht selten gegen sich selbst. Und Hass ist das Gegenteil von Liebe.

Wie ist es im Christentum? Schon im Alten Testament steht: "Liebe ­deinen Nächsten wie dich selbst." Die Antwort auf unsere Frage scheint ­also nahezuliegen: Ein Christ hat zu lieben und darf nicht hassen. Aber so einfach ist es nicht, denn Hass ist als Emotion etwas, was sich nicht ver­hindern lässt. Wie Menschen sich verlieben, ob sie wollen oder nicht, so können sie sich auch "verhassen" – wie es der spanische Philosoph José Ortega y Gasset einmal gesagt hat. Es wäre also unmenschlich, einem Christen das Hassen zu verbieten. Ein Christ darf nicht nur hassen, er wird sich in seinem Leben beinahe zwangsläufig einmal verhassen.

Lesen Sie hier: Katja Diehl und Stephan Grünewald im Interview. Woher kommt der Hass?

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Und was ist, wenn sich jemand bis zum Suizid selbst haßt? Sich nicht liebt, weil er sein Aussehen, seine Herkunft seine schlechten Eigenschaften verabscheut?

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Das Thema ist wesentlich weiter zu fassen, denn es rührt an die Nächstenliebe als den christlichsten Wert. Auch der Hass ist, wie die Liebe, ein menschlicher Wert. Wann ist die Nächstenliebe eine Kapitulation vor der Gewalt? Wird sie gar zum Teufel in uns, wenn ich mich nicht gegen die menschlichen Schwächen in uns und im Nächsten wehre? Wozu kann das führen? Damit ich reinen Herzens vor den Herrn treten kann (Käßmann), verweigere ich anderen die mir mögliche Hilfe vor dem Bösen. Für ihr geglaubtes (aber nicht sicheres!) Seelenheil müssen die Anderen sterben. Die Toleranz der Intoleranz ist nichts anderes als eine Kapitulation vor dem "Teufel" zum erhofften eigenen Vorteil. So wird die Nächstenliebe zur Eigenliebe. Begriffen, dass Kulturen auch eigene, sich widersprechende Werte haben können? Das typisch protestantische süße Gesäusel, besonders auf Kirchentagen, ist eine Falle der selbstgerechten Gutmütigkeit.

Seid ehrlich! Mit einem Satz: "Wir sind alle Brüder! Aber nicht jeder will Jeden zum Bruder haben!" Findet das vernünftige Maß. So wie bisher werdet ihr immer "unglaubwürdiger", weil ihr (EKD) nicht in der Lage seid, die unvermeidlichen menschlichen Eigenschaften in euer Weltbild zu integrieren. Neben dem kalten (oder heißen!) Krieg der Waffen gibt es auch den Krieg der Kulturen. Wer diesen Krieg mit dem Mantel der Scheinheiligkeit, zu der auch die Nächstenliebe gehören kann, zudeckt läuft in das Risiko der eigenen Verzückung.