"Nicht mit einem jahrelangem Krieg abfinden"
"Nicht mit einem jahrelangem Krieg abfinden" Die Flaggen von Russland, der EU und der Ukraine, stehen im Wirtschaftsministerium auf einem Tisch vor einer Pressekonferenz nach Verhandlungen zwischen Russland und Ukraine unter Vermittlung der EU und Deutschlands. Russland und die Ukraine haben eine Grundsatzeinigung über einen neuen Gastransit-Vertrag erzielt (2019, Dezember)
Paul Zinken / picture alliance
"Nicht mit einem jahrelangen Krieg abfinden"
Gibt es einen diplomatischen Ausweg aus dem Krieg? Die Friedensforscherin Martina Fischer von Brot für die Welt über die Notwendigkeit von Diplomatie und mögliche Vermittler.
Sebastian DrescherPrivat
10.06.2022

chrismon: Brot für die Welt fördert mehrere Hilfsorganisationen in der Ukraine. Was hören Sie von Ihren Partnern vor Ort?

Martina Fischer: Wir arbeiten mit Kirchengemeinden und zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Ostukraine zusammen, die Kriegsversehrte und Traumatisierte aus dem seit 2014 andauernden Krieg unterstützten. Nach dem Angriff Russlands im Februar sind einige in den Westen des Landes und manche in angrenzende Länder geflohen, wo sie nun andere Geflüchtete versorgen. Die Berichte und die Bilder von eingekesselten Städten und vertriebenen Menschen machen wütend und verzweifelt.

Wie lässt sich die Gewalt stoppen?

Ich weiß, wie schwer es fällt, trotz Tod und Zerstörung an Diplomatie zu denken. Aber dennoch sollte man alles tun, um auf diplomatischem Weg zunächst einen Waffenstillstand zu erwirken. Nur dann kann man Zivilisten in Sicherheit bringen und sie versorgen. Und ein Waffenstillstand ist Voraussetzung dafür, dass man überhaupt über eine diplomatische Lösung verhandeln kann. Wir sollten uns nicht damit abfinden, dass ein jahrelanger Krieg droht, in dem immer mehr Menschen sterben werden. Auch weil die Eskalationsgefahr steigt, je länger der Konflikt dauert.

Aber allein ein Waffenstillstand scheint derzeit in weiter Ferne. Und selbst wenn er zustande kommt; wer garantiert, dass Russland sich daran hält? Putin wirkt nicht wie ein verlässlicher Verhandlungspartner.

So lange er an der Macht ist, wird man mit Putin verhandeln müssen. Die Hoffnung auf einen Regierungswechsel hilft nicht weiter. Wissen wir denn, was nach Putin kommt? Natürlich kann es passieren, dass Kampfpausen aus taktischen Gründen genutzt werden, um Kräfte zu bündeln oder neue Fronten aufzumachen. Das haben wir in den vergangenen Wochen erlebt. Man kann nur hoffen, dass es irgendwann einen Punkt gibt, an dem alle Beteiligten zu dem Schluss kommen, dass es günstiger wäre, zu verhandeln als weiterzukämpfen. Ich kann nicht sagen, wann das der Fall sein wird. Aber es ist wichtig, für einen solchen Moment offenzubleiben und das diplomatisch vorzubereiten und dann zu unterstützen.

"Sanktionen können nur längerfristig wirken"

Wie kann man Druck auf Russland aufbauen? Die Sanktionen scheinen bislang nicht zu wirken.

Die Sanktionen sind wichtig. Es kann etwas verändern, wenn Diplomaten nicht mehr reisen können und die politische Elite isoliert wird. Aber wir sehen auch, wie schwer sich die Europäische Union damit tut, umfassende Energiesanktionen zu beschließen, weil sich viele Staaten von fossiler Energie und Rohstoffen aus Russland abhängig gemacht haben. Klar ist, dass Sanktionen nur längerfristig wirken, da muss man einen langen Atem haben. Und dass es derzeit kein Mittel gibt, Verhandlungen kurzfristig zu erzwingen.

Viele Politiker und Fachleute sagen, dass nur militärische Verluste Russland zurück an den Verhandlungstisch zwingen können – und der Westen deshalb Waffen an die Ukraine liefern muss. Können Sie diese Argumentation nachvollziehen?

Wir von Brot für die Welt haben uns viele Jahre dafür eingesetzt, dass Waffen grundsätzlich nicht in Kriegsgebiete exportiert werden und die Bundesregierung Exporte schärfer kontrolliert. Wir und viele unserer Partner haben immer wieder erlebt, wie Rüstungsexporte Kriege verlängern und verschärfen. Brot für die Welt ruft nicht aktiv zu Waffenlieferungen auf. Zugleich haben wir großes Verständnis, wenn Menschen mit Blick auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine nun zu einem anderen Schluss kommen. Wir sind uns bewusst, dass keine dieser Haltungen von Schuld frei ist. Entweder man wird schuldig wegen unterlassener Hilfeleistung oder weil man Waffen schickt, die Menschen töten. Das ist ein Dilemma, auf das auch die Friedensdenkschrift der EKD aus dem Jahr 2007 in ihren Ausführungen zur rechtserhaltenden Gewalt hinweist. Allerdings sollten auch diejenigen, die über Waffenlieferungen entscheiden, sich bewusst sein, dass diese unter Umständen zu einer Eskalation und Ausweitung des Kriegs beitragen können, gerade wenn es um Waffen geht, für die Soldaten ausgebildet werden müssen oder gar technisches Begleitpersonal eingesetzt werden muss. Wir wissen nicht, ab welchem Punkt der Kreml das als Kriegsbeteiligung bewertet.

Hermann Bredehorst/Brot für die Welt

Martina Fischer

Martina Fischer ist Politikwissenschaftlerin und Friedensforscherin. Seit 2016 arbeitet sie als Referentin für Frieden und Konfliktbearbeitung bei Brot für die Welt. Zuvor war sie mehr als drei Jahrzehnte in der Friedens- und Konfliktforschung tätig.
Sebastian DrescherPrivat

Sebastian Drescher

Sebastian Drescher ist Redakteur beim JS-Magazin, der evangelischen Zeitschrift für junge Soldaten, und chrismon.

Sie sagen, man muss eine diplomatische Lösung vorbereiten. Wie geht das?

Wichtig ist, selbst unter Kriegsbedingungen Gesprächskanäle offenzuhalten, etwa den Austausch zwischen Russland und der Ukraine. Sinnvoll ist auch, dass Politiker wie Bundeskanzler Scholz oder der französische Präsident Macron weiterhin das Gespräch mit Putin suchen, auch wenn es nicht direkt zu Ergebnissen führt. Allerdings sind nicht alle diplomatischen Initiativen gleichsam hilfreich. Wir haben es nicht nur mit einem Krieg Russlands gegen die Ukraine zu tun, sondern auch mit einem alles überwölbenden Konflikt zwischen Russland und der Nato beziehungsweise den USA. Daher wären diplomatische Initiativen von Ländern und Akteuren jenseits der Nato zielführender als solche aus Nato-Mitgliedstaaten.

Wer könnte sonst vermitteln?

Ich würde unterscheiden, ob es um einen Waffenstillstand geht oder um eine dauerhafte diplomatische Lösung im Sinne eines Abkommens. Für einen Waffenstillstand könnte sich zum Beispiel eine Großmacht wie China stark machen und Einfluss auf Russland nehmen, wenn sie ein eigenes Interesse hat, eine weitere Eskalation zu verhindern. Die Europäer sollten auf diplomatischer Ebene herausfinden, ob in der chinesischen Führung nicht doch irgendwann ein Interesse besteht, den Konflikt einzugrenzen.

Und wenn es um einen dauerhaften Frieden geht?

Da könnten kleine Staaten wie die Schweiz oder Österreich ins Spiel kommen, die eine lange diplomatische Tradition haben. Ich sehe auch nach wie vor die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als einen möglichen Akteur. Die OSZE ist zwar sehr geschwächt, weil Russland die grundlegenden Regeln der Zusammenarbeit gebrochen hat, aber sie hat erfahrene und bekannte Diplomatinnen und Diplomaten in ihren Reihen, etwa die OSZE-Generalsekretärin Helga Schmid, die zuvor für die EU das Atomabkommen mit dem Iran mitverhandelt hat. Auch Persönlichkeiten wie die ehemalige irische Staatspräsidentin und frühere UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson könnte ich mir als Vermittlerin vorstellen. Grundsätzlich braucht es Teams erfahrener Diplomat*innen, die von allen Beteiligten akzeptiert werden.

"Wir können nicht sagen, so und so sieht eine Verhandlungslösung aus"

Wie könnte eine mögliche Lösung des Konflikts aussehen?

Der russische Präsident hat mehrfach angedeutet, der Krieg könne beendet werden, wenn die Ukraine auf den Donbass, die Krim und den Beitritt zur Nato verzichte. Die ukrainische Regierung hat vor Wochen mögliche Verhandlungsthemen in den Raum gestellt: eine Neutralität mit Sicherheitsgarantien sowie einen möglichen Sonderstatus der Gebiete in der Ostukraine. Natürlich muss die Ukraine selbst die Bedingungen definieren. Wir können nicht sagen, so und so sieht eine Verhandlungslösung aus. Die Kunst bei Friedensschlüssen ist, dass Diplomaten in einem langen Prozess heraushören müssen, wo die Beteiligten bereit sind, Zugeständnisse zu machen. Das gilt in diesem Fall auch für die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer und Russland.

Wie meinen Sie das?

Russland geht es in der Ukraine auch darum, die von ihm unterstellte westliche Vorherrschaft herauszufordern. Deshalb muss der Konflikt zwischen dem Kreml und der Nato beziehungsweise den USA mit berücksichtigt werden. Wenn es möglicherweise um die Nato-Osterweiterung gehen wird, stellt sich die Frage, wer einer neutralen Ukraine Sicherheit garantieren würde, so dass sich diese verteidigen kann. Grundsätzlich sehe ich drei Aufgaben, die gelöst werden müssen. Erstens das Leiden zu beenden und Menschenleben zu retten. Zweitens die Ukraine als eigenständigen Staat zu erhalten. Und drittens uns alle vor einem Atomkrieg zu bewahren. Vor diesem Hintergrund muss man alle politischen Entscheidungen sorgfältig ausbalancieren.

"Wir werden eine weltweite Aufrüstungsspirale erleben"

Eine Lösung des Konflikts heißt also auch, es braucht langfristig eine neue Sicherheitsordnung in Europa? Derzeit ist eher eine neue Blockbildung zu beobachten: Finnland und Schweden wollen in die Nato, Russland orientiert sich nach Osten.

So etwas passiert in verhärteten Situationen. Momentan wird sich das nicht auflösen lassen und die Blockbildung wird sich verstärken. Aber wir müssen langfristig auch darüber nachdenken, wie eine Sicherheitsarchitektur in Europa aussehen könnte, die sich nicht auf Konfrontation, sondern auf Kooperation gründet. Ich stimme dem zu, was auch Bundeskanzler Scholz noch vor einiger Zeit gesagt hat: Einen tragfähigen Frieden in Europa kann es langfristig nicht gegen, sondern nur mit Russland geben. Was wir dringend brauchen, ist eine Wiederbelebung der Foren für Rüstungskontrolle, die leider nach dem Ende des Kalten Kriegs abgeschafft wurden – und nicht in erster Linie von Russland, sondern beginnend mit der Bush-Administration vor allem von den USA. Dazu gehören Verträge wie der ABM-Vertrag, der KSE-Vertrag und das Open-Skies-Abkommen. Auf deren Wiederbelebung zu drängen, ist auch eine Aufgabe für die Europäer. Wenn wir uns nicht um neue Verträge zur Rüstungskontrolle bemühen, werden wir eine weltweite Aufrüstungsspirale erleben, die in der heutigen multipolaren Welt sehr viel gefährlicher ist als im Ost-West-Konflikt des 20. Jahrhunderts.

Sie beschäftigen sich bei Brot für die Welt viel mit Konflikten im sogenannten Globalen Süden. Wie blickt man dort auf den Krieg in der Ukraine?

Es gibt eine ganze Reihe von Staaten, die sich nicht eindeutig der westlichen Seite angeschlossen und gegen Russland Position bezogen haben. Für viele ist der Krieg in der Ukraine weit weg. Wenn ich etwa mit Menschen aus dem Pazifikraum spreche, bewerten sie den Krieg nicht als eine Zeitenwende, sondern als einen wieder aufbrechenden, aber entfernten Großmachtkonflikt. Was die meisten unserer Partner im Globalen Süden und insbesondere in afrikanischen Ländern bewegt, ist die Versorgung mit Lebensmitteln. Da fehlt nun das Getreide aus der Ukraine und Russland und Nahrungs- und Düngemittel werden unerschwinglich. In der Sahelzone erleben wir, wie die Klimakrise diese Situation noch zusätzlich verschärft, so dass mit Hungersnöten zu rechnen ist. Diese Entwicklung kann auch die Gewaltkonflikte in solchen Regionen zusätzlich anheizen. Die Industriestaaten stehen mit in der Pflicht, diese Krisen aufzufangen. Man muss deutlich machen, dass es weltweit noch viele andere Konflikte und Notsituationen gibt, die nun durch den Krieg in der Ukraine indirekt verschärft werden, und dass die davon Betroffenen ebenfalls unsere Solidarität verdienen.

Permalink

Es gab noch nie (und Absolutismen sollten nur Leben und Tod vorbehalten sein) einen Autokraten, der von sich aus und ohne Not zurückgesteckt hat. War dennoch wider Erwarten (Erweckungserlebnis) die Einsicht da, wurde er entmachtet. Für Kriminelle ist der Begriff Mitleid eine Afforderung, alles zu nehmen. Solche Ansichten (wie oben) stützen den Willen, alles ohne Risiko nehmen zu können. Ein Diktator diktiert. Xi kontrolliert mit der Zwangs-Corona-App jetzt täglich jeden Bürger über seine Aufenthalte und Kontakte. Jeder Einkauf mit Personenprüfung. Wer nicht will, der verhungert. Putin wird dem folgen um jeden Versuch der Diskussion zu verhindern. Brot für die Welt kann kein Verhandlungsobjekt anbieten. Wer dennoch so tut als ob, verführt Leichtgläubige aufs Glatteis und schürt falsche Erwartungen.

Permalink

Ist dann eine Niederlage mit allen unmenschlichen Folgen besser? Das wäre dann erst recht ein lebenslanger Krieg und die Ukrainer Sklaven von Putin. Mit Hitler war auch nicht zu verhandeln. Putin hat wie Xi gerüstet und will Erfolge sehen. Bei Widerstand gilt: "Wer sich wehrt ist selbst schuld wenn er geschlagen wird". Schöne Worte fangen keine Kugel.

Permalink

Verhandeln ist immer gut! Wenn man etwas zu verhandeln, ein Angebot von dem machen kann, was der Andere haben will. Können die Frauen Schwarzer und Käßmann etwas anbieten? Von uns möchte er haben unser Wohlwollen (das bieten die 3000 Hochintelligenten des offenen Briefes bereits an) unser Land und unsere Freiheit. Erfolge machen hungrig und Ehre und Stolz kann man nicht sättigen. Gelingt ihm diese Erpressung, wird es Nachahmer geben. XI ist auf der Lauer. Die größten Vorkommen von Coltan (Niob-Tantal, für die Elektronik unverzichtbar) sind im Kongo und Ruanda. Die werden Putin bei Erfolg kopieren. Nur noch zusammen 700 To. (1400 bisher) liefern, 3-facher Preis und die Kasse stimmt. Nicht nur Putins Gas ist das Problem. Es geht um wesentlich mehr. Wir sind bereits im 3. Weltkrieg. Um die Rohstoffe. Putin und XI wollen eine neue Weltordnung. Haben beide bestätigt. Da bleibt für die, die kein Angebot machen können, kein Platz. Der Macht ist das Klima egal. Die haben Kühlschränke und erträgliche Rückzugsgebiete. Sotschi . Man sollte erwarten, dass die Herren und Damen der "Verhandlungskommission" das auch wissen. Ein Hafen (Odessa) ist nicht benutzbar, und die Preise für Weizen und Öl steigen um das Mehrfache, Millionen werden verhungern und erfrieren. Und das soll nicht auch ein Krieg ohne Verteidigung sein?