Am 18. November 1965 trafen sich, kurz vor Abschluss des Zweiten Vatikanischen (Reform-)Konzils, vierzig katholische Bischöfe in der Domitilla-Katakombe in Rom. Sie bekannten, dass ihnen noch viel fehle zu einem Leben in Armut, wie es dem Evangelium entspreche. Und sie versprachen: "Wir verzichten ein für alle Mal darauf, als Reiche zu erscheinen wie auch wirklich reich zu sein. Wir werden weder Immobilien oder Mobiliar besitzen noch mit eigenem Namen über Bankkonten verfügen. Wir wollen das Leben mit unseren Geschwistern teilen, nicht Chefs nach Art dieser Welt sein, sondern menschlich präsent, offen und zugänglich werden." Später schlossen sich weitere 500 Bischöfe diesem "Katakombenpakt" an. Die Kirche wollte wieder eine "Kirche der Armen" sein, getreu der Bergpredigt Jesu: "Selig sind die Armen, denn ihnen gehört das Himmelreich." Liebt Gott die Armen also mehr als die Reichen? Oder wendet er sich den Menschen zu ohne Blick darauf, was sie vermögen und ob sie vermögend sind?
Die ersten Christen stammten nicht aus Elendsvierteln
Tatsächlich romantisiert und rechtfertigt Jesus die Armut, in der Bibel meist eine Chiffre für Hunger, Durst, Nacktheit und Krankheit, nicht ein einziges Mal. Ihm sind die Hilfsbedürftigen zwar besonders wichtig. Zugleich muss man aber sehen: Die Anfänge des Christentums liegen nicht in Milieus, die von Armut geprägt sind. Die ersten Christen stammten nicht aus den Elendsvierteln, noch waren sie Sklaven. Auch in den griechischen Städten drang die Kirche in wohlhabendere Schichten vor. Matthäus, der Evangelist, hatte geradezu ein Herz für die aufsteigende Mittelklasse. Vermutlich spiegeln sich im Jesusbild der Evangelisten aber auch Züge der kynischen Wanderphilosophen wider: Menschen von extremer, selbst gewählter Bescheidenheit, die nichts besaßen als das, was sie auf dem Leibe trugen, aber voller Misstrauen gegenüber dem Besitzstreben und Wohlstand der Reichen.
Martin Luther, der Reformator, gehörte zu denen, die Wucher hart kritisierten, und rührte damit an die Ursachen der Armut. Er forderte die Unternehmer auf, ihre Gewinne einzusetzen, um den Bedürftigen zu helfen und die Gemeinschaft zu unterstützen. Nicht Hungeralmosen, also die hingeworfene kleine Münze, sondern "rechtes Almosen" zu geben sei Christenpflicht: der Kampf gegen die Armut überhaupt. Aller Besitz gilt Luther als Geschenk Gottes, der Empfänger sei deshalb verpflichtet, es zum Wohl der Menschen einzusetzen. Den Fuggern "und dergleichen Gesellschaften" wünschte Luther schon 1520 einen "Zaum ins Maul". So weit wie der radikale Reformer Thomas Müntzer, der seit 1524 den Kollektivbesitz predigte, ging er allerdings nicht. Auch die Auffassung Johann Calvins, dass sich in wirtschaftlichem Erfolg die Auserwählung durch Gott zeige, teilte Luther nicht.
Jeder Mensch solle vor Gott arm sein, meinte der Reformator Martin Luther
Wenn in der Bibel die "Armen im Geiste" als selig gepriesen werden, bezieht sich das auf die innere Einstellung der Menschen zu Gott, schreibt Luther. "Sei leiblich und äußerlich arm oder reich, da fragt Gott nicht nach, und wisse, dass ein jeglicher müsse vor Gott, das ist geistlich und von Herzen, arm sein." Auch den freiwilligen Verzicht auf Eigentum kritisiert der Reformator: "Armut macht niemand angenehm vor Gott." Weder besonderer Fleiß noch gute Werke oder freiwillige Armut brächten die Menschen Gott näher.
Dass Armut vor allem strukturelle Gründe hat – wirtschaftliche, politische, rechtliche – und hier anzusetzen ist, ist weitgehend kirchlicher Konsens. Der Begründer der evangelischen Diakonie, Johann Hinrich Wichern, liebäugelte als junger Hamburger Pfarrer deshalb mit sozialistischen Ideen. Anders vor hundert Jahren der Schweizer Theologe Adolf Schlatter: Für ihn war die Armut im Grund nur eine Einstellungssache. Entscheidend sei "die inwendige Reinigung unseres Begehrens" (nach Eigentum). Sie stelle sich ein, wenn sich die Seele mit Gott vereinige. Globalisierte Wirtschaft und die Verarmung ganzer Weltregionen haben eng miteinander zu tun. Kirchliche Diakonie und Entwicklungshilfe setzen deshalb auch politisch an. Sie sind heute weit davon entfernt, die Armen selig zu preisen.
Gott liebt die Armen
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Alle lieben die Armen
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Glücklich die Armen ...
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Befreiendes, hoffnungsvolles Evangelium?
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Das Geld gehört den Christen
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Religion für Einsteiger von Eduard Kopp: Liebt Gott die Armen me
Sehr geehrter Herr Kopp,
sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für den Beitrag! Es ist vorzüglich gelungen, komplexe Zusammenhänge und eine lange Geschichte auf kleinstem Raum zusammenzufassen.
Erlauben Sie mir, in diesem Fall nicht nur als regelmäßiger chrismon-Leser, sondern auch als Ausstellungsleiter, einen Hinweis, der Ihre Leserinnen und Leser interessieren dürfte: In Trier ist noch bis zum 31. Juli im Rheinischen Landesmuseum und im Stadtmuseum die große Sonderausstellung "Armut - Perspektiven in Kunst und Gesellschaft" (www.armut-ausstellung.de) zu sehen. Gezeigt wird die Geschichte der Armut in Europa von der Antike bis zur Gegenwart im Spiegel der Kunst. Eine Ausstellung dieser Art und Größe - mehr als 250 Exponate auf rund 1000 qm - hat es bislang noch nicht gegeben.
Hier sind alle im Beitrag genannten Aspekte zu sehen - und mehr: die Ablösung der antiken Verachtung für die Armen durch das jüdisch-christliche Liebesgebot, die Entstehung eines umfangreichen Bildprogramms, das für die abendländische Kunstgeschichte zentrale Bedeutung hat, die Geschichte der freiwilligen Armut, die Entwicklung der christlichen Armenfürsorge bis hin zu Caritas, Diakonie und Brot für die Welt und neben Luther ist Platz für andere wie z.B. Caspar Olevian. Kurzum: der Besuch lohnt sich!
Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür, dass ich mir wünschen würde, dass Sie diesen Hinweis an Ihre Leserinnen und Leser weiter geben.
Mit freundlichem Gruß
Herbert Uerlings
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Kirche ist auch eschatologisch, damit tröstend
In der alten Kirche wurde das Christusgeschehen als die Erfüllung der alttestamentlichen Heilsverheißung bezogen. Auch das Leben und Geschick der Christen ist von der Eschatologie geprägt, sodass Paulus von einer „eschatologischen Existenz“ ausgeht, sodass gegenwärtige Leiden ertragen werden können, in der Gewissheit, dass Gott die Lebenden von den Toten erwecken wird. Weiter zur Johannes-Apokalypse: Da die Darstellung selbst, gemessen an dem Zeitpunkt des Dargestellten, in der Zukunft liegt, ist immer eine Doppelperspektive des Präsentischen und Futurischen mitgedacht. Der Glaube hebt die Zeit nicht auf, sondern gibt ihr eine neue Qualität und Ausrichtung. Deshalb heißt es: Amen, amen, ich sage euch: Es kommt die Stunde und sie ist schon schon da.
Dieser unglaubliche metaphysische Trost, dieses Opium fürs Volk, ja für die schuftenden und dennoch arm bleibenden Menschen natürlich. Allen anderen die ewige Ablenkung im schnöden Materialismus.
Ja noch schlimmer: Ein weiteres wichtiges Merkmal ist die Abgrenzung gegenüber einer Allversöhnung, zum Beispiel nach der Lehre von Origenes, und stattdessen die Behauptung einer Ewigkeit der Höllenstrafen für die Sünder.
Also ewiges Glück in ewiger Rache? Wie müssen die Menschen damals gelitten haben? Von daher frage ich mich doch, ob das Christentum wirklich nie arm war, und damit meine ich, nie hoffnungslos, trostbedürftig und rachebedürftig. Es ist eher das Bild komplett Schutz- und Machtlosigkeit.
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