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Vor dem großen Krieg in der Ukraine habe ich mich viel mit dem Thema "Einsamkeit" beschäftigt. Mir ist aufgefallen, dass es unter den Bewohnern moderner und sich aktiv entwickelnder Länder viele einsame Menschen gibt. Sowohl in der Ukraine als auch in Deutschland. Frankfurt beispielsweise gilt als Stadt der Singles: laut Statistik lebt in 53 Prozent der Frankfurter Haushalte nur ein Mensch.
Das ist nicht verwunderlich, denn es ist ziemlich einfach geworden, alleine zu leben: Wir haben das Internet, die Lieferung von Lebensmitteln nach Hause, die neuesten Haushaltsgeräte, die Möglichkeit, von Land zu Land zu ziehen, und im Allgemeinen ist die Auswahl fast unbegrenzt.
Es ist fast schon Trend geworden, keine Eile damit zu haben, eine Familie zu gründen. Ich würde sagen, es wurde zu einem Zeichen der Selbstliebe, dem Bewusstsein und der Unabhängigkeit von der öffentlichen Meinung.
Während des Lockdowns haben jedoch viele Menschen erkannt, dass nicht alles so einfach ist: Technisch kann jeder alleine leben, aber psychisch und physiologisch – nein. Unser Körper braucht gegenseitige Umarmungen, emotionale Gespräche, z.B. beim Anschauen eines Films, die Gerüche und Geräusche einer anderen Person in der Wohnung, die Fähigkeit, uns selbst durch die Reaktionen derer in der Nähe zu verstehen.
Ohne all das erhält der Körper nicht genügend Serotonin, Dopamin, Oxytocin und Endorphine (die sogenannten „Glückshormone“; mehr in dem Buch „Die Chemie des Glücks“ von Loretta Breuning). So entpuppten sich, trotz aller modernen Technologien, zwei Jahre allein eingesperrt für viele Menschen als Prüfung. Aber für mich persönlich und für Millionen andere Ukrainer war der Krieg die Haupterklärung für die Bedeutung der Familie.
Alleine hätte ich das nicht geschafft
Als ich vom Kriegsbeginn erfuhr, ging ich sofort zu meiner Mutter. Um 5.20 Uhr morgens war ich schon bei ihr und um 10 Uhr trafen wir uns mit meiner Tante, ihrem Mann und meiner Cousine. Aber meine gute Freundin, ein Single-Mädchen, beschloss, nirgendwo hinzugehen. Sie blieb allein in ihrer Zweizimmerwohnung.
Die nächsten Wochen verbrachte sie ganz allein auf einer Matratze auf dem kalten Flurboden und lauschte Sirenen und Explosionen. Sie blätterte alleine durch den Newsfeed, wo von Dutzenden von Toten geschrieben wurde, und sie wusste, dass niemand in der Nähe sein würde, wenn eine Bombe ihr Haus trifft und sie unter den Trümmern liegt oder verletzt wird. Zu flüchten wurde für sie jeden Tag gefährlicher. Die Einsamkeit wurde für sie in diesem Moment zur Hölle. Und obwohl sie überzeugte Atheistin war, begann sie zu beten, dass all dies bald ein Ende haben würde.
Ich erinnere mich, wie ich mit meiner Cousine in einem Auto von der Ukraine nach Deutschland gefahren bin. Unterwegs mussten wir plötzlich anhalten, da die Sirenen heulten und wir dringend Luftschutzbunker suchen mussten. Immer wieder fanden wir uns in kalten Kellern mit Fremden wieder. Dies verlangsamte unsere Flucht sehr, und wir beschlossen, es zu wagen und nonstop durchzufahren - sogar während des Sirenengeheuls.
Wir hörten Explosionen und lasen laufend Nachrichten, da die Straßen ständig blockiert waren, Gebäude bombardiert wurden und bestimmte Gebiete zu gefährlich zum Reisen waren. Einige Leute wurden direkt in ihren Autos beschossen... Wir verbrachten die Nacht bei Fremden. Unweit der Grenze mussten wir das Auto auf dem Feld stehen lassen und zu Fuß gehen, sonst hätten wir drei Tage im Auto sitzen müssen (die Schlange an der Grenze war so lang).
In einem schwierigen Moment lässt sie mich nicht sitzen
Plötzlich begann eine Panik an den Grenztoren, kleine Kinder weinten, es war kalt und sehr, sehr beängstigend. All diese Tage, jede Minute, dachte ich daran, dass ich ohne meine Cousine diesen Weg nicht gewagt hätte. Ich hätte Angst gehabt, mit Fremden zu fahren, aber meiner Cousine habe ich vertraut. In diesen Tagen war ich unglaublich glücklich, dass ich sie habe.
Und ich war auch froh, dass ich eine Schwester in Frankfurt habe, bei der ich für einige Zeit bleiben konnte. Wenn ich sie nicht hätte, wäre ich definitiv in Kiew geblieben. Niemand weiß, was mir dort hätte passieren können. Aber ich hatte eine Verwandte im Ausland. Wir haben keine ideale Beziehung, aber in einem so schwierigen Moment lässt sie mich auch nicht auf der Straße sitzen und umarmt mich, wenn ich weine. Weil sie meine Familie ist.
Die Welt ist zu zerbrechlich
Die Zeit des Lockdowns, der Krieg in der Mitte Europas, ein drohender Dritter Weltkrieg sowie ein Nuklearkrieg und eine schwere Wirtschaftskrise haben uns allen gezeigt, wie zerbrechlich und instabil unsere moderne, technologisch fortschrittliche Welt ist. Alle angesammelten Gelder können verfliegen und Berufserfahrung oder Geschäfte irrelevant werden. Unser Leben ist zu unberechenbar, um es alleine, ohne Familie, zu leben.