chrismon: In welchen Momenten fühlen Sie sich lebendig?
Fabian Hinrichs: Wenn ich mir des Augenblicks bewusst bin. Wenn ich eine Nähe spüre. Meine Kinder ermöglichen mir das, mit ihnen empfinde ich eine Ewigkeit in der Zeit, eine Unendlichkeit im Endlichen.
Haben Sie eine Vorstellung von Gott?
Kant sagt, Gott sei zweifelsfrei nicht erfahrbar. Man kann an ihn glauben, beweisen kann man ihn nicht. Ich habe aber eine Sehnsucht nach Nähe zu Menschen und Dingen, und diese Sehnsucht nach Einssein ist ja auch eine Sehnsucht nach dem Absoluten. In einigen Augenblicken ist das erfahrbar: in der Liebe, auch während einer Theatervorstellung, dieser gemeinschaftlich erlebten Konzentration. Manchmal beneide ich Menschen für ihre pragmatische Gottesvorstellung, in dem Sinne: Ich glaube an Gott, weil es hilft. Ich kann das leider nicht entwickeln.
Fabian Hinrichs
Welche Liebe macht Sie glücklich?
Die zu meiner Frau, zu meinen Kindern. Ich kann es auch umdrehen, die zu meinen Kindern, zu meiner Frau – da gibt es keine Reihenfolge.
Was für ein Mensch sind Sie auf der Bühne?
Ein völlig anderer: Auf der Bühne bin ich nahezu angstfrei. Das ist sehr entlastend, dass ich nicht ich sein muss, ich bin einigermaßen von mir befreit, auch von diesem ständigen Mich-Bewerten. Das ist ein Zustand, den ich suche, wie wahrscheinlich jeder Mensch. Oder wenn Sie lange Fahrrad fahren, irgendwann hört das Gespräch mit sich selbst auf, irgendwann verstummen die vielen Stimmen.
Wer oder was hilft in der Krise?
Eigentlich fällt mir als Erstes – in seiner ganzen Totalität – dieser Satz ein: In einer Krise kann ich nur mir selbst helfen. Und sei es manchmal, indem ich einfach weitermache. Oder indem ich darüber nachdenke und nachspüre, woher die Krise kommt. Gibt es ein strukturelles, ein psychologisches Problem? Wo genau drückt der Schuh? Einige Dinge sind lösbar, andere nicht. Es tut oft sehr weh, zu akzeptieren, dass das Nichtlösbare so bleiben wird. Bestimmtes Leid, bestimmte Probleme mit sich selbst werden bleiben.
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Muss man den Tod fürchten?
Leider sehe ich ihn näherkommen, ich denke jeden Tag an den Tod. Ich bin Mitte 40, und durch das Wachsen meiner Kinder wird mir mein eigener Verfall bewusst. Vor vielen Jahren bin ich auf einer Bergwanderung abgestürzt. Es ging mir nicht gut in dieser Zeit, ich war damals merkwürdigerweise allein auf Mallorca unterwegs, habe im Gebirge die Orientierung verloren, es wurde dämmrig – auf einmal stand ich im Nirgendwo. Mir war vor diesem Erlebnis nicht klar, wie viel Nirgendwo es sogar auf Mallorca immer noch gibt. Ich wurde unvorsichtig und bin abgestürzt, es ging richtig tief runter. Ich brach mir das Sprunggelenk und Teile des Schienbeins. Es kam mir wie ein Film vor, tatsächlich konnte ich mich gerade noch so an einer Baumwurzel festhalten. Ich befand mich in militärischem Sperrgebiet, zwei Wochen vor mir waren zwei Wanderer verhungert, weil sie keinen Handyempfang bekamen. Mit meinem Outdoorhandy konnte ich Hilfe rufen. Meine Rettung dauerte fünf Stunden, das ist mir heute noch unglaublich peinlich! Aber seither gehe ich anders auf Menschen zu und versuche, mich mehr der Welt auszusetzen.
Einsamkeit: weggepustet
Welchen Traum möchten Sie sich unbedingt erfüllen?
Ein politischer Traum wäre, dass man den fortschreitenden Prozess der tiefen ökonomischen und sozialen Spaltungen der Gesellschaft und der Zerstörung unserer Lebensbedingungen verlangsamen kann. Und wenn ich richtig träumen würde, dass man diesen Prozess sogar umkehren könnte. Na ja, wann in der Geschichte konnte man etwas umkehren? Aber wir reden über Träume.
Wie gehen Sie mit Einsamkeit um?
Da ist eine Einsamkeit, die mich nie verlassen wird, sie geht auf meine Kindheit zurück. Und es gibt eine Einsamkeit, die ich immer dann spüre, wenn ich mich nicht verbinden kann mit den Menschen, Dingen, Erlebnissen um mich herum. Wenn ich als reiner Beobachter auf die Welt schaue, bin ich extern, bin ich einsam. Eine dritte Form der Einsamkeit spüre ich zum Glück durch die Liebe zu meiner Frau und zu meinen Kindern nicht mehr. Sie hat – wie unser neuer Turbo-Föhn – diese Einsamkeit vollkommen weggepustet.
Wo drückt der Schuh? - Beobachtungen eines interessierten Laien
Sehr geehrte Redaktion!
Ob sich meine folgenden Beobachtungen womöglich irgendwie an Herrn Fabian Hinrichs übermitteln lassen?
Sehr geehrter Herr Hinrichs!
Ich habe eine gute Nachricht für Sie: Der Schuh drückt im Schuh.
Nein, danke: Warum sollte ich diesen Unfug beachten? Was soll an dieser Nachricht gut sein?
Gegenfrage: Haben Sie eine Vorstellung von Gott? Sie haben eine. Denn Sie sagen: Kant sagt, ...
Aber wie denken Sie?
Sie sagen: Manchmal beneide ich Menschen für ihre pragmatische Gottesvorstellung, in dem Sinne: Ich glaube an Gott, weil es hilft. Ich kann das leider nicht entwickeln.
Aber wie denke ich?
Auch ich glaube nicht an Gott, weil es hilft.
Weil in der Krise hilft: weitermachen - glaube ich nicht an Gott.
Weil gegen Einsamkeit die Familie hilft, - glaube ich nicht an Gott.
Und weil ich auf der Bühne des Lebens ein völlig anderer bin: Auf der Bühne des Lebens bin ich angstfrei, nahezu angstfrei, - deswegen glaube ich nicht an Gott.
Stellen Sie sich vor! Auch ich kann das nicht entwickeln. Das ist nun mal so. Ich soll mich dafür ein bisschen schämen? Woher und wozu sollte ein solcher Wille kommen?
Was aber, wenn Gott an Sie glaubt? Wenn Gott an Sie glaubt? ganz egal, ob Sie "in" oder "out of crisis" sind. - Wenn Gott an Sie glaubt? ganz egal, ob Sie einsam, zweisam oder vielsam sind. - Wenn Gott an Sie glaubt? ganz egal, ob Sie auf, vor, hinter oder neben der Bühne des Lebens sind. Wenn Gott an sie glaubt? ganz egal, ob es eine Geschichte gibt, in der Sie eine Rolle spielen - oder vielleicht nur die Rolle von Leuten, die keine Rolle spielen. - Wenn Gott an Sie glaubt? ganz egal, ob Sie ein völlig anderer sind oder nicht, ob Sie angsfrei oder nahezu angstfrei sind oder nicht.
Wie bereits gesagt, sehr geehrter Herr Hinrichs: Ich habe eine gute Nachricht für Sie: Der Schuh drückt im Schuh.
Mit freundlichen Grüßen aus Leipzig.
Der Narren-Schauspieler Gerhard Engel
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Liebe Chrismon Redaktion,
Liebe Chrismon Redaktion,
Ich habe Euer Magazin abonniert und schätze es sehr! Die Artikel sind regelmäßig spannend und vermitteln einen anderen Blick neben der Tagespresse. Ich lese Chrismon auf Papier, auch das ist ein Unterschied zu den anderen Informationskanälen.
Sehr interessant sind die Interviews ˋWo drückt der Schuh?´. Diesmal Fabian Hinrichs, ein großer Schauspieler und interessanter Interviewpartner. Ganz im Gegensatz zu Louisa, die hunderte Nachrichten am Tag bearbeiten muß. Mehr ist mir von ihrem Interview leider nicht in Erinnerung geblieben.
Tolles Heft, klasse Redaktion, weiter so !
Viele Grüße
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