Neujahr
Sind Sie noch glücklich oder schon zufrieden?
Zum Neujahr wünschen wir uns Glück. Aber vielleicht ist das gar nicht zielführend. Warum wir eher nach Zufriedenheit streben sollten, erklärt Lothar Bauerochse in seinem Essay
Glück blitzt auf – Zufriedenheit trägt weiter
Roc Canals / Getty Images
31.12.2025
5Min

Zum Jahreswechsel steht das Glück hoch im Kurs. Schon seit Tagen wünschen wir uns eifrig gegenseitig ein "glückliches neues Jahr". Und das wird ja auch noch in den ersten Wochen des Jahres 2026 so weitergehen. Sicher, so ein Satz ist auch Floskel, Routine. Aber haben wir es denn nötig? Brauchen wir mehr Glück?

Die Statistik ist sich komplett uneinig im Blick auf die Frage, ob die Deutschen eigentlich ein glückliches Volk sind. Anfang Mai erschreckte uns eine "Internationale Zufriedenheitsstudie" mit dem Satz, die Deutschen seien "nicht so richtig glücklich". Im weltweiten Vergleich belegten sie unter 22 Nationen nur den 17. Platz. Abstiegsrang. Ganz vorn lagen Indonesien und Mexiko. Dagegen sieht der "Weltglücksbericht" seit Jahren Finnland auf Platz eins als "glücklichstes Land". Und dort kann sich Deutschland im obersten Fünftel von 147 Nationen halten. Vielleicht ist das Glück aber einfach auch statistisch und in Umfragen schwer zu messen, zumal im internationalen Vergleich? Glück ist, wie wir wissen, ein flüchtig Ding. Weswegen wir es anderen gern als Wunsch mit auf den Weg geben ins neue Jahr.

Hierzulande erhebt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung seit vielen Jahren unseren Glücksstatus. Da sieht es gar nicht so schlecht aus. Nach einer Studie von 2024 hat die Zufriedenheit der Deutschen etwas zugenommen. Augenblicke des Glücks sind keine Rarität, aber inflationär verbreitet sind sie nicht gerade, schreibt die Autorin Christina Berndt in ihrem Buch "Zufriedenheit", denn Glück ist außergewöhnlich, es ist eines der besten Gefühle, das der Mensch haben kann. Aber es ist nicht auf Dauer angelegt.

Die Jagd nach dem Glück kann sogar zum Stress werden. Und wird es auch oft. Wir leben in einer Gesellschaft der Selbstoptimierer. Alles muss immer besser und schöner werden, wir setzen uns hohe Ziele, wir machen große Träume, wir wollen mehr leisten. Gerade in diesen Tagen rund um den Jahreswechsel werden allerlei gute Vorsätze mindestens gedanklich ausformuliert, in denen die Welt und ich selbst viel schöner und besser werden. Auch wenn wir alle ahnen, dass in einem Jahr beim bilanzierenden Rückblick eher Ernüchterung einkehren wird.

Befeuert wird unsere Jagd nach dem großen Glück auch noch durch die sozialen Medien. Täglich bekommen wir in Storys und im Feed vor Augen geführt, wie glücklich alle anderen doch sind. Schon wieder posten die Nachbarn katalogreife Bilder vom fernen Urlaubsort. Die beste Freundin strahlt so unglaublich glücklich ins Selfie. Der Arbeitskollege hat schon wieder mit großer Leichtigkeit eine schier unglaubliche Trainingsstrecke zurückgelegt und zeigt sich durchgeschwitzt, aber glücklich. Und ich? Mein Leben?

Das Streben nach Glück kann auch unglücklich machen

Das Streben nach Glück, es kann paradoxerweise ganz schön unglücklich machen, schreibt die Wissenschaftsjournalistin Christina Berndt. Ihr Gegenmittel? Arbeitet an eurer Zufriedenheit, sagt sie. Klingt nicht gerade sexy. Taugt so gar nicht für einen Neujahrsgruß: Tu was für deine Zufriedenheit! Wer will das schon hören?

Mich spricht der Gedanke trotzdem an. Gerade am Ende eines Jahres, das in meiner Wahrnehmung von sehr viel Unzufriedenheit geprägt war. Eine Unzufriedenheit, die genährt wird durch ein bemerkenswertes Auseinanderfallen von Innen- und Außenwahrnehmung. Nur ganze sieben Prozent der Deutschen beurteilen die allgemeine Wirtschaftslage als gut. Aber 57 Prozent der Befragten finden, dass ihre eigene persönliche Wirtschaftslage durchaus gut ist. Viele beklagen einen Verlust des Wir-Gefühls in Deutschland und mangelnden Zusammenhalt in der Gesellschaft.

Sie sehnen sich nach mehr Gemeinschaftserlebnissen – und finden die auch im persönlichen, näheren Umfeld. Die Stimmung ist offenbar deutlich schlechter als die Realität. Aber die Stimmung hat Folgen fürs gesellschaftliche Miteinander. Das Gefühl von Stillstand weckt eine heimliche Sehnsucht nach "Sprengung", so sagen es Forscher. Enttäuschung und Radikalisierung nehmen zu, Engagement und Optimismus schwinden. Viele setzen ihre Hoffnung auf einen starken und fürsorglichen Krisenmanager. Die gefühlte Unzufriedenheit soll doch, bitte schön, von außen in ein Glücksgefühl umgewandelt werden.

Aber so wird das nichts. Und das wissen wir. Grund genug, sich doch auf die Zufriedenheit zu besinnen? Sie ist die "weniger glamouröse Stiefschwester des Glücks", schreibt Christina Berndt, "Aber sie ist verlässlich und auf Dauer erfüllend", ein "lang anhaltendes Gefühl, weniger aufjauchzend, weniger euphorisierend, aber ruhig und stabil". Und, tatsächlich, Zufriedenheit kann man einüben.

Wer Stärken ausbaut, lebt zufriedener

Das beginnt mit einem Blickwechsel. Wir sind es gewohnt, vor allem unsere Schwächen wahrzunehmen. Wir sehen, was nicht gelingt und klagen darüber. Das gilt persönlich wie gesellschaftlich. Schon als Kind haben wir gelernt, dass die Vier im Zeugnis für viel mehr Aufsehen sorgte als die gute Note. Wir setzen viel mehr Energie daran, Schwächen zu bekämpfen, als unsere Stärken zu fördern. Deshalb: Wie wäre es, wenn wir nach eigenen Qualitäten Ausschau halten und uns die Nischen suchen, wo wir unsere Stärken am besten leben können? In zahlreichen Studien ist das nachgewiesen: Wer Stärken ausbaut, lebt zufriedener. Wer es trainiert, zum Beispiel zugewandt, neugierig oder dankbar zu sein, gewinnt schon nach wenigen Wochen an Lebenszufriedenheit.

Und die "Zutaten" der Zufriedenheit können wir als Einzelne wie als Gesellschaft durchaus gut gebrauchen, im neuen Jahr und darüber hinaus. Da ist die liebende Zuwendung zu anderen, die Stärkung unserer sozialen Bindungen, aber auch die Hinwendung zur Natur, zu Tieren, zur Arbeit. Auch der alte Satz "Geben ist seliger als nehmen" hat seine Berechtigung nicht verloren. Solidarität, Nächstenliebe und Altruismus sind elementar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und befördern die eigene Zufriedenheit.

Neugier aufs Leben und Offenheit für Neues setzen uns in Bewegung, entfalten kreative Kräfte, belohnen uns mit staunenswerten Erfahrungen. Neugierige Menschen genießen, dass das Leben sich ändert, und können es leichter akzeptieren, wenn eine Veränderung doch mal zum Schlechteren geschieht. Akzeptanz und Gelassenheit brauchen wir in unruhiger Zeit, im Miteinander von unterschiedlichen Charakteren und Kulturen. Beides beginnt im Kopf. Die damit verbundene Haltung können wir einüben, an jedem Tag neu.

Dazu hilft ein gewisser Realitätssinn, dass wir nicht irgendwelchen Luftschlössern hinterherlaufen, stattdessen wahrnehmen, was ist. Denn das bedeutet auch, sehen zu lernen, wo etwas verändert werden muss oder kann, und wo wir die Gegebenheiten akzeptieren sollten. Und schließlich: Dankbarkeit ist eine wesentliche Zutat der Zufriedenheit. Sie hilft uns beim Blick auf das Gute im Leben, sie weitet den Blick für die Mitmenschen, denen wir etwas verdanken, sie stärkt die psychische Widerstandskraft, macht uns krisenfest.

Momente des Glücks sind ungeheuer wertvoll. Es gibt gar keinen Grund, den Menschen rund um den Jahreswechsel nicht ein "glückliches neues Jahr" zu wünschen. Aber fürs andauernde Glücklichsein sind wir nicht gemacht. Wohl aber können wir uns aktiv für mehr Zufriedenheit entscheiden. Und dann gilt, so Christina Berndt: "Ein Leben in Zufriedenheit, es ist letztlich das größte Glück."

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