Meena Soni (Jahrgang 1973):
Mit 17 Jahren wurde ich verheiratet, ich hatte meinen Mann vorher noch nie gesehen, unsere Eltern arrangierten die Ehe. Als erstgeborener Sohn war er verwöhnt und arbeitete nicht, wir lebten in großer Armut von dem, was seine Eltern uns gaben. Ich gebar drei Kinder.
Als unsere älteste Tochter acht Jahre alt war, konnte ich den Hunger meiner Kinder nicht mehr ertragen und begann gegen den Willen meines Mannes zu arbeiten – bei einer lokalen Zeitung im ländlichen Uttar Pradesh, die Zeitung ist von Frauen für Frauen gegründet worden. Wir berichteten über all die Ungerechtigkeiten in unserer Gegend.
Wurde eine Frau vergewaltigt, waren wir meist schon vor der Polizei vor Ort, schauten, dass die Polizei die Beweise ordnungsgemäß sammelte und die Gerichte ihrer Arbeit nachgingen. Wir haben uns wegen unserer kritischen Berichterstattung einen Ruf erarbeitet, wir sind gefürchtet und respektiert.
Ich verließ das Haus früh und kam spätabends zurück. Mein Mann behauptete, ich hätte Affären mit anderen Männern. Obwohl ich ihm meinen ganzen Verdienst gab, schlug er mich häufig. Mehrfach versuchte er, mich aufzuhängen oder zu erwürgen. Ich habe nie jemandem davon erzählt. Uns wurde beigebracht, den Ehepartner wie Gott zu behandeln. Ich tat nur, was andere für richtig befanden. Ich war naiv.
Als sie krank war, übergoß er sie mit Säure
Eines Tages war ich krank und bat meinen Mann um Tee. Er brachte ihn mir, und als ich wieder einschlief, spürte ich, wie er Säure über mich kippte. Ich rannte aus dem Haus, schrie um Hilfe, niemand reagierte. Ich schleppte mich zu einer Rikscha, die mich in ein Krankenhaus brachte. Noch am selben Tag beging mein Mann Suizid.
Die Hilfsorganisation Vanangana, gegründet von Frauen, die selbst Gewalt erfahren hatten, hörte von meinem Fall und brachte mich in ein größeres Krankenhaus. Dort wurde ich viele Monate behandelt. Mein Körper war zu 75 Prozent verätzt, ich wurde fünf Mal operiert. Die ersten sechs Monate konnte ich mich nicht bewegen, ich hatte starke Schmerzen und konnte kaum sprechen.
Dann kehrte ich zu meinen Schwiegereltern zurück. Ich war schwer depressiv und traute mich nur verhüllt aus dem Haus. Doch als mich meine Schwiegereltern rauswarfen, beschloss ich, allen zu zeigen, wozu eine alleinstehende Frau fähig ist.
Meine Kinder und ich wurden von der Leiterin von Vanangana aufgenommen, und ich hörte auf, mich zu verstecken. Es wurde mir egal, wie andere mich sehen und was sie von mir denken. Ich fing an, meine Meinung zu sagen. Plötzlich wollten Menschen Zeit mit mir verbringen, die gestern noch schlecht über mich geredet hatten. Heute kümmere ich mich nicht mehr um mein Gesicht und um Konventionen: Ich wohne allein, habe nicht wieder geheiratet und meine Kinder allein großgezogen.
Ich arbeite bei einer Menschenrechtsorganisation. Wir kämpfen für Frauen, die zu Unrecht im Gefängnis sitzen. So wie Rubina, die zum Sündenbock gemacht wurde, als eine Auseinandersetzung in ihrer Nachbarschaft mit einem Mord endete. Sie war schwanger und zu arm, um einen Anwalt zu bezahlen. Dreieinhalb Jahre war sie im Gefängnis, wo ihr Sohn aufwuchs, während ihr Mann sie verließ. Wir stellen den Frauen Anwälte zur Verfügung und sorgen dafür, dass sie gegen Kaution freikommen.
Je größer die Probleme der Frauen sind, je mehr ich mich anstrengen muss, eine Lösung zu finden, desto mehr Kraft und Liebe entdecke ich in mir. Als ich das erste Mal ein Gefängnis betrat, wurde mir klar, dass meine Situation viel besser ist als die der Frauen, die dort leben. Was macht es schon, dass ich ein entstelltes Gesicht habe – ich bin frei.
In unserer Gesellschaft sagt man, eine Frau könne nichts allein schaffen, aber ich möchte das Gegenteil beweisen. Wir haben ein schönes Zuhause, genug zu essen, und meine Kinder haben alle eine gute Ausbildung genossen. Meine älteste Tochter lebt glücklich mit Mann und Kindern, meine jüngere Tochter arbeitet als Model, und mein Sohn ist in einer Firma angestellt. Er sagt immer zu mir: "Für mich bist du die wahre Inspiration. Immer wenn ich nicht weiß wie weiter, denke ich an alles, was du erlebt und getan hast, dann verschwindet sofort mein ganzer Stress."



