Olaf Scholz öffnet vor laufender Kamera seine Aktentasche – und zeigt darin vor allem eins: gähnende Leere. Der Versuch, bei einer Social-Media-Challenge nahbar zu wirken, wurde schnell zum Sinnbild für eine Inszenierung, die kaum Inhalt transportierte
ddp
Politiker und Social Media
What’s in my Bag?
Politiker brauchen Social Media Accounts. Aber die müssen dann auch richtig gut sein. Wie man es besser machen könnte
Karsten Fink
24.11.2025
4Min

Einst waren Radio, Fernsehen und Zeitungen Vermittler zwischen Politik und Gesellschaft: Politische Themen wurden über Leitartikel, Talkshows und Pressekonferenzen kommuniziert, dabei hatten die Medien eine Gatekeeper-Funktion. Der direkte Kontakt zwischen Politikern und Bürgern blieb begrenzt auf Wahlkampfveranstaltungen oder Bürgersprechstunden.

Social Media hat das grundlegend verändert, die Tore stehen weit offen. Instagram, YouTube und vor allem TikTok prägen längst die öffentliche Meinungsbildung. Mehr als die Hälfte der Deutschen nutzt sie regelmäßig, unter den 14- bis 29-Jährigen sind es fast 80 Prozent. Klassische Medien hingegen verlieren an Bedeutung – besonders bei jungen Menschen. Wer die erreichen will, muss dorthin, wo sie sich informieren, austauschen und unterhalten lassen – und ja, sich dabei auch orientieren.

Das hat die Politik erkannt. Die Budgets für digitale Öffentlichkeitsarbeit steigen, Social-Media-Teams wachsen. Fast alle Bundestagsabgeordneten sind auf den Plattformen aktiv, zwei Drittel auch auf TikTok.

Damit könnten Politikerinnen unmittelbar bei Wählern für ihre Ziele werben und Vertrauen aufbauen – zumindest theoretisch. Denn in der Praxis gelingt das vor allem Populisten, die Angst schüren, Misstrauen säen und die Demokratie schwächen. Um ihnen nicht das Feld zu überlassen, müssen auch seriöse Politiker auf Social Media präsent sein. Und: Sie müssen lernen, wie das richtig geht.

Denn wirklich erfolgreich sind bislang die wenigsten. Kein Wunder: Statt auf Dialog und Persönlichkeit setzen sie auf Zitatkacheln, Sharepics mit Parteilogo, Hochglanzclips. Man wolle Politik erklären, statt Selbstinszenierung zu betreiben, sagt CDU-Vizegeneralsekretärin Christina Stumpp, die selbst auf TikTok aktiv ist. Damit verkennt sie die Logik der Plattformen. Dort gilt: Menschen interessieren sich für Menschen und deren Geschichten. Politik braucht deshalb Storytelling: Ideen, Ziele und Visionen müssen nicht analytisch, sondern persönlich, nahbar und leidenschaftlich erzählt werden.

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Wie das gelingen kann, zeigt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Er filmt sich selbst beim Radfahren, postet sein Mittagessen unter #söderisst und spricht im Selfiemodus direkt in die Kamera – im Hoodie, mit strubbeligen Haaren, spontan und pointiert. Über die Inhalte lässt sich streiten, kommunikativ hat Söder aber verstanden, wie die Plattformen funktionieren. Seine Videos werden kommentiert, gelikt und geteilt.

Auch Freude und Begeisterung bringen Follower

Und genau das zählt: Interaktion. Darauf reagiert der Algorithmus, so entsteht Reichweite. Nur eine Minderheit der User folgt den Accounts von Politikerinnen direkt – aber wenn davon viele reagieren und ihre Beiträge teilen, werden die Inhalte sichtbarer.

Reichweite allein reicht dabei nicht: Als das Social-Media-"teamolafscholz" den ehemaligen Bundeskanzler 2024 dazu brachte, auf TikTok im Strom der Challenge "What’s in my bag?" mitzuschwimmen und vor der Kamera den Inhalt seiner Aktentasche auszupacken, verschaffte ihm das zwar millionenfache Views. Politische Überzeugungskraft oder gar Wählerstimmen aber verbanden sich damit nicht – ganz abgesehen von der unbedachten Einladung zur Häme, der Inhalt dieser Tasche sei so fad wie ihr Amtsträger selbst.

Die sich selbst verstärkende Dynamik der Emotionalisierung und der Algorithmus sozialer Medien begünstigen Beiträge, die starke, unmittelbare Reflexe auslösen. Posts, die Angst oder Wut erzeugen, werden häufiger geteilt. Populisten nutzen das gezielt: Sie hetzen, lügen, polarisieren in kurzen, emotionalen Clips – und gehen damit viral.

Doch auch demokratische Stimmen können sich erfolgreich Gehör im digitalen Raum verschaffen. Jüngstes prominentes Beispiel ist der designierte New Yorker Bürgermeister Zohran Mamdani: Er hört einer Mutter zu, die trotz Arbeit ihre Wohnung verloren hat. Er spricht mit einem Imbissbudenbesitzer, der erklärt, warum er die Preise erhöhen musste. Die Botschaft seiner Videos: Diese Stadt, ihre Lebensart und ihre Menschen liegen Mamdani ernsthaft am Herzen. Und er will das Leben dort gerechter machen, für möglichst viele. Tausende teilen seine Vision – und seine Videos. Er beweist: Auch Freude und Begeisterung bringen Klicks und Follower.

Um die sozialen Medien nicht den unsozialen Spaltern zu überlassen, braucht es Strategien und Inhalte, die zu dieser Logik der Plattformen passen, aber zugleich der Manipulation Paroli bieten: Weder Pressemeldungen noch Tanzvideos bringen Sympathie und politisches Kapital, nicht Hochglanz, sondern Haltung erzeugt Glaubwürdigkeit, nicht Anbiederung, sondern Aufrichtigkeit schafft ein Gegengewicht zu Fake News. Gefragt sind Visionen und mitreißende Erzählungen – emotional zugespitzt, aber nicht hasserfüllt, populär, aber nicht populistisch. Das ist eine Herausforderung. Das kostet Zeit und Geld – auch für gute, sensible Social-Media-Teams. Aber auch damit ist es noch nicht getan: Demokratische Politiker müssen selbst ein Gefühl für die Plattformen entwickeln, deren spezifische Sprache verstehen und lernen, ihre Geschichten dort zu erzählen: von Lösungen, Ideen und Zielen für das Land.

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