Cornelia Dietsche war erschüttert, als sie über den plötzlichen Tod ihrer Oma benachrichtigt wurde. Sie sagte ihrer Chefin Bescheid. Für den Tag der Trauerfeier durfte sie einen ihrer Urlaubstage nehmen, aber nicht für den Tag der Urnenbeisetzung. Sie war an dem Tag im Dienstplan eingeteilt und niemand konnte mit ihr tauschen. "Die Firma wäre nicht zusammengebrochen, wenn ich nicht da gewesen wäre. Aber die Anzahl der Mitarbeiter in einer Schicht war die Vorgabe der Firma."
An dem Tag der Beisetzung durfte sie während der Zeit der Beisetzung ausstempeln und nach draußen gehen. Sie setzte sich auf eine Parkbank und weinte. Eine fremde Frau, die gerade vorbeikam, sprach sie an: "Brauchen Sie Hilfe? Kann ich etwas für Sie tun? Soll ich mich zu Ihnen setzen?"
Sie hätte sich gewünscht, bei der Urnenbeisetzung dabei zu sein und die Möglichkeit zu haben, sich persönlich verabschieden zu können.
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Als sie einige Monate später eine Fehlgeburt erlitt, dachte sie, sie müsse das alles allein durchstehen. Über Fehlgeburten wurde nicht gesprochen. Sie war voller Trauer und machte sich unter anderem Vorwürfe, dass sie nicht "richtig" auf ihr Kind aufgepasst hatte. Erst zwei Monate später erzählte sie zwei Kolleginnen von ihrer Fehlgeburt.
Die Kolleginnen reagierten völlig anders als erwartet. Sie warfen Cornelia Dietsche vor, dass sie nicht früher davon erzählt hatte und sagten ihr, dass sie nun sehr enttäuscht von ihr seien. Dies stieß ihr wieder vor den Kopf und niemand zeigte Verständnis für Ihre Situation – die sie auch erst mal für sich verarbeiten musste. Sie hätte sich zum Beispiel gewünscht, dass die Kolleginnen sie in den Arm nehmen und so etwas sagen wie: "Oh, Conny, das tut uns total leid. Wir bedauern, dass du dein Kind nicht mehr bei dir hast. Danke, dass du uns das anvertraust. Wie können wir dich unterstützen? Was brauchst du?"
Ihren Job hat Cornelia Dietsche mittlerweile gekündigt. Heute ist sie hauptberuflich Trauerbegleiterin, Trauerrednerin und Krisenberaterin. Sie hilft Unternehmen, ihren Mitarbeitenden in schwierigen Zeiten zur Seite zu stehen. Denn die Ratlosigkeit ist groß.
Im Trauerfall brauchen Mitarbeitende oft Zeit
Kürzlich hatte eine Frau ihr Kind in der 38. Schwangerschaftswoche tot zur Welt bringen müssen. Die Personalabteilung suchte Unterstützung: Wie sollten sie mit der Mitarbeiterin umgehen? Da jeder Mensch anders trauert, riet Dietsche, die Mitarbeiterin zu fragen, was ihre aktuellen Bedürfnisse sind. Häufig bräuchten Mitarbeitende zunächst Zeit. Zeit, um die Trauerfeier und Behördengänge zu erledigen und Zeit, das Erlebte zu verarbeiten und bewusst zu trauern.
Die Menschen brauchen mehr Zeit als die nach Verwandtschaftsnähe gestaffelten maximalen drei Tage tariflichen Sonderurlaub. Viele Angestellte nehmen reguläre Urlaubstage oder machen Gleitzeitausgleich, manche bekommen in der Arztpraxis eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Für die erste Zeit seien rund zwei Wochen Zeit nötig.
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Wenn Vorgesetzte von einem Trauerfall bei Mitarbeitenden erfahren, könnten sie gleich erfragen, ob und mit welchen Worten das Team und gegebenenfalls die Belegschaft, je nach Firmengröße, informiert werden sollen. Eine Trauerkarte vom Team oder Blumen mit der Botschaft "Wir denken an dich" können eine wichtige Geste sein, sagt Cornelia Dietsche. Vor der Rückkehr an den Arbeitsplatz sollten Vorgesetzte klären, wie die Rahmenbedingungen sind, wie Arbeitspensum, Arbeitszeiten, Pausenregelung, und ob die trauernde Person angesprochen werden möchte auf ihren Verlust oder möglichst nicht.
Todesfall im Unternehmen
"Trauerkultur ist immer Unternehmenskultur. Wenn der Umgang sowieso schlecht ist, spiegelt sich das auch im Umgang mit dem Tod wider", sagt Petra Sutor. Sie verantwortet seit vielen Jahren in einem internationalen Konzern deutschlandweit die psychosoziale Beratung und Krisen- und Trauerbegleitung. Bei ihren Coachings geht es nicht nur um den Fall, dass Mitarbeitende im privaten Umfeld einen Todesfall hatten, sondern auch um den Fall, dass es im Kollegium selbst einen Todesfall gab.
Sutor erinnert sich an die erste Feier, die sie für ein Team organisierte. "Es war eine Feier des Lebens, eine Erinnerung an die Spuren, die der Kollege hinterlassen hat." So könne man die Kultur des Erinnerns in die Unternehmenskultur integrieren. Die Trauer werde gewürdigt, gleichzeitig werde der Abschied erleichtert. "Was soll von jemandem bleiben?" – Diese Frage stellt Sutor häufig an Teams, um über das Andenken an einen verstorbenen Kollegen nachzudenken.
Man könne auch Erinnerungen an die gemeinsame Zusammenarbeit auf Kärtchen schreiben und in eine Schachtel legen und zusammen mit Fotos von Firmenfeiern oder Ausflügen den Angehörigen übergeben. Ohnehin müsse das Unternehmen unbedingt der Familie kondolieren. Das kann schriftlich erfolgen oder, nach Rücksprache mit der Familie, auch bei der Beerdigung.
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Wenn das Unternehmen finanzielle Mittel zur Verfügung stellen könnte, sollte es vorsichtig nachfragen, wie es der Familie nun finanziell geht. Sehr oft nämlich, so Petra Sutors Erfahrung, seien Witwen mit Kindern ohne Rücklagen, dafür mit größeren Krediten für Haus und Auto konfrontiert. Eine Unterstützung bei den Beerdigungskosten könne da sehr hilfreich sein.
Mittlerweile, so die Beobachtung der Trauerbegleiterin, machen sich zumindest viele größere Unternehmen Gedanken, wie man in einem Trauerfall betroffene Mitarbeitende auffangen könne. In vielen Konzernen gebe es auch Ansprechpersonen, die eine Erstberatung machen können, um dann die Menschen an geeignete Anlaufstellen weiterzuvermitteln.
Ein Ort zum Trauern und Erinnern am Flughafen
Der Frankfurter Flughafen, größter Arbeitgeber in der Rhein-Main-Region, ist solch ein Unternehmen. Die Mitarbeitenden der Flughafen-Seelsorge gestalten zum Beispiel Trauerfeiern für verstorbene Fluggäste und Beschäftigte. So wie jüngst für eine verstorbene Mitarbeiterin aus der Lounge.
Zwischen den Rolltreppen, Duty-free-Shops und dem Dröhnen der Durchsagen gibt es einen Ort der Ruhe – eine Kapelle. Nur wenige Meter von Abflughalle B entfernt, bekommt man von der Hektik des Flughafens kaum noch etwas mit. Flughafen-Pfarrerin Bettina Klünemann hat sich schnell ihren Talar übergeworfen. Sie wird gleich die Zeremonie halten. "Wir machen meistens zwei Feiern, eine für die Frühschicht und eine für die Spätschicht", sagt sie und stellt sich an den Eingang der Kapelle, um dort die Trauergäste zu begrüßen. In dem Raum stehen Dutzende Holzstühle, ein Redepult und sogar eine Miniorgel. Der Verlust der Kollegin wird hier mit einer Mischung aus Bescheidenheit und Würde betrauert.
Während Klünemann die Hände der ersten Trauergäste schüttelt, läuft aus einer Bluetoothbox klassische Musik. Der Sohn der Verstorbenen ist gekommen, auch ihre Schwester ist da. Einige Gäste tragen Kochschürze, andere eine Uniform der Deutschen Bahn.
Mit "Sie fehlt" beginnt Bettina Klünemann ihre Trauerrede, auf dem Tisch brennen Kerzen, daneben ein großes Foto, auf dem die Verstorbene lacht. Die Gäste wirken schnell ergriffen von der Atmosphäre, eine Frau weint, ihre Kollegin nimmt sie in den Arm, eine andere verteilt Taschentücher.
Pfarrerin Klünemann hat Bibelstellen ausgewählt und leitet damit zu einem Austausch mit den Gästen über. "Was geht Ihnen durchs Herz, wenn Sie an sie denken? Was wäre ein Wort, das Sie an sie erinnert?", fragt sie in die Runde. Nach einer Weile sagt eine Frau "Fröhlichkeit", die anderen nicken. Es entsteht ein Gespräch, die Kolleginnen und Kollegen tauschen Anekdoten aus. Zum Schluss segnet Klünemann die Gäste und verteilt Bienenwachskerzen zum Anzünden.
Danach treffen sich alle bei den vier hellgrünen Glastafeln am Eingang der Kapelle. Der Sohn der Verstorbenen zeigt auf den dort niedergeschriebenen Namen seiner Mutter. Auf den Tafeln wird jede verstorbene Person vermerkt, die einen Bezug zum Flughafen hatte – Angestellte aber auch Reisende, die im Flughafen starben. Vor über 20 Jahren hatte ein tödlicher Unfall auf dem Rollfeld die Angestellten so sehr aufgewühlt, dass sie diesen Erinnerungsort einforderten.
Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht, sagt Petra Sutor. Aber sie gewinnen auch etwas, so ihre Erfahrung: "Die Unterstützung in Ausnahmesituationen erhöht massiv die Loyalität. Man bleibt lieber, wenn man sich unterstützt fühlt."