Auf dem Kirchentag 2025 in Hannover war der Protest gegen rechtsextreme Position ebenfalls Thema
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AfD-Verbotsantrag
Zum Scheitern verurteilt?
Was spricht gegen ein AfD-Verbotsverfahren? Wir haben uns die Argumente näher angeschaut
Tim Wegner
06.05.2025
5Min

Am 2. Mai 2025 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextremistisch ein. Die Bundesregierung, der Bundesrat oder der Bundestag könnten nun einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe stellen. Es gibt allerdings gute Argumente gegen diesen Schritt. Wir haben sie uns angeschaut.

These 1: Noch nicht einmal die NPD ist verboten worden, dann klappt es bei der AfD auch nicht.

Richtig ist: Zwei Verfahren, die NPD durch das Bundesverfassungsgericht verbieten zu lassen, sind gescheitert. Beim ersten Antrag kritisierte Karlsruhe, dass sogenannte V-Leute – also Mitarbeitende des Verfassungsschutzes – möglicherweise an Beschlüssen der NPD mitgewirkt hatten. Der zweite Antrag führte dazu, dass das Bundesverfassungsgericht klar feststellte, dass die NPD verfassungsfeindlich agiere – sie sei aber zu klein, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen.

Aus dem Scheitern der Verfahren gegen die NPD lässt sich also sogar schlussfolgern, dass ein Verbotsantrag gegen die AfD erst recht aussichtsreich ist. Denn die Partei wächst stetig. Bei der Bundestagswahl erreichte sie über 20 Prozent der Stimmen. Bei der Landtagswahl in Thüringen wurde sie stärkste Kraft, in Brandenburg und Sachsen zweitstärkste Partei. Gerade weil sie so groß ist, wird die AfD zur Gefahr für die Demokratie.

Seit einigen Jahren schon galt die AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall, der Verfassungsschutz durfte geheimdienstliche Mittel nutzen, um in Erfahrung zu bringen, ob die Partei – wie nun festgestellt – gesichert rechtsextremistisch ist.

Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass V-Leute in der AfD aktiv sind. Wäre dies der Fall, wäre das Gebot der strikten Staatsfreiheit nicht gegeben. Es besagt, wie der Jurist Till Patrik Holterhus im "Verfassungsblog" erklärt, dass "die von einem Verbotsverfahren betroffene Partei keinesfalls unter dem (auch nur potenziellen) Einfluss staatlicher oder staatlich kontrollierter Akteure stehen darf. Willensbildung und Selbstdarstellung der Partei, die zentrale Anknüpfungspunkte eines Verbotsverfahrens bilden, müssen sich unmittelbar vor und während des Verfahrens eigenständig und staatsfrei vollziehen können". Mit anderen Worten: Der Staat darf kein Verbot einer Partei beantragen, in der staatliche Akteure – V-Leute oder verdeckte Ermittler – aktiv sind.

Die Gruppe um den ehemaligen CDU-Abgeordneten Marco Wanderwitz wusste um dieses Risiko und arbeitete entsprechende Fristen in ihren Antrag ein, damit V-Leute vor dem Verfahrensstart von den Verfassungsschutzämtern abgezogen werden können. Auf dieser Arbeit kann der Bundestag aufbauen, muss dabei aber sehr sorgfältig und gründlich arbeiten. Bisweilen erweckt die öffentliche Debatte den Eindruck, ein Verbotsverfahren könne einer von vielen Tagesordnungspunkten im Bundestag und in wenigen Tagen auf den Weg gebracht sein. Aber das ist nicht so.

These 2: Ein Verfahren dauert zu lange.

Dass ein Verbotsverfahren Zeit in Anspruch nimmt, ist gut und richtig. Eine Partei zu verbieten, ist ein sehr schwerwiegender Eingriff in einem demokratischen System. Es darf nur das allerletzte Mittel sein. Entsprechend gründlich muss das Verfassungsgericht arbeiten. Das kostet Zeit – aber Experten wie der Jurist und Journalist Ronen Steinke rechnen damit, dass das Bundesverfassungsgericht nach etwa zwei Jahren eine Entscheidung treffen könnte. Das wäre noch vor der nächsten Bundestagswahl in vier Jahren.

These 3: Das Gutachten des Verfassungsschutzes ist unter Verschluss. Aber wenn es eine Rolle in einem Verbotsverfahren spielt, hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf zu wissen, was darin steht.

Dieses Argument ist stichhaltig und das Bundesinnenministerium täte gut daran, das Gutachten bald zu veröffentlichen. Passagen, in denen Informationen stehen, die mit geheimdienstlichen Mitteln gewonnen wurden, könnten geschwärzt werden. Viele Äußerungen aus der AfD, die sich eindeutig gegen das Grundgesetz richten - und etwa gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen - liegen ohnehin offen zutage und dürften in dem Gutachten zu Recht viel Raum einnehmen.

These 4: Die AfD ist eine demokratische Partei. Die Wählerinnen und Wähler werden sich noch mehr von der Demokratie abwenden, wenn es zu einem Verbotsverfahren kommt.

Es ist richtig, dass die AfD den demokratischen Ansprüchen an eine Partei in Verfahrensfragen genügt. Parteitage wählen Listen mit Kandidierenden, die dann in die Parlamente einziehen. Allerdings sind darunter auch Politiker, die sich offen rechtsextrem äußern. Nur ein Beispiel von vielen ist der frisch gewählte Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich, der sich als das "freundliche Gesicht des NS" bezeichnet hat. Er wurde von der AfD-Fraktion im Bundestag aufgenommen.

Seit ihrer Gründung bemüht die AfD ein Opfernarrativ. Sie werde ungerecht von anderen Parteien und den Medien behandelt. Zweifellos hat diese Erzählung bei vielen Menschen verfangen. Deshalb suhlt sich die AfD auch nach dem Beschluss der Verfassungsschützer wieder in der Opferrolle. Man werde öffentlich diskreditiert und kriminalisiert.

Es kann sein, dass viele Menschen dieser Argumentation erneut folgen. Allerdings hat das Bundesamt für Verfassungsschutz nur seine Pflicht getan. Und ja, auch ein Verbotsverfahren könnte die Anhängerschaft der AfD in den Trotz treiben. Aber Demokratinnen und Demokraten müssen nicht sehenden Auges zusehen, wie die Demokratie bekämpft wird. So steht es im Grundgesetz, in Artikel 21 heißt es:

"Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."

Das bedeutet auch: Eine Partei muss nicht in ihr Programm schreiben, dass sie die Demokratie abschaffen wolle. Es kommt auch auf das Verhalten ihrer Anhänger an. Und Artikel 21 besagt klar: Eine Demokratie muss nicht zusehen, wenn eine Partei oder ihre Anhänger die Demokratie abschaffen wollen. Diese Lehre zogen die Mütter und Väter des Grundgesetzes aus dem NS-Terror. Zur Erinnerung: Die Nazis kamen gemäß den Bestimmungen der Weimarer Verfassung an die Macht und demontierten die Demokratie dann innerhalb weniger Wochen von innen heraus.

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These 5: Man muss die AfD politisch bekämpfen, nicht juristisch.

Der designierte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt sagt: "Ich bin der Überzeugung, man muss die AfD nicht wegverbieten, man muss sie wegregieren." Und auch unter Merz und Söder rückt die CDU besonders in der Migrationsfrage deutlich nach rechts. Friedrich Merz nahm bei einer Abstimmung im Januar im Bundestag sogar die Stimmen der AfD für eine Mehrheit in Kauf. Die Strategie dahinter, AFD-Wähler zurückzugewinnen, ist allerdings gefährlich. Die Wissenschaft warnt schon lange davor, dass eine Kopie extremer Parolen immer das Original stärkt - in diesem Fall die AfD.

Es ist ratsam, die Debatte ruhig, sachlich und dennoch zügig zu führen. Das gilt auch für die Befürworter eines Verbotsantrages: Nicht jede Stimme, die vor einem Verbotsantrag warnt, will die AfD verharmlosen. Und nicht jeder Gegner eines Verbotsantrages sollte davon ausgehen, den Befürwortern gehe es nur darum, unliebsame Konkurrenz loszuwerden.

Am Ende kann man das eine tun – und beschließen, ein Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht einzureichen. Deshalb muss, ja darf man das andere nicht sein lassen: zu versuchen, die Wählerinnen und Wähler der AfD zurückzugewinnen. Wie das gelingen kann? Hierzu ist politischer Streit in der demokratischen Mitte hochwillkommen - ganz egal, ob in Karlsruhe ein Verfahren anhängig ist oder nicht.

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