Maximilian Staudt (Jahrgang 1996):
Richtig krass war es für mich, als ich im Sommer 2019 meinen Führerschein abgeben musste, da war ich 23. Ich war beim Augenarzt gewesen, zu dem ich regelmäßig zur Kontrolle gehe. Er bestätigte mir, was ich selbst schon festgestellt hatte: Ich konnte im Dunkeln nur noch sehr schlecht sehen, erkannte kaum noch die Umrisse von Bäumen und Schildern. Ich war nicht mehr fahrtüchtig. Ich bin immer gern Auto gefahren, jetzt musste ich andere bitten, mich zu fahren – meine Eltern, die ganz in der Nähe wohnen, oder Freunde. Sie helfen mir zum Beispiel, die Grünabfälle aus meinem Garten zur städtischen Sammelstelle zu bringen. Am Anfang ist es mir nicht leichtgefallen, um Hilfe zu bitten, da ich immer gern unabhängig war, mit der Zeit wird das allerdings besser.
Meine Krankheit heißt Retinitis pigmentosa (RP). Sie ist sehr selten und in meinem Fall erblich bedingt, und sie schreitet immer weiter voran. Leichte Einschränkungen bemerkte ich schon kurz vor dem Abitur. Tagsüber bin ich auch sehr lichtempfindlich, wenn ich zum Beispiel aus einem dunklen Zimmer raus in die Sonne gehe, bin ich so stark geblendet, dass ich sofort in den Schatten muss, die Augen schaffen den schnellen Wechsel nicht mehr.
Trotz der Einschränkungen komme ich insgesamt ganz gut zurecht. Da ich immer in Trier lebte, kenne ich die Wege dort, die Bushaltestellen und alle störenden Verkehrsschilder. Zu Hause springt meine Verlobte oft für mich ein. Wenn ich zum Beispiel beim Kochen den Pfeffer im Gewürzregal nicht finde, gibt sie ihn mir. Manchmal ist sie mir zu schnell, dann sage ich: Das hätte ich auch selbst hinbekommen. Meistens bin ich froh, dass sie mir hilft, ich kann mich glücklich schätzen, jemanden wie sie an meiner Seite zu haben. Im Moment kommen wir gut mit der Krankheit klar. Ich denke nicht so viel darüber nach, wie es sein wird, wenn ich noch weniger sehen kann, das ist sicher auch Selbstschutz, aber alles andere würde mich quälen.
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Meine Arbeit kann ich glücklicherweise noch gut schaffen. Vor einigen Monaten habe ich mit meiner Doktorarbeit angefangen, Fachrichtung Lebensmitteltechnik. Ich habe eine halbe Promotionsstelle, werde also auch bezahlt. Ich arbeite fast nur am Computer, das geht sehr gut, ich kann mir alle Texte und Daten großziehen. Ältere Fachbücher, die es nicht digital gibt, scanne ich übers Tablet ein. Ich bin sehr froh, dass es heute digital so viele Möglichkeiten gibt, auch deshalb habe ich die Brailleschrift für Blinde noch nicht gelernt.
Wenn ich Leute neu kennenlerne, spreche ich meine Krankheit nicht automatisch an. Sonst könnte es passieren, dass sie gleich in den Fürsorgemodus, "Ich muss jetzt helfen", übergehen, das will ich nicht. Es gibt aber Situationen, da ist es gut, meine Einschränkung kenntlich zu machen und den Button mit den drei Blindenpunkten zu tragen, etwa im Fitnessstudio. Dann verstehen die anderen, warum ich unter Umständen etwas Dummes mache, etwa gegen ein Gerät oder andere Leute laufe.
Zu Beginn meiner Erkrankung hat es mich oft genervt, dass ich so tollpatschig geworden bin. Wenn ich zum Beispiel das Wasserglas auf dem Tisch nicht gesehen habe und es herunterriss, war ich sauer auf mich, fühlte mich wie ein Volltrottel, selbst wenn keine anderen dabei waren. Mittlerweile kann ich auch mal über mich lachen. Wenn ich mit Freunden in der dunklen Kneipe die Pommes nicht aufgespießt bekomme, finden wir das alle komisch.
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Es klingt vielleicht seltsam, aber meine Krankheit hat mir auch genützt. Ich war ein miserabler Schüler, meine Videospiele und Fußball waren mir wichtiger. Als meine Sehkraft nachließ, musste ich Entscheidungen treffen, die ich als 19-jähriger Chaot sonst nicht so schnell hätte treffen müssen. Zum Beispiel, wo es beruflich hingehen sollte. Ich könnte mir gut vorstellen, Ingenieur im Bereich Verfahrenstechnik zu werden. Ich bin reifer geworden, habe mehr Verantwortung für mich übernommen.
Glücklicherweise ist die Krankheit in den letzten Jahren nur langsam fortgeschritten. Ich hoffe sehr, dass die Medizin etwas findet, das mir richtig hilft. Ich weiß, dass das noch lange dauern kann. Aber wenn ich dann noch ein paar Jahre mit einer einigermaßen guten Sehkraft haben könnte, wäre ich schon sehr zufrieden.
Protokoll: Franziska Wolffheim
Viele Menschen, die an Netzhautdegenerationen leiden, haben sich in der Selbsthilfevereinigung PRO RETINA Deutschland e. V. zusammengeschlossen. Ziele des Vereins sind natürlich der Erfahrungsaustausch, die Beratung und Hilfe für Betroffene, aber auch die Förderung der Forschung zu Therapien.