Ihr habt die Initiative "Kartentausch Nürnberg" ins Leben gerufen, um Geflüchteten zu helfen. Was genau macht ihr und mit welchem Ziel?
Laila R.*: Wir organisieren einmal pro Woche sogenannte Tauschcafés. Die Geflüchteten kaufen mit ihrer Geldkarte Gutscheine in großen Lebensmittel- oder Drogeriemärkten. Personen, die sich für unsere Sache engagieren, tauschen diese Gutscheine gegen Bargeld. So haben die Geflüchteten zusätzlich zu den 50 Euro, die sie vom Staat bekommen, noch etwas Bargeld zur Verfügung. Außerdem versuchen wir, darüber aufzuklären, welche Probleme Geflüchtete mit der Bezahlkarte haben. Unser Ziel ist es, ein Zeichen zu setzen, Betroffene zu unterstützen und ein Bewusstsein für die schwierige Situation zu schaffen, die durch die Bezahlkarte entsteht.
Wer seid ihr, und wie seid ihr auf die Idee gekommen, die Initiative ins Leben zu rufen?
Wir sind ein sehr heterogenes Netzwerk aus Einzelpersonen, politischen Gruppen und Organisationen wie dem Bayerischen Flüchtlingsrat, die mit Geflüchteten arbeiten und sie beraten. Im Sommer haben wir beschlossen, in Nürnberg aktiv zu werden, denn viele von uns waren entsetzt über die negativen Auswirkungen der Bezahlkarte und wollten konkret etwas dagegen tun. Die Idee mit Tauschcafés entstand, als wir von ähnlichen Projekten in Hamburg und München gehört haben. Wir sind kein festes Team, alle arbeiten ehrenamtlich.
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Der Arbeitskreis der Juristen der CSU fordert "Maßnahmen gegen systematische Umgehungen der Bezahlkarte" und spricht laut Medienberichten von "Tricksereien". Was sagt ihr dazu?
Trickserei ist es sicherlich nicht. Geflüchtete können regulär Gutscheine mit der Bezahlkarte kaufen. Was sie dann damit machen, ist ihre Sache. Wenn sie diese Gutscheine privat untereinander weitergeben oder gegen Bargeld tauschen, ist das nicht illegal. Es ist auch keine gewerbliche oder geschäftliche Aktivität. Zuletzt hat die Staatsanwaltschaft Regensburg festgestellt, dass unser Vorgehen nicht illegal ist. Aus unserer Sicht ist die Bezahlkarte rechtlich problematisch. Es gibt mittlerweile Klagen gegen die Karte von Organisationen wie der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die Klagen zur Verteidigung der Menschenrechte gegen staatliche Verletzungen koordiniert und finanziert.
Welche Probleme macht die Bezahlkarte?
Es gibt massive datenschutzrechtliche Bedenken: Die Menschen müssen eine App auf ihr Handy laden, die Standortdaten erfassen – das ist juristisch äußerst fragwürdig. Ein weiteres großes Thema ist die strikte Residenzpflicht in Bayern: Die Bezahlkarten gelten oft nur in dem Bereich, in dem sich die Betroffenen laut behördlicher Vorgaben aufhalten dürfen. Das führt zu absurden Situationen: Zum Beispiel kann jemand, der früher im Nachbardorf günstig einkaufen konnte, dies nicht mehr tun, weil es außerhalb des zulässigen Gebiets liegt. Stattdessen muss die Person noch ein Busticket kaufen und zehn Kilometer in die nächste Stadt fahren, um dort einzukaufen. Außerdem funktionieren die Karten technisch oft nicht zuverlässig, und von manchen Geräten können sie gar nicht gelesen werden. Besonders problematisch wird es, wenn Menschen mit der Karte alltägliche Dinge wie Überweisungen erledigen müssen – jede Überweisung muss zuerst von der zuständigen Behörde manuell freigeschaltet werden. Die Nutzung der Karte führt zudem zu Stigmatisierung, da sie als Bezahlkarte erkennbar ist. Es gab auch schon Fälle, wo Läden gar nicht erst erlauben wollten, dass Menschen mit Bezahlkarte bezahlen. Und die pauschale Bargeldobergrenze zwingt die Betroffenen dazu, mehr Geld für Neuwaren auszugeben, weil man auf dem Flohmarkt nicht mit Karte bezahlen kann. Diese Probleme erschweren den Alltag der Geflüchteten massiv.
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Die Bundesregierung argumentiert damit, die Karte verhindere, dass Gelder ins Ausland transferiert werden. Was sagt ihr dazu?
Das ist falsch. Studien – wie zuletzt die des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung von Anfang Dezember – zeigen, dass Geldüberweisungen ins Ausland hauptsächlich von Menschen getätigt werden, die hier regulär arbeiten und ein Einkommen beziehen. Geflüchtete Menschen bekommen nie genug Geld, um ihren Grundbedarf zu decken. Diese Argumente sind in unseren Augen populistisch und haben mit realen Ursachen nichts zu tun. Es ist ein Angriff auf die Menschen, die sowieso nichts haben und die sich nicht wehren können, weil sie oft ihre Rechte nicht kennen.
"Wir möchten, dass die Bezahlkarte abgeschafft wird"
Wie lange wollt ihr eure Aktion fortsetzen?
Unsere Arbeit ist eine Übergangslösung. Wir möchten, dass die Bezahlkarte abgeschafft wird. Wir hoffen auf entsprechende juristische Urteile, und es gibt bereits Schritte in diese Richtung. Die Alternative wäre, dass geflüchtete Menschen tatsächlich ein eigenes Konto erhalten. Das würde zentrale Probleme lösen.
Welche Reaktionen bekommt ihr?
Die Rückmeldungen sind bisher sehr positiv. Wir merken, dass der Bedarf riesig ist, besonders seitens der geflüchteten Menschen. Natürlich ist uns bewusst, dass das, was wir ehrenamtlich tun, nicht ausreicht, aber es hilft den Menschen auf jeden Fall. Es fällt aber auf, dass viele nicht geflüchtete Menschen nicht wissen, was die Bezahlkarte überhaupt ist. Sobald sie erfahren, was dahintersteckt, sind sie sehr überrascht und unterstützen uns gern regelmäßig. Die Möglichkeit, konkret helfen zu können, motiviert viele.
Wie kann man eure Arbeit unterstützen?
Am besten vor Ort schauen, ob es ähnliche Initiativen gibt, und diese unterstützen. Wenn nicht, eine eigene Initiative gründen – derzeit entstehen in vielen Städten neue Gruppen. Konkret helfen kann man, indem man Geflüchteten die Gutscheine gegen Bargeld tauscht. So können wir die geflüchteten Menschen effektiv unterstützen.
*Laila R. heißt eigentlich anders. Der Redaktion ist der richtige Name bekannt.
"Kartentausch Nürnberg" bietet immer montags von 17 bis 19 Uhr im Soziokulturellen Stadtteilzentrum Desi , Brückenstr. 23, Nürnberg einen Gutschein-Bargeld-Tausch an. Ähnliche Initiativen existieren in anderen Städten, etwa in Erfurt, Hamburg, Hannover, Leipzig und München.