Vorbilder
Benjamin Blümchen träumt nicht mehr
Eine Kita hat sich umbenannt und heißt nicht mehr nach dem sprechenden Elefant. Ein Skandal? Das eigentliche Ärgernis liegt woanders
1977 erfunden als verträumter Rebell: Benjamin Blümchen
1977 erfunden als verträumter Rebell: Benjamin Blümchen
Kiddinx
Tim Wegner
12.08.2024
1Min

Eine Kindertagesstätte in Bautzen heißt nicht mehr "Benjamin Blümchen", sondern "Spreewichtel". ­Darüber haben sich viele empört. Zahlreiche Medien sahen in der Namensänderung einen Fall von Cancel-­Culture. Dabei ist Benjamin Blümchen schon viel früher der ­"Wokeness" zum Opfer gefallen.

Die ersten 65 Folgen der Hörspielreihe stammen aus der Feder von Benjamin-Erfinderin Elfie Donnelly. Seitdem die Autorin die Reihe verkauft hat, hat sich der Ton verändert.

Lesetipp: Canan Topcu über Antirassismus und Cancel-Culture

In den Folgen der 70er und 80er Jahre war Benjamin übermütig, verträumt, ein bisschen naiv und setzte sich gerade dadurch für das Gute ein. In Folge 6 "Benjamin und die Schule" beispielsweise springt der sprechende Elefant für eine erkrankte Lehrerin ein und hinterfragt die herkömmlichen Unterrichtsmethoden. Er entwickelt ein Schulsystem ohne Leistungsdruck und Noten. Weil er selbst kindlich ist, kann er sich in die Schülerinnen und Schüler hineinversetzen. Seine Freude am Spaß und sein Sinn für Gerechtigkeit lassen ihn bestehende Systeme hinterfragen und Alternativen entwickeln.

Ab Folge 66 gibt es einen Bruch. Auf einmal ist Benjamin vernünftiger, belehrender und geht Konflikten aus dem Weg. Aus dem verträumten Rebellen wird ein langweiliger Jasager. Der politische, subversive Elefant musste offenbar der Vorstellung weichen, dass Kinder Vorbilder mit weißer Weste brauchen und von ihnen lernen sollen – aber nicht etwa ­kritisches Denken, sondern Englischvokabeln. Benjamin Blümchen hat seine Originalität verloren. Er ist austauschbar.