Postkoloniale Kritik?
Picknicken ist politisch
Ab ins Grüne: Die Malerin Toyin Ojih Odutola interpretiert ein vertrautes Sujet weißer Maler neu
Toyin Ojih Odutola, "Picnic
on the Grounds"
Toyin Ojih Odutola, "Picnic on the Grounds"
Courtesy of the Artist and Jack Shainman Gallery
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
24.07.2023

Picknicken als Machtdemonstration – so jedenfalls lässt sich das sommerliche sonntägliche Auf-einer-Decke-Sitzen auch deuten. Vor allem in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten war dieses Sujet in der Malerei sehr beliebt. Da lehnen Herren im Sonntagsanzug an Bäumen in lieblich gepflegter Parklandschaft, hocken Damen in blütenblättrig mehrlagigen Kleidern und mit großen Hüten auf der Picknickdecke und ­naschen aus der Obstschale. Herrenmenschen unter sich (mal so zugespitzt formuliert).

Die Selbstverständlichkeit jedenfalls, mit der die in der Regel weißen, in der Regel wohlhabenden Europäer ihre freien Nachmittage in domestizierter Natur verbringen, hat auch etwas mit Macht, mit dem Raum, den Mächtige sich nehmen, und mit ihrer Darstellung zu tun. Künstlerisch interessant ist das heute auch, allerdings vor allem dann, wenn das bekannte Sujet gebrochen wird.

Bei der Künstlerin Toyin Ojih Odutola ist zwar das Setting das Gleiche, aber die Personen im Bild haben eine schwarze Haut­farbe. Ihr Stil ist immer noch der wohl­habender Menschen, entspricht aber nicht ganz der europäischen Konvention. Ihr "Picnic on the Grounds", also auf Deutsch etwa: Picknick im Grünen oder auf dem eigenen Anwesen, ist Teil einer ganzen Bilderserie, in der Toyin Ojih Odutola das Leben zweier fiktiver nigerianischer Familien zeigt.

Die Künstlerin zeigt reiche Familien auf Porträts oder in vertrauter Familienatmosphäre so wie hier beim Picknick und so, wie das Maler von Rembrandt bis Manet mit weißen Europäern taten. Die feine ­Bluse der Frau, ihre leger abgestreiften Slipper, das Kleidchen des Mädchens – die Requisiten in diesem Bild zeigen Reichtum an. Die Selbstverständlichkeit, mit der er hier getragen wird, könnte deutlich machen, dass es sich um einen über Generationen vererbten Reichtum handelt. Hier sind keine Schnösel dargestellt, die der Welt zeigen wollen, wie viel Geld sie haben.

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Die Frau (ist es die Mutter, eine ältere Schwester, die Nanny?) dreht denjenigen, die das Bild betrachten, den Rücken zu. Und so ist die eigentliche Szene des Bildes nicht das Picknick als solches, sondern die intime Interaktion zwischen dem Mädchen und der Frau – ­ein Schnappschuss aus dem Familienalbum, der Außenstehenden kaum etwas offenbart, außer dass die beiden miteinander wohl sehr vertraut sind. Das Mädchen blickt der Frau freundlich lächelnd ins Gesicht, diese deutet mit dem erhobenen rechten Arm eine zärtliche Umarmung an. Die glänzenden Schattierungen ihrer Haut korrespondieren mit den Farbnuancen der hügeligen Landschaft. Körper und Natur sind stets die Orte, über die Macht verhandelt wird.

Erobern sich hier ehemals Kolonisierte ihre Welt zurück? Es ist immer noch ungewöhnlich in der internationalen Kunst, dass wohlhabende, souveräne Menschen mit nichtweißer Hautfarbe dargestellt werden. Doch es wäre zu platt ­anzunehmen, die Künstlerin, 1985 in Nigeria geboren, aber als Kind mit ihrer Familie in die USA gezogen, hätte einfach nur einen bekannten Topos der europäischen Kunstgeschichte genommen und – sozusagen als Akt postkolonialer Kritik – anstelle weißer nun schwarze Menschen gemalt. Ihre Kritik geht tiefer.

Sie hinterfragt Kategorien wie "race", wie Hautfarbe oder Wohlstand und deren Darstellung. In all der Selbstverständlichkeit schwingt auch die Ahnung mit, dass es so oft eben nicht ist. In dem vermeintlichen Picknickidyll steckt viel ­brisantes Potenzial – vielleicht denken Sie darüber nach, wenn Sie sich das nächste Mal eine Decke rausnehmen und sich auf eine Wiese setzen?

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