Das Kunstwerk - "Ave Maria"
Julien Nguyen: "Ave Maria" (2019)
Courtesy: Matthew Marks Gallery; Foto: Julien Nguyen
Dystopische Maria
Wer hilft der Helferin?
Julien Nguyen zeigt eine ausgezehrte Maria. Wir haben ihr wohl zu viel zugemutet
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
12.05.2021

Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns! Steh uns bei! Hat eigentlich mal jemand Maria gefragt, wie sie sich fühlt? Beim Blick auf die Maria des US-amerikanischen Künstlers ­Julien Nguyen scheint diese ­Frage angebracht. Wie ein gefallener ­Engel sitzt sie da, ein Schatten ­ihrer selbst, eine Silhouette mit alienhaften Zügen.

Dystopische Science-Fiction malt der 1990 geborene Julien Nguyen gern. Der für einige Kunstkritiker meistgefeierte Künstler seiner Generation bedient sich großer Symbolik, um sie auszuhöhlen oder mit Kälte zu füllen. Sein "Ave Maria" von 2019 ist auch ein Abgesang – aber auf wen? Auf Maria, die ­Sichelhand und Mondsichel zwar zur Fruchtbarkeitsgöttin erheben? Doch die Sichelhand erinnert ­weniger an saftige Ernteerträge als an amputierte Kriegsversehrte auf Gemälden von Otto Dix. Und die Weltkugel in ihrer linken Hand droht ihr gleich aus den Fingern zu gleiten.

Bittet Julien Nguyen mit ­seinem "Ave Maria" die Gottesmutter um Beistand für den Untergang der USA? Darauf könnte der abgebrochene Thron hinweisen. Die Stuhlruine könnte auch einer der eingestürzten Türme des World Trade Centers sein. Im Hintergrund brennt die Skyline von New York wie dereinst Sodom und Gomorra. Die Anschläge vom 11. September 2001 läuteten die Krise der US-­amerikanischen Gesellschaft ein, deren Träume ja stets vor allem von einer prosperierenden Wirtschaft getragen werden sollten – mit christlicher Symbolik als himmlischem Backup.

Doch große Hilfe ist von der Maria in diesem Bild offenkundig nicht zu erwarten. Sie ist, so scheint es, fertig mit der Welt.

Die Maispflanze auf der linken und der Stahlträger auf der rechten Bildseite bilden eine Art alter­nativen Rahmen im Bild, der rostige Stahl überdeckt gar einen Palm­wedel – der Kapitalismus hat die Heilsbotschaft Christi besiegt. Aber die einst mächtigsten Industriezweige des Landes wirken in ­ihrer mageren Symbolik wie ­Relikte vergangener Stärke. Von neuem Aufbruch künden sie nicht.

Eigentlich gemein, im Wonnemonat Mai mit so einem Bild in den Frühling zu starten. Aber heißt es im Ave Maria nicht auch, die Gottesmutter sei "voll der Gnade"? Wenn man es so sehen will: Sie hat die Kugel in ihrer Hand noch nicht losgelassen.

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Das Bild erinnert mich an das Plattencover der christlich-orientierten Rockband Rush, "a farewell to kings", aus dem Jahr 1977

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An dieser Stelle muss ich wieder an die Interpretation von Matthäus 21,18-22 erinnern - Denn indem Jesus aus ... einen Feigenbaum verflucht, der wahrscheinlich wie vieles in der Natur nur eine Pause eingelegt hat, zeigt sich, daß Mensch seine Aufmerksamkeit nicht allzusehr auf die perfekt gestaltete Umwelt/Schöpfung konzentrieren soll, sondern vor allem auf die Entwicklung des vernunftbegabten Menschseins zum Ebenbild.

Es ist nicht die Tragödie des Verlassenseins, wenn Mensch vor den Trümmern seines Gottspielens steht, es ist die logische Konsequenz unserer ignoranten Arroganz des geistigen Stillstandes und des Glaubens an "Individualbewusstsein" seit der "Vertreibung aus dem Paradies" (Mensch erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung).

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"Eigentlich gemein", genau, das sehe ich auch so.
Wie wenn man absichtlich auf eine Weinbergschnecke tritt ! Sehr oft zertrampelt man dies Tierchen ohne Absicht, einfach nur aus Unachtsamkeit, heute hätte ich es vermeiden können, aber es gelang mir nicht, doch vielleicht kann ich sie noch retten.

" Doch große Hilfe ist von der Maria in diesem Bild offenkundig nicht zu erwarten. Sie ist, so scheint es, fertig mit der Welt."
So wie ich mit Ihren dilletantischen Bildbeschreibungen.

Amen.