Autoreise nach Pakistan
"Menschen haben Respekt vor einer älteren Frau auf Reisen"
Die Rentnerin Margot Flügel-Anhalt ist mit ihrem Auto von Osthessen bis nach Pakistan gereist und hat darüber das Buch "Hoch. Hinaus" geschrieben. Im Interview berichtet sie, was Menschen in Asien und Europa verbindet
Margot Flügel-Anhalt steht vor ihrem Geländefahrzeug in der Türkei
Margot Flügel-Anhalt steht vor ihrem Geländefahrzeug in der Türkei
PR
Tim Wegner
Aktualisiert am 25.04.2024
5Min

Frau Flügel-Anhalt, Sie fahren nicht früh morgens los, sondern lassen sich bewusst Zeit, zelebrieren den letzten Kaffee zu Hause. Warum ist das so wichtig?

Margot Flügel-Anhalt: Viel wichtiger als der physische Aufbruch ist der innere Aufbruch. Ich nehme mir bewusst Zeit, mich mental für neue Herausforderungen zu öffnen. Auf Reisen wird man mit Ereignissen konfrontiert, die weit über das hinausragen, was einem im Alltag widerfährt. Man ist oft auf die Kompetenzen anderer Menschen angewiesen. Man braucht Vertrauen in das Gute in den Menschen und muss sich in Gelassenheit üben. Dadurch sieht man die Welt mit anderen Augen. Und man wird auch anders wahrgenommen. Vollgepackt hört sich mein Auto ganz anders an. Die Menschen gucken, wollen verstehen, wieso ich bis unter die Decke beladen da angefahren komme. Dafür braucht man das richtige Mindset. Ich fahre ins Unbekannte und bin lange nicht zu Hause.

privat

Margot Flügel-Anhalt

Margot Flügel-Anhalt, geboren 1953 in Tuttlingen, ist ausgebildete Sozial- und Theaterpädagogin. Bis 2018 arbeitete sie in der Jugend-, Mädchen- und Seniorenarbeit. Sie förderte ehrenamtliches Engagement, unter anderem in der Flüchtlingshilfe, und war tätig als Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte im Personalbereich. Nach ihrer Pensionierung entdeckte sie das Reisen für sich. Mit 64 Jahren fuhr sie mit dem Motorrad nach Zentralasien, weitere Reisen folgten. Ihre Erlebnisse beschrieb Margot Flügel-Anhalt in den Bestsellern "Einfach abgefahren" (Ullstein), "Über Grenzen" (Dumont) und "Hoch. Hinaus" (Polyglott). Sie lebt im nordhessischen Thurnhosbach.

Bei Ihnen klingt das so simpel: Aufbrechen und mit dem Auto Asien bereisen. Hatten Sie keine Angst, dass Ihnen auf dem Weg etwas zustößt?

Ich bin einfach gern unterwegs, es ist mir eine große Freude und es belebt mich. Ich bereite mich natürlich vor, aber vor Ort ist doch immer alles anders, als man es erwartet. Trotzdem habe ich keine Angst vor meinen Reisen. Überhaupt nicht. Ich bin generell kein ängstlicher Mensch. So kam ich schon zur Welt.

"Ein iranischer Polizist hat mir ein Eis geschenkt"

Sie schildern in "Hoch. Hinaus" eine Begegnung mit einem iranischen Gärtner, der sehr unzufrieden damit schien, dass sie als Frau allein im Land unterwegs waren. Was hätten Sie gemacht, wenn es nicht bei Unmutsbekundungen geblieben wäre?

Ich mache seit über 20 Jahren Kampfsport, und wenn dieser Mann mich bedrängt hätte, wäre es ihm nicht gut bekommen. Der war zwar einen Kopf größer als ich, aber er hätte ja nicht damit gerechnet, dass ich mich verteidigen kann.

Welchen Kampfsport machen Sie?

Ich mache Wing Tsun. Das ist eine chinesische Kampfkunstform, die im frühen 19. Jahrhundert von Nonnen entwickelt wurde. Man lernt dabei, mit geringer physischer Kraft einen Angreifer abzuwehren, indem man seine Angriffsstärke gegen ihn wendet. Und man lernt, unter Zeitdruck sehr schnell und kompetent zu handeln.

Mussten Sie Ihre Kampfkünste schon mal einsetzen?

Nein, noch nie. Unabhängig von Kultur oder Herkunft haben Menschen großen Respekt vor einer älteren Frau, die allein auf Reisen ist. Außerdem spüren Menschen es, wenn man sich verteidigen kann oder zumindest glaubt, es zu können. Man signalisiert durch Mimik und Körpersprache: Ich bin kein Opfer! Die vielen Blicke, die man als weiße ältere Frau im Iran oder in Pakistan auf sich zieht, sind vor allem der Neugier geschuldet. Die Menschen gucken halt, weil sie so etwas selten sehen. Im Iran bin ich zum Beispiel falsch herum in eine Einbahnstraße gefahren. Das war für die Passanten überaus interessant, niemand hat mich deshalb verurteilt. Ein Polizist hat mir danach sogar ein Eis geschenkt.

chrismon-Autor*innen auf Reisen: Wer was erzählen will, muss vor die Tür

Abgesehen von Mimik und Körpersprache: Was haben Menschen in Asien und Europa noch gemein?

Mehr, als man denkt. Durch das Internet haben viele Menschen auf der Welt denselben Zugang zu Informationen. Das mag im Iran noch mal ein bisschen anders sein, weil dort manche Internetseiten zensiert werden. Aber zum Beispiel in Pakistan haben die Menschen oft einen besseren Internetanschluss als wir, zumindest verglichen mit dem nordhessischen Dorf, aus dem ich komme. Deshalb haben viele Menschen auf der Welt auch ein ähnliches Verständnis von den weltlichen Dingen. Wenn ich mit Pakistanern über den Klimawandel spreche, dann wissen sie sehr gut über die globale Tragweite dieser Krise Bescheid. Die verheerende Jahrhundertflut, die sich kurz vor meiner Einreise nach Pakistan dort zugetragen hat, wird dort ganz klar als eine Folge des Klimawandels gesehen.

Stehen die Menschen in Pakistan den westlichen Industrienationen kritisch gegenüber? Die meisten klimaschädlichen Emissionen kommen von hier …

Nein, das nehmen die Menschen dort anders wahr. Zum Teil ist es ja auch Selbstverschulden. Pakistan hat zum Beispiel lange seine Wälder abgeholzt, ohne sie wieder aufzuforsten. Generell sind die Menschen in Asien nicht so rückwärtsgewandt wie wir Europäer. Historische Fehler spielen in der öffentlichen Debatte keine Rolle. In Pakistan ist der Ansatz ein pragmatischer. Der Fokus liegt darauf, der Klimakrise als Zivilisation zu begegnen.

In Norwegen hatten Sie mal eine Autopanne. Der Mechaniker hat Sie nicht ernst genommen, haben Sie geschrieben. Im Iran mussten Sie nun ein Kopftuch tragen. Was fanden Sie diskriminierender?

Es war nicht schlimm für mich, ein Kopftuch zu tragen. Darauf hatte ich mich eingestellt. Das war noch vor den landesweiten Protesten. Jetzt würde ich dort kein Kopftuch mehr tragen, sondern mich mit den iranischen Frauen solidarisieren, die ihres abnehmen – auch auf die Gefahr hin, festgenommen zu werden. In Norwegen konnte ich es damals nachvollziehen, dass mich die Mechaniker nicht als Gesprächspartnerin gesehen haben. Männer reden nun mal anders über einen Motor, wenn eine Frau dabei ist, die – wie in meinem Fall – nichts davon versteht. Auch Frauen gehen untereinander anders miteinander um. Wir sind nun mal verschieden, und ich erwarte nicht, dass mich ein Mann genauso behandelt wie einen anderen Mann. Das ist gar nicht möglich.

Lesen Sie hier: So klappt der Berufswechsel vor der Rente

Hatten Sie diese Gelassenheit schon immer?

Ich bin in den 60er Jahren mit den Kämpfen der Frauen um Emanzipation aufgewachsen. Wir haben damals viel erreicht und trotzdem können wir nicht erreichen, dass Frauen, Männer und andere absolut gleichbehandelt werden. Wir sind nun mal biologisch verschieden und das ist auch völlig in Ordnung. Aber natürlich: Ich habe auf meinen Reisen viel über Gleichberechtigung nachgedacht. Ich wage nicht, über fremde Kulturen ein Urteil zu fällen, weil ich sie nur als Außenstehende betrachte und sie nicht verstehe. Diese Erkenntnis lehrt einen, nicht jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.

Kann Sie in Deutschland noch etwas aus der Ruhe bringen?

Oh ja, schlechtes Internet! Unser Dorf hat eigentlich schon Glasfaserkabelanschlüsse, aber mein Haushalt ist der einzige, bei dem die Installation nicht geklappt hat. Solche Probleme nerven mich.

Margot Flügel-Anhalt: Hoch. Hinaus, 240 Seiten, Polyglott Verlag 2022

Eine erste Version des Textes erschien am 29. Dezember 2022.

Die Kommentarfunktion ist nur noch für registrierte Nutzer verfügbar. Um einen Leserkommentar schreiben zu können, schließen Sie bitte ein Abo ab, schreiben Sie uns eine Mail an leserpost@chrismon.de oder diskutieren Sie auf Instagram, Facebook und LinkedIn mit.