Viel ist nicht drin in seinem Rucksack. Ein bisschen Wechselwäsche, eine Regenjacke, eine Wasserflasche und jede Menge Riegel und Snacks. Cem Özdemir reist mit leichtem Gepäck. Und das aus gutem Grund: Er ist als Pilger unterwegs. Bereits zum dritten Mal besucht der Grünen-Politiker den Agion Oros oder Heiligen Berg, wie die Mönchsrepublik Athos auf Griechisch heißt. Ganz privat. Diesmal mit einer sechsköpfigen Gruppe aus Freunden und Bekannten: Da ist Jannis, Diplompsychologe; Vassilis, er hat eine Baufirma; Philipp, Anfang 30, derzeit Barkeeper in Neukölln; Erk, Unternehmer; der Fotograf Espen Eichhöfer – und ich.
Zum ersten Mal begegnete ich Cem auf einem Kindergeburtstag. 11 oder 12 werden wir damals gewesen sein. Wir sind in den 1970er und 80er Jahren im schwäbischen Bad Urach aufgewachsen und waren schon als Jugendliche an den ersten Aktionen des Ortsverbands der Grünen in unserem Heimatort beteiligt. Danach hatten wir uns lange aus den Augen verloren.
Jetzt sitzen Cem und ich in einem Schnellboot nebeneinander und sehen die Steilküste an uns vorbeiflitzen. Felsen, Macchien, Kiefern- und Laubwälder. Häuser sucht man vergeblich. Athos, nur auf dem Seeweg erreichbar, liegt auf einer Halbinsel im Norden Griechenlands. Von der Restwelt getrennt durch einen Drahtzaun. Fast 50 Kilometer ragt Athos auf dem östlichen Finger der Chalkidike ins Meer hinaus. Knapp 1800 orthodoxe Mönche leben hier in 20 großen Klöstern und einem guten Dutzend klosterähnlichen Gemeinschaften, einige als Einsiedler in Höhlen oder Hüttchen, erzählen die Mönche.
Bekannt ist Athos nicht nur für seine Abgeschiedenheit, sondern auch für die Tatsache, dass ausschließlich Männer das halbautonome Gebiet betreten dürfen. Cem hat mir schon vor Jahren von der radikalen Fremdheit dieser klösterlichen Welt vorgeschwärmt (Die Zeremonien! Die Einfachheit! Die Ruhe!) und mich eingeladen, beim nächsten Mal mitzukommen. Seine Begeisterung war ansteckend und trotzdem stelle ich mir die Frage, warum er seine knappen Auszeiten ausgerechnet in einer Mönchsrepublik verbringt. Er, dessen Eltern sunnitische Türken waren, der als Schüler mangels Alternativen den evangelischen Religionsunterricht besuchte und sich heute als nicht praktizierender Muslim bezeichnet.
Einer der Gründe für Cems Faszination für Athos hat wenig mit Religion zu tun und ist in diesem Moment für uns alle leicht nachvollziehbar. Es ist die intakte Natur, die die Klöster umgibt. Die salzige Meeresluft zerzaust uns die Haare. An der Spitze der Halbinsel ragt der Berg Athos wie ein gigantisches Segel aus der gekräuselten See. Jetzt, am späten Nachmittag, beginnen die Wellen in immer intensiveren Goldtönen zu schimmern. "Seht ihr, wie schön es hier ist?!", fragt Cem und die Novizen unter uns nicken wie frisch Bekehrte.
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