Auf dem heiligen Berg Athos
Blick auf das Kloster Moni Grigoriou auf Athos
Espen Eichhöfer/OSTKREUZ
Pilgern mit Cem Özdemir
Auf dem heiligen Berg
Ein säkularer Muslim in orthodoxen Klöstern: Cem Özdemir war schon oft in Athos. Diesmal sind Freunde dabei, auch chrismon-Autor Gero Günther
Gero GüntherEnno Kapitza
Privat
01.02.2023
12Min

Viel ist nicht drin in seinem ­Rucksack. Ein bisschen Wech­sel­wäsche, eine Regen­­jacke, eine Was­ser­flasche und ­jede Menge Riegel und Snacks. Cem Öz­demir reist mit leichtem Gepäck. Und das aus gutem Grund: Er ist als Pilger unterwegs. Bereits zum ­dritten Mal besucht der Grünen-Politiker den Agion Oros oder Heiligen Berg, wie die Mönchs­re­publik Athos auf Griechisch heißt. Ganz privat. Diesmal mit einer sechsköpfigen Gruppe aus Freunden und Bekannten: Da ist Jannis, Diplom­psy­chologe; Vassilis, er hat eine Bau­firma; Philipp, Anfang 30, derzeit Barkeeper in Neukölln; Erk, Unternehmer; der Foto­graf Espen ­Eichhöfer – und ich.

Zum ersten Mal begegnete ich Cem auf einem Kindergeburtstag. 11 oder 12 werden wir damals gewesen sein. Wir sind in den 1970er und 80er ­Jahren im schwäbischen Bad Urach aufgewachsen und waren schon als Jugendliche an den ersten Aktionen des Ortsverbands der Grünen in unserem Heimatort beteiligt. Danach hatten wir uns lange aus den Augen verloren.
Jetzt sitzen Cem und ich in einem Schnellboot nebeneinander und sehen die Steilküste an uns vorbei­flitzen. Felsen, Macchien, Kiefern- und Laubwälder. Häuser sucht man vergeblich. Athos, nur auf dem Seeweg erreichbar, liegt auf einer Halbinsel im ­Norden Griechenlands. Von der Restwelt getrennt durch einen Drahtzaun. Fast 50 Kilometer ragt Athos auf dem östlichen Finger der Chalkidike ins Meer hinaus. Knapp 1800 orthodoxe ­Mönche leben hier in 20 gro­ßen ­Klöstern und einem guten Dutzend klosterähnlichen Gemeinschaften, einige als Einsiedler in Höhlen oder Hüttchen, erzählen die Mönche.

Bekannt ist Athos nicht nur für seine Abgeschiedenheit, sondern auch für die Tatsache, dass ausschließlich Männer das halbautonome Gebiet betreten dürfen. Cem hat mir schon vor Jahren von der radikalen Fremdheit dieser klös­terlichen Welt vorgeschwärmt (Die ­Zeremonien! Die Einfachheit! Die Ruhe!) und mich eingeladen, beim nächsten Mal mitzukommen. Seine Begeisterung war ansteckend und trotzdem stelle ich mir die ­Frage, ­warum er seine knappen Auszeiten ausgerechnet in einer Mönchs­republik verbringt. Er, dessen Eltern sunnitische Türken waren, der als Schüler mangels Alternativen den evangelischen Religionsunterricht besuchte und sich heute als nicht praktizierender Muslim bezeichnet.

Einer der Gründe für Cems Faszination für Athos hat wenig mit Religion zu tun und ist in diesem Moment für uns alle leicht nachvollziehbar. Es ist die intakte Natur, die die Klöster umgibt. Die salzige Meeresluft zer­zaust uns die Haare. An der Spitze der Halbinsel ragt der Berg Athos wie ein gigantisches Segel aus der gekräuselten See. Jetzt, am späten Nachmittag, beginnen die Wellen in immer intensiveren Goldtönen zu schimmern. "Seht ihr, wie schön es hier ist?!", fragt Cem und die Novizen unter uns ­nicken wie frisch Bekehrte.

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