Auf Island wird Kohlendioxid aus der Luft absaugt
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Natur
"Schöpfung darf heißen, die Welt umzubauen"
Um den Klimawandel aufzuhalten, muss der Mensch noch mehr in die Natur eingreifen. Sagt der Physiker und Theologe Maximilian von Seckendorff
Tim Wegner
28.07.2022
7Min

chrismon: Sie sind Physiker und Theologe. Was verstehen Sie als Physiker unter dem Wort "Schöpfung"?

Maximilian von Seckendorff: Als Physiker ist mir klar, dass es einen Anfang des Universums gegeben haben muss. Und dann ist Schöpfung der Prozess, der dazu geführt hat, dass das ganze Universum entstanden ist und sich weiterentwickelt. Dafür müssen viele Naturkonstanten unvorstellbar genau abgestimmt sein, damit das Universum mit Galaxien, Sternen, Planeten und stabilen Elementen überhaupt entstehen kann. Aber ganz erforschen kann man die Weltentstehung aus der Physik heraus nicht, weil es eine Grenze gibt, hinter die wir nicht blicken können. Schöpfung ist etwas, was die Physik an ihre Grenzen bringt.

Privat

Maximilian von Seckendorff

Maximilian von Seckendorff, geboren 1993, studierte Physik und evangelische Theologie in München und Hongkong. Seit 2019 promoviert er in Theologie an der LMU München. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Schöpfungstheologie, der Technik- und Umweltethik und der Vereinbarkeit von Theologie, Technik- und Naturwissenschaften.

Und als Theologe?

Besteht Schöpfung darin, zu glauben, dass Gott die Welt erschaffen hat, sie gemeinsam mit dem Menschen weiterentwickelt und erhält. Schöpfung ist die göttliche Ursache des Ganzen, die ich als Physiker nicht messen oder errechnen kann - auch wenn in der Physik vieles darauf hindeutet, dass es eine Ursache geben muss. Gott ist das, was hinter dem Prozess der Weltentstehung steht.

In der Kirche wird viel von der "Bewahrung der Schöpfung" gesprochen. Das klingt so, als könnten wir zu einer Art natürlichem Urzustand zurückkehren.

Ich halte dieses Verständnis von "Bewahrung der Schöpfung" im Sinne der Konservierung eines Urzustandes von Natur für fehlgeleitet. Es ist angesichts der massiven Eingriffe der Menschheit in das Erdsystem und des fortschreitenden Klimawandels unrealistisch, dass die Menschheit Natur in einem bestimmten Zustand erhalten oder einen solchen wiederherstellen kann. Wir Menschen gestalten die Welt und haben sie immer gestaltet.

Was verstehen Sie unter "Bewahrung der Schöpfung"?

Dass wir Menschen die Schöpfung so gestalten, dass langfristig gute Lebensbedingungen auf Erden möglich sind. Ohne Technik geht das nicht, sie ist Teil der Schöpfung. Wenn es um Klimaschutz geht, sind nachhaltige Technologien unabdingbar, um die Erwärmung der Atmosphäre einzugrenzen - weit mehr als Verzicht. Bewahrung der Schöpfung darf auch heißen, die Welt gründlich umzubauen. Theologisch betrachtet ist es Gottes Erde, um die wir uns als Menschen kümmern.

Also geht es nicht darum, die Erde so zu erhalten, dass die Natur unversehrt ist und bleibt?

Nein, wir leben im Anthropozän, also im Zeitalter des Menschen. Der Mensch hat schon so einen starken Fußabdruck hinterlassen, dass die Rückkehr zu einer prämodernen Natur oder Wildnis nicht realistisch ist.

Woher kommen die unterschiedlichen Vorstellungen, was die "Bewahrung der Schöpfung" denn nun sei?

Die Programmformel "Bewahrung der Schöpfung" ist erst aus der Abrüstungs- und Ökologiebewegung der späten 1970er Jahre und dem "konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" des Ökumenischen Rates der Kirchen heraus entstanden. Der englischen Formulierung "integrity of creation", übersetzt Unversehrtheit oder Einheit der Schöpfung, lag das Ideal einer ursprünglichen Natur zugrunde, die man erhalten müsse. Bei der "Bewahrung der Schöpfung" bleibt allerdings unscharf, in welchem Zustand Natur zu bewahren sei und welche Rolle der Mensch dabei einnehmen soll: die eines in die Natur eingegliederten Mitgeschöpfes oder die eines Gärtners, der die Natur kultiviert, ohne sie jedoch auszubeuten. Denn als die Umweltverschmutzung offensichtlich wurde, kritisierten Carl Amery und Lynn White, die Kirchen seien schuld daran: Das Christentum propagiere durch den biblischen Herrschaftsauftrag die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen.

"Und machet euch die Erde untertan ..."

Genau. Aber der Herrschaftsauftrag in Genesis 1,26–28 sollte immer zusammen mit Genesis 2,15 gelesen werden: "Ihr sollt die Erde bebauen und bewahren." Das ist kein Freibrief, der theologisch dazu legitimieren würde, die Erde zu plündern.

"Verzicht ist wichtig, um nicht Ressourcen zu verschwenden"

Diese Debatte liegt Jahrzehnte zurück. Warum hat sie heute für Sie eine Bedeutung?

Weil die Kirchen damals überlegten, wie sie auf den Vorwurf reagieren sollten. Das wurde ausführlich diskutiert im konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. In diesem Prozess hat man das Schlagwort von der Erhaltung der Schöpfung, der Conservatio, umgedeutet in die Formel von der Bewahrung der Schöpfung. Es galt nun - anders als im Mittelalter - nicht mehr als Gottes Werk, die Welt zu erhalten. Sondern es war Aufgabe der Menschen, die Natur zu schützen und möglichst in ihrer Ursprünglichkeit zu erhalten. Das erklärt auch, warum Kirchen oft Verzicht predigen. Verzicht auf Konsum ist ja theoretisch eine Möglichkeit, die Schöpfung zu bewahren.

Was ist falsch am Verzicht?

Verzicht ist wichtig, um nicht Ressourcen zu verschwenden. Aber selbst maximaler Verzicht würde nur zu einer geringen Einsparung von Treibhausgasen führen. Das hat man in der Corona-Krise gesehen. Das Problem ist: Allein die Grundbedürfnisse der Weltbevölkerung zu befriedigen, verursacht so viele Emissionen, dass wir die Klimaziele von Paris nicht erreichen können. Um das zu schaffen, müssen wir unsere Technologien umstellen. Wenn man die Verzichtslogik konsequent zu Ende denkt, müsste man ins vorindustrielle Zeitalter zurückkehren. Der größte Faktor im Klimaschutz sind nachhaltige Technologien. Das Potenzial ist enorm, dadurch können wir in den nächsten Jahrzehnten die große Transformation schaffen, um weitgehend CO2-neutral zu wirtschaften.

Was sind Ihre Top-5-Technologien, um die Schöpfung zu gestalten?

Erstens: Ein schneller Ausbau der erneuerbaren Energien mit guten Speichern, Stromnetzen und Pipelines für grünen Wasserstoff. Zweitens: Wir brauchen Wärmespeicher. Drittens: Wir müssen Carbon-Capture-and-Storage-Verfahren umsetzen, kurz CCS.

Das müssen Sie erklären!

Das sind Technologien, mit denen wir CO2 aus der Luft filtern und mit hohem Druck in geeignete Gesteinsschichten verpressen können, wo das Kohlendioxid sicher lagert und die Atmosphäre nicht weiter erwärmt. Der Weltklimarat hat schon deutlich formuliert, dass wir unsere Klimaziele ohne CCS nicht erreichen können. In den Niederlanden ist dieses Verfahren schon in der Umsetzung, dort will man jährlich Millionen Tonnen an CO2 unter der Nordsee speichern.

Und Nummer vier?

Wir müssen das Thema Solar Radiation Management erforschen.

Was ist das?

Eine Idee von Paul Crutzen, Atmosphärenchemiker und Nobelpreisträger. Er hat auch den Begriff des Anthropozäns geprägt. Sein Vorschlag: Der Mensch bringt Aerosolpartikel in die Atmosphäre ein, die das Sonnenlicht reflektieren. Das Verfahren ließe sich auch auf bestimmte Breitengrade wie den Polarkreis konzentrieren, um gezielt diese Regionen abzukühlen und zu verhindern, dass die Polkappen abschmelzen. Die Idee ist reversibel, macht sich also von selbst wieder rückgängig, denn nach 20 Jahren sinken die Partikel zurück auf den Boden. Aber man müsste wohl schwefelbasierte Partikel verwenden, was zu saurem Regen führen könnte. Die Idee sollte man auf keinen Fall sofort anwenden, aber wir sollten sie bereits jetzt debattieren und noch besser erforschen, zum Beispiel im Hinblick auf schwefelfreie Partikel. Noch ist Solar Radiation Management mit Vorsicht zu genießen.

Warum sollten wir es dann je nutzen?

Wenn wir weiter so schleppend vorankommen mit dem Klimaschutz, sehe ich die Gefahr, dass wir bis zum Jahr 2100 oder 2200 auf einen extremen Klimawandel zusteuern, eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur von über fünf Grad, die schlimmstenfalls dazu führen könnte, dass der Meeresspiegel langfristig um über 60 Meter steigt.

Und fünftens?

Als Physiker träume ich von der Kernfusion, sie ist sicher und hinterlässt keinen Müll, ist aber teurer als die erneuerbaren Energien und Zukunftsmusik.

Können Sie Ihren Kollegen in der Theologie Ihre Ideen für ein technikfreundliches Verständnis von Schöpfung vermitteln?

Das Bewusstsein wächst, dass Verzicht allein nicht ausreicht. Es gibt zunehmend Stimmen, die sagen, dass wir es sowieso nicht mehr schaffen und Gottes Schöpfung auf eine Katastrophe und Apokalypse zusteuern. Aber das kann ja nicht die Perspektive sein für eine Religion, die Hoffnung predigt. Ich gehe einen anderen Weg.

Nämlich?

Bewahrung der Schöpfung bedeutet eben nicht, die Natur zurückzuversetzen in einen Urzustand. Sondern sie so zu gestalten, dass langfristig ein gutes Leben möglich ist. Auch wenn das heißt, dass wir mit Hilfe der Gentechnik die Wüsten begrünen oder die Erde mit Photovoltaik belegen. Natur würde dann ganz anders aussehen als jetzt, aber Natur hat sich immer verändert. Und ebenso hat sich immer die Art und Weise verändert, wie Menschen über die Natur gedacht und was sie darunter verstanden haben.

"Die Ursache liegt beim Menschen"

Was ist, wenn Arten aussterben – soll der Mensch dann eingreifen und sie retten? Oder sollte man sagen: Das ist eben die Natur?

Das Artensterben ist eines der größten Probleme der gegenwärtigen ökologischen Krise, weil es unumkehrbar ist. Die Ursache liegt beim Menschen, die Verantwortung hierfür abzustreiten würde nicht zum Gärtnerauftrag und zur Bewahrung der Schöpfung passen. Da zwei der Haupttreiber für das Artensterben der Klimawandel sowie die Rodung tropischer Regenwälder sind, sollten wir zuallererst dort ansetzen, um das Artensterben zu verlangsamen. Zudem sollten wir versuchen, möglichst viele Arten aktiv zu retten. Dies kann auch gelingen, indem wir neue Lebensräume für sie innerhalb der vom Menschen kultivierten Systeme schaffen oder innovative Technologien nutzen. Durch Kryokonservierung bei sehr kalten Temperaturen und moderne Biotechnologie lassen sich Stamm- und Keimzellen von Pflanzen und Tierarten in sogenannten "Kryobanken" schon heute aufbewahren, um sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder zum Leben zu erwecken. Dies ist wiederum ein Beispiel dafür, dass Technologien einen unverzichtbaren Beitrag zum Naturschutz und zur Bewahrung der Schöpfung leisten können.

Neu über Schöpfung nachdenken – für die Kirchen ist das eine riesige Aufgabe, für manche Menschen vielleicht auch eine Zumutung.

Stimmt. Und die Kirche muss begreifen, dass es ohne Technologien nicht gelingen wird, die Schöpfung zu bewahren. Mit einer Offenheit für Technologien kann die Kirche viel mehr leisten, als wenn sie immer nur die Grenzen des Wachstums und Verzicht predigt. Kirchen können einen Konsens schaffen wie kein anderer Akteur in der Gesellschaft, auch wenn sie kleiner werden, jedenfalls in westlichen Gesellschaften. Gedanken dazu wünsche ich mir in vielen Predigten, von vielen Dorfpfarrerinnen und -pfarrern. Die Debatte gehört an die Basis unserer Gesellschaft, nicht nur in den Hörsaal.

Lesen Sie hier ein Glossar über erneuerbare Energien.

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Mit der "Vertreibung aus dem Paradies" (Mensch erster und bisher einzige geistige Evolutionssprung), hat Mensch die Verantwortung zur Bewahrung der Schöpfung, doch leider hat Mensch immernoch nur Vernunftbegabung, Bewusstseinsschwäche in Angst, Gewalt, egozentriertes "Individualbewusstsein" und Konfusion.

... mit der Paradieserzählung beginnt das Anspruchdenken, die Verlustangst, der Drill an der überantworteten Schöpfung. Freundliche Grüße