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Züge haben es nicht leicht. Unterbezahlte Lokführer hetzen sie den lieben langen Tag über die Gleise. Einmal erkrankt, hat kaum ein Schnellzug Gelegenheit, seinen Triebkopfschaden oder die defekte Klimaanlage richtig auszukurieren, schon soll er wieder verspäteten Minuten hinterherjagen. Wer nicht von einer hinterhältigen Weiche direkt aufs Abstellgleis geschoben wird, muss wie eine verwundete Schnecke hinter einem verspäteten Anschlusszug durch die Landschaft kriechen oder schlimmer: wegen Personen im Gleis ganz abbremsen.
Auch vom gemeinen Fahrgast ist keine Wertschätzung zu erwarten. Er hat in der Regel bezahlt und dem eigenen Verständnis nach genug gelobt, indem er auf dem Zugklo das Spülen nicht vergisst oder beim Aussteigen sein Handy-Ladekabel nicht liegenlässt.
Die Ehrenrettung der Eisenbahn kommt aus der bildenden Kunst. Übrigens erstaunlich unterhaltsam zusammengestellt in dem Buch "Die Eisenbahn in der Kunst" des kleinen Hamburger Verlags Ellert & Richter. In dem Band findet sich auch dieses Bild des Malers Paul Delvaux, ein echter Bahnromantiker mit surrealistischen Anklängen. Die Züge sind in seinem Werk keine dauerverspäteten Nicht-Orte, sondern Sinnbilder für Träume und Sehnsüchte.
Das Wahre und Schöne suchte der belgische Maler neben der Eisenbahn noch in der Gestalt junger Frauen. Auf seinen besten Bildern vereint er gleich beide Motive. Und hier, in seiner Weihnachtsnacht, der "Nuit de Noël" von 1956, scheinen Lok und Dame einander auf unausgesprochene Art anzuziehen. Eine ungewöhnlich helle Vollmondnacht. Leuchten der Zug und die junge Frau am Bahnsteig auch von innen heraus? Über die Schultern der Dame hinweg – und vermutlich auch mit ihr – schweift der Blick in weite Ferne. Ein bisschen wie bei der vielleicht bekanntesten Rückansicht der Kunst, bei Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer".
Ist die vorbeirollende Lok eine Botin der Hoffnung oder gar ein Triebkopf ihres Fernwehs? Ein innerer Zusammenhang besteht wohl zwischen der am Bahnsteig Wartenden, dem aus der Ferne vorüberziehenden Zug und dem vollmondigen Traumwächter am Nachthimmel. Von ihm über das blond erleuchtete Lokführerhäuschen bis hinab zum blonden Schopf der Dame verläuft eine unsichtbare Linie. Mit traumwandlerischer Sicherheit zaubert der Künstler eine melancholische Gemengelage herbei, die nur noch der Titel steigert. Wer will schon nachts allein am Bahnhof rumhängen und noch dazu an Heiligabend?!
Wie auch immer, auf ein Happy End ist Paul Delvaux nicht aus. Das Sehnen der Dame bleibt wohl unerfüllt. Den Zug kann sie nicht nehmen und auch keinen anderen. Der Zaun entlang der Bahnsteigkante verhindert das. Die Ferne scheint noch weiter weg, als sie ohnehin ist. Nur die Lok spendet vielleicht etwas Trost: Es geht noch was. Denken Sie daran, wenn Sie demnächst in Kassel-Wilhelmshöhe auf Ihren Anschluss warten.
" Nachts am Bahnhof ? "
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" Nachts am Bahnhof ? "
Ein einziges Kunstwerk muss nicht alle Frage beantworten. Es ist im gewissen Sinne ein Tor, eine Tür zu etwas anderem , größeren, weiter führenden.
Als Journalist erliegt man leicht der Verführung , sich in Wort und Bild zu verlieren, als Künstler weiß man, dass erst dahinter alles Sinnvolle beginnt.
" Den Zug kann sie nicht nehmen und auch keinen anderen. "
Wer sagt das ? Wer entscheidet das ?
Es ist wie mit der halbleeren und halbvollen Tasse !
Depression geht auf Traumata zurück, aber über die Neigung der Waagschale entscheidet Mensch selbst.
Als Christ nehme ich es sehr ernst.