Ahmadjan und Maren Amini arbeiten als Vater und Tochter erstmals zusammen an ihrem Comicbuch "Ahmadjan und der Wiedehopf"
Ahmadjan und Maren Amini arbeiten als Vater und Tochter erstmals zusammen an ihrem Comicbuch "Ahmadjan und der Wiedehopf"
Miguel Ferraz Araújo
Ein Märchen für die Unterdrückten
Der afghanische Künstler Ahmadjan Amini kam erst als Tourist und dann als Flüchtling nach Hamburg. Mit seiner Tochter Maren arbeitet er an einem Comicbuch über seine Lebensgeschichte.
Tim Wegner
16.08.2023

chrismon: Ihr Buch "Ahmadjan und der Wiede­hopf" ist noch gar nicht fertig – und schon haben Sie den Comicbuchpreis der Berthold-­Leibinger-Stiftung gewonnen.

Ahmadjan Amini: Ja, das hätten wir nie gedacht, oder Maren?

Maren Amini: Nee, ich habe dich angerufen und gesagt, dass wir den Preis gewonnen haben, und du so: "Ja super, das ist doch schön, was ich noch erzählen wollte . . .", und ich so: "Nein, wir haben einen Preis gewonnen!" Ich musste dir drei Mal sagen, wie groß dieser Preis ist.

Ahmadjan Amini: Du hast das Buch auch ­eingereicht, ich bin für so was zu alt. Aber das ist schön, das ist unsere erste Gemeinschaftsarbeit.

privat

Maren Amini

Maren Amini, 40, lebt als freischaffende Illustratorin in ­Hamburg, unter ­anderem arbeitet sie auch für chrismon. Die Heimat ihres ­Vaters kennt sie nur aus Erzählungen.
Miguel Ferraz

­Ahmadjan Amini

­Ahmadjan Amini, 59, studierte in Kabul Technologie und ­später Kunst in ­Hamburg. Neben ­Tochter Maren hat er fünf weitere Kinder. Er malt, "um mit dem Unschönen fertig­zuwerden".
Tim Wegner

Monja Stolz

Monja Stolz ist Volontärin beim GEP. Zuvor hat sie Journalismus in Mainz und Allgemeine Rhetorik und VWL in Tübingen und Kanada studiert. Sie arbeitete unter anderem beim Regionalteil der FAZ und schrieb Porträts für den Tagesspiegel Background. Während des Studiums engagierte sie sich in verschiedenen Bereichen für Menschenrechte und sie hat eine Liebe für Serien, Filme, Literatur und Hörspiele für Kinder.

Maren Amini: Ja. Wir haben davor noch ein Zukunfts­stipendium von der Stadt Hamburg bekommen. Da wollten wir aber noch ein Comicbuch zu afghanischen Liedern machen. Dann ­hatte ich eine Krise und lange nichts hingekriegt. Als die Idee mit dem Wiedehopf und deiner Lebens­geschichte kam, war ich wieder im "Flow".

Ahmadjan Amini: Das hat ja auch lange ­gedauert, fast zwei Jahre. Aber wir wollten unbedingt ­etwas zusammen machen.

Die Idee, zusammenzuarbeiten, war da, bevor Sie wussten, was es konkret wird?

Ahmadjan Amini: Genau. Als die Taliban vor knapp zwei Jahren in Afghanistan die Macht über­nahmen, habe ich mich völlig hilflos gefühlt. Die Tragödie ist so groß, das kann man nicht be­schreiben. Es ist Wahnsinn, dass es im 21. Jahrhundert möglich ist, dass ein paar Terroristen ein ganzes Volk als Geisel nehmen. Vor allem die Frauen. Die haben die Bildung abgeschafft! Wie kann ein Land ­ohne Bildung exis­tieren? Und die Weltgemeinschaft scheint das so angenommen zu haben.

Maren Amini: Auch Kultur ist verboten. Die zwingen die ­Musiker, ihre eigenen Instrumente zu vernichten. Und wenn du was gegen die ­Regierung sagst, wirst du umgebracht.

Ahmadjan Amini: Mein Bruder wurde auch umgebracht. Die Taliban haben ihn vier Tage ge­foltert, dann ist er gestorben.

Maren Amini: Wir wollten etwas von Deutschland aus unternehmen . . .

Ahmadjan Amini: . . . wir haben Demonstrationen organisiert mit öffentlichen Kundgebungen und einer Trauerfeier für meinen Bruder.

Maren Amini: Das waren schlimme Monate für uns. Papa wollte das, was in Afghanistan ­passiert, der ganzen Welt zeigen. Jeden Tag hat er mich angerufen mit neuen Ideen, wie man darauf aufmerksam machen kann.

Was waren das für Ideen?

Maren Amini: Papa wollte die Gräueltaten auf die Gebäude der Stadt projizieren. Ich wollte aber nicht, dass man diese Grausamkeiten zeigt. Man macht ja auch irgendwann dicht, wenn man immer nur Schreckensbilder sieht. Wir haben dann einen anderen Zugang gefunden.

Ahmadjan Amini: Als ich einmal bei Maren war, haben wir über mein Leben gesprochen, und sie hat einen Text darüber geschrieben. Der Text war so toll, da wussten wir, das verfolgen wir weiter.

Maren Amini: Wir wollten uns sozusagen durch Kunsttherapie retten, indem wir an ein ­schönes Afghanistan erinnern. Fern von der Politik jetzt.

Das Buch ist angelehnt an das Märchen "Die Konferenz der Vögel" von Fariduddin Attar aus dem zwölften Jahrhundert.

Maren Amini: Papa hatte zwei Jahre lang nur noch die Vögel aus dem Märchen gemalt und wollte, dass ich sein aktuelles Werk mit in das Buch bringe. Ich wollte aber lieber etwas über seine Jugend machen. Dann kam uns die Idee, dass wir einfach das ganze Buch im Sinne der "Konferenz der Vögel" gestalten.

Ahmadjan Amini: Das hat so gut gepasst. Die Geschichte ist im zwölften Jahrhundert entstanden, als es ähnliche Un­ruhen gab wie jetzt. In dem Märchen verspricht ein weiser Vogel, der Wiede­hopf, dass er die anderen Vögel zu einem König führt, der ihnen Sicherheit und Schutz gibt. Millionen Vögel hören das. Doch als es ernst wird, erfinden ganz viele Vögel Ausreden, um sich nicht auf die Reise zu dem König machen zu müssen.

Maren Amini: Die Reise ist nämlich sehr beschwerlich. Die Vögel müssen sieben Täler durchqueren. Am Ende ent­decken die ver­bliebenen Vögel, dass sie selbst der gesuchte König sind.

Ahmadjan Amini: Mein Opa hat mir das ­Märchen immer vorgelesen, als ich klein war. Es wird in manchen Regionen in Afghanistan mehr gelesen als der Koran. Menschen, die das Märchen als Kind gelesen haben, würden nicht solche Grausamkeiten vollziehen wie die ­Taliban jetzt.

Maren Amini: Das Märchen gibt auch unter­drück­ten Menschen sehr viel.

Die sieben Täler gab es auch in Ihrem Leben, Herr Amini?

Ahmadjan Amini: So in der Art. Es ist eine neue Version in der jetzigen Zeit.

Maren Amini: Es gibt zum Beispiel das Tal der Liebe, wo es darum geht, dass Papa als junger Mensch nach Hamburg gekommen ist und so verliebt ist in das Leben und in Partys. Danach kommt das Tal der Erkenntnis, da wurde er abgeschoben.

Ahmadjan Amini: Ja, da bin ich wieder in Afghanistan angekommen und habe die Missstände im Land plötzlich viel stärker wahrgenommen, zum Beispiel, dass es viel mehr Armut gibt als in Deutschland. Das war eine schmerzhafte ­Erkenntnis.

Maren Amini: Dann gab es noch das Tal der Loslösung und der Bedürfnislosigkeit. Das war, als du zum Militär musstest und die Russen ­Afghanistan überfallen haben und du danach nicht mehr als Tourist, sondern als Flüchtling nach Deutschland kamst.

Ahmadjan Amini: Genau, das war für mich ­eine ganz andere Situation – zum zweiten Mal in Deutschland.

Die sieben Täler sind also gar nicht alle finster?

Maren Amini: Nein, gar nicht. Wir wollten "Die Konferenz der Vögel" ja auch nicht eins zu eins übernehmen. Es geht vor allem um die innere Reise, wie du sie gemacht hast, Papa. Und das Märchen passt ja auch zu der aktuellen ­Situation, weil Tausende Menschen in Afghanistan ­Rettung suchen. Es geht vor allem darum, dass nicht nur eine Person das Land erlösen kann. Das Volk muss sich zusammentun. Außerdem hoffen wir, dass die Menschen hier die Schönheit von Af­ghanistan erkennen.

Ahmadjan Amini: Früher war Afghanistan ein multikulturelles Land. Jetzt ist nur eine Volksgruppe an der Macht und stürzt das Land ins Elend. Alle Völker müssten ­zusammenarbeiten. In einem Garten ist es schöner, wenn viele ­Blumen blühen.

Ein multikulturelles Afghanistan kann man sich gar nicht mehr vorstellen.

Ahmadjan Amini: Ja, verrückt, dass man mal von Amsterdam mit dem Bus bis nach Kabul fahren konnte. Afghanistan und Deutschland haben eine lange Geschichte, die schon in der Kaiserzeit beginnt. Viele Deutsche waren in Afghanis­tan beschäftigt in Bildung, Kultur, Wirtschaft, Agrar, Technik – eigentlich in allen Bereichen. Als ich jung war, waren auch noch deutsche und amerikanische Hippies in Afghanistan. Die ­haben mich damals sehr beeindruckt. Ich ­erinnere mich an wunderschöne Abende mit toller Musik in einem multikulturellen Land.

Maren Amini: Mit dem Buch wollen wir vor allem auch an die deutsch-afghanische Freundschaft erinnern.

Ahmadjan Amini: Ich bin Mitglied im Verein "Freundeskreis Afghanistan", fast alle Mitglieder waren früher in Afghanistan.

Maren Amini: Inzwischen haben nur wenige Deutsche noch eine Beziehung zu Afghanis­tan, sondern verbinden es nur mit den Schreckens­bildern. Ich selbst war auch noch nie in ­Af­ghanistan und bin so traurig darüber. Wenn ich mir vorstelle, mit dem Flugzeug über den Hindu­kusch zu fliegen, kommen mir die ­Tränen. Ich schreibe diese Geschichte wie ein Märchen.

Das Buch von Maren und Ahmadjan Amini erscheint 2024. Mehr Infos: www.carlsencomics.lnk.to/maren_amini

Infobox

Comicbuch

"Ahmadjan und der Wiedehopf" lehnt sich an das Märchen "Konferenz der ­Vögel an". Es stammt aus dem ­zwölften Jahrhundert, als schon ­einmal ein ­großer Teil der Afghanen unterdrückt wurde. Die gemalten ­Vögel sind von ­Ahmadjan Amini, die Comiczeichnungen von Tochter Maren.

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