Verschleierung in der Kunst
Freier Geist unterm Gewand
Die iranische Künstlerin Parastou Forouhar verbindet den frauenverachtenden Tschador mit lebenslustiger Schönheit
Im Amtmannsaal, aus der Serie "Das Gras ist grün, der Himmel ist blau und sie ist schwarz" von Parastou Forouhar, 2017
Parastou Forouhar: Serie "Das Gras ist grün, der Himmel ist blau und sie ist schwarz" (2017)
Parastou Forouhar
Lukas Meyer-BlankenburgPrivat
Aktualisiert am 23.07.2024

Ein Klostergeist im Tschador hüpft hier durchs Bild. Was wie ein Schnappschuss anmutet, ist sorgfältig inszeniert. Eine Fotografie, die vieles in sich vereint, wofür die Kunst von Parastou Forouhar steht: Schönheit und Fremdheit, die Gleichzeitigkeit der Dinge, Erfahrungen, Seinszustände.

Wie zum Beispiel der Tschador hier, das dunkle Gewand, mit dem sich Musliminnen in ­Ländern wie Iran verhüllen müssen. Ein schrecklich-­schöner Stoff. Schrecklich, weil er für ­patriarchalen Verschleierungszwang steht. Aber auch schön anzusehen, weil er wunderbar Falten schlägt, wenn so ein Lüftchen durch den feinen Stoff weht – wie hier in einer Fotografie aus der Serie "The Grass is Green, the Sky is Blue and she is Black". Das Bild verbreitet eine gespenstische ­Ahnung, die springende Person bleibt fremd und rätselhaft. Wer hier im Tschador steckt, ist nicht klar.

Der Raum gehört zu einem Kloster in dem Schweizer Ort Stein am Rhein, in dem die ­Künstlerin während eines Stipendiums wohnte und dort Frauen aus Syrien kennenlernte, die vor dem Krieg geflohen waren. Gut möglich ­also, dass die Person unter dem schwarzen Stoff eine ­Syrerin ist.

Physisch gerettet im europäischen Kloster­idyll, psychisch bei den Angehörigen in der kriegszerütteten Heimat. Da kann ein Tschador in der Fremde auch helfen, sich zu verstecken, aber er befördert wohl vor allem die Einsamkeit. Der Blick aus dem schwarzen Stoff heraus ist immer einer durch ein enges, dunkles Raster – wie aus einem Gefängnis.

Parastou Forouhar kann die Situation der Frauen gut nachvollziehen. Sie selbst wurde 1962 in Teheran geboren, studierte Kunst in der iranischen Hauptstadt und ab 1992 auch an der Kunstakademie in Offenbach am Main. Seit rund 30 Jahren lebt sie in Deutschland, zurzeit hat sie eine Professur an der Kunst­hochschule Mainz inne, und doch speisen sich ihre ­Arbeiten – meist Fotografien, Installationen, ­digitale ­Zeichnungen – vom Bezug zur iranischen Heimat.

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Oft sind es reich verzierte Bilder, die auf den ersten Blick schön wirken, in deren ornamentalem Muster sich aber Szenen von Folter und Tod abspielen.
Besonders gern fertigt die Künstlerin digital gezeichnete Schmetterlinge an, zarte, prächtige Falter, die schon in der persischen Dichtung ob ihrer Schönheit, aber auch wegen ihrer Neigung, dem gefährlichen Licht entgegen in den Tod zu flattern, überschwänglich besungen wurden.

In den Verzierungen, die die Künstlerin in die ­Flügel ihrer Schmetterlinge malt, spielen sich ­Szenen der Gewalt ab. Auf kleinstem Raum erzählt ­Parastou Forouhar von der Geschichte ihres Landes, ­Protesten der Bevölkerung und ihrer ­brutalen Niederschlagung.

Ein Schmetterling dokumentiert den Tod ­ihrer Eltern. Am 22. November 1998 ermordete der iranische Geheimdienst Mutter und Vater der Künstlerin, beide waren bekannte Intellektuelle und Oppositionspolitiker. Bis heute ist niemand dafür zur Rechenschaft gezogen worden. Um ­ihrer zu gedenken, fährt Parastou Forouhar jeden November in den Iran, in ihr Elternhaus – sofern das Mullah-Regime es ihr gestattet und keine Pandemie dazwischenfunkt.

Das Bild hier von der verhüllten Person im Tschador lässt sich auch mit Blick auf die ­aktuellen Proteste im Iran und die Situation der Frauen in dem Land deuten: Wenn es nach den Auflagen der Sittenpolizei geht, sind Frauen im ­öffentlichen Raum möglichst unsichtbar. Verhüllte Gespenster ohne Gesicht und Stimme. Aber steckt nicht auch jede Menge Leben in ­diesem dunkel gewandeten Geist hier? Ein Sprung aus der unverschuldeten Unmündigkeit.

Parastou Forouhars Kunst ist in der tristen Wirklichkeit verankert, aber darüber hinaus öffnet sie den Horizont zu einer besseren, einer ­moralisch und ästhetisch schönen Welt. Ihre Kunst ist politisch, ohne zu vereindeutigen. Und sie hat, was angesichts der Umstände alles andere als selbstverständlich ist, Hoffnung.

Eine erste Version dieses Beitrags erschien am 06.03.2023

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