Maryluz López Henao schaut auf Caicedo
Maryluz López Henao schaut auf Caicedo
Nick Jaussi
Sie will nicht aufgeben, niemals
Sie erlebte als Kindersoldatin in Kolumbien sehr viel Gewalt. Jetzt kämpft sie für Gerechtigkeit
Tim Wegner
Nick Jaussi
26.04.2017

Maryluz Lopéz aus Kolumbien, 39:

Ich habe fünf Träume: Radfahren lernen. Drachenfliegen. Ein Buch schreiben. Nach Jerusalem fahren, denn Jesus ist für mich ein Vorbild – außerdem erinnert mich seine Frisur  an Andres, den einzigen Mann, der es gut mit mir meinte.  Und, das klingt jetzt komisch, aber ich würde gern mal in eine riesige rosa Torte springen, das hat ein Mädchen im Fernsehen gemacht.

In meinem Leben war immer viel Gewalt. Meine Mutter wurde vergewaltigt, als sie mit mir im achten Monat schwanger war. Sie wurde eine harte Frau. Ich hatte als Kind immer drei Unterhosen an, wegen der Schläge. Wir wurden mehrfach umgesiedelt, das ist in Kolumbien so. Als ich 14 war, hielten Männer von der Guerrilla-Truppe ELN im Dorf Vorträge, über Armut und gegen den Kapitalismus, irgendwie leuchtete mir das ein. Sie nahmen mich mit.

Sie gaben mir sofort eine Waffe, aber ich stellte mich total blöd an. Ich war immer schon ein Weichei. Ich lernte Kühe und Autos stehlen. Eigentlich bin ich dazu viel zu tapsig. Als Kind hatte ich mal im Supermarkt ein Shampoo geklaut, ich wurde sofort erwischt. Ich wollte das alles nicht. Abends im Lager, nach den vielen Fußmärschen, habe ich nur geweint. Ich wollte heim zu Mama, ich wollte Simpsons gucken! Ich war ja noch ein Kind. Aber das interessierte niemanden.

Die Männer benutzten mich wie eine Toilette

Dann war da dieser Mann. Ich würde ihn sofort wieder erkennen, an seinen riesigen Zähnen, die im Dunkeln leuchteten. Er kam jeden Abend, und brachte mich zu einer Holzhütte. Er und die anderen Männer benutzten mich wie eine Toilette, so kam es mir vor. Ich hab innerlich abgeschaltet, ich sah immer nur diese großen weißen Zähne.

Ich wollte nicht mehr weiterleben. Ich bettelte den Guerrillaführer an, mich zurück zu Mama zu lassen. Endlich willigte er ein – wenn ich mit ihm schlafe. Dann setzte er mich nachts an der Autobahn aus, ich hielt einen Lkw an, der Fahrer war nett, er kaufte mir Eier und Zwiebeln zum Früstück. Ach, war das lecker! Er brachte mich nachhause. Die Mama fing an zu schreien, als sie mich sah, sie hielt mich für ein Gespenst. Die Bürgermeisterin sagte: Du kannst jetzt mit Waffen umgehen, die Farc wird dich holen – das ist die andere Rebellengruppe in Kolumbien. Hier bist du nicht sicher, hau ab.

Mit 16 wurde ich schwanger, der Vater wurde kurz darauf erschossen. Ich wurde umgesiedelt nach Medellin, mit Pepa, meiner Tochter und Pepe, meinem Sohn. Dort lernte ich Andrés kennen, den Mann meines Lebens. Aber auch er wurde umgebracht, seine Leiche wurde im Fluss gefunden, die Umstände wurden nie aufgeklärt.

Jetzt ist in Kolumbien der Friedensvertrag mit den Farc-Rebellen unterschrieben worden, endlich! Ich werde nicht aufgeben, bevor nicht Andres, der Mann meines Lebens, offiziell als „Verschwundener“ anerkannt wird. Und bevor nicht mein Vergewaltiger seine Schuld bekannt hat. Sie haben ihn, er ist im Knast – aber nicht wegen Sexualstraftaten, sondern wegen bewaffnetem Kampf. Ich will keine Rache, im Gefängnis werden die Menschen nicht besser. Aber ich will, dass er mir im Gerichtssaal ins Gesicht sagt: Ja, ich habe dich vergewaltigt, ich bekenne meine Schuld. Vorher lasse ich nicht locker, und wenn ich jede Woche zum Zentrum für Opferbetreuung gehen muss, wo sie mir helfen.

Ich will das durchkämpfen - für alle Frauen dieser Welt

Ich will das durchkämpfen für alle Frauen auf dieser Welt. Denn viele überleben es nicht. Ich habe auch Panikattacken in geschlossenen Räumen und kann deswegen nicht mehr in meinem Beruf als Parfümerieverkäuferin arbeiten. Aber ich bleibe am Leben für meine Kinder. Pepa ist jetzt 22, sie wird Elektroingenieurin, sie ist die beste in ihrem Semester. Pepe ist 21, er arbeitet im Callcenter, er verdient gutes Geld

Ich habe viel Schlimmes erlebt, aber es gibt immer noch Menschen, denen es schlechter geht. Ich arbeite jetzt als Freiwillige in der Kleiderkammer für Obdachlose. Ich habe sogar ein Zertifikat bekommen, ich bin jetzt „Peace Promoter“.  Und ich habe angefangen Kurzgeschichten zu schreiben. Mein Sohn musste mir Punkt und Komma setzen, das habe ich ja nie gelernt. Aber ehrlich, Jesus hat bestimmt auch keine Punkte und Kommas gekonnt.

Protokoll: Ursula Ott

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