Sebastian Arlt
Wir teilen uns das!
„Sharing“ heißt der neue Trend. Die Gewerkschafterin und der Betriebswirt über digitale Wirtschaft und schlecht bezahlte Arbeit
Portrait Anne Buhrfeind, chrismon stellvertretende ChefredakteurinLena Uphoff
Tim Wegner
10.11.2014

chrismon: Frau Breymaier, haben Sie ein Auto?

Leni Breymaier: Ich habe einen Dienstwagen. Aber zur Arbeit fahre ich wenn möglich mit der Regionalbahn – 35 Minuten.

Herr Bartel, Sie haben gar kein Auto – aber ein Carsharing-­Unternehmen mitaufgebaut.

Daniel Bartel: Ja, autonetzer.de. Man kann inzwischen 10 000 ­Privatfahrzeuge leihen, bundesweit.

Breymaier: Wie viel würde mich das kosten?

Bartel: Ab 19 Euro pro Tag. Es ist im Schnitt 20 bis 30 Prozent günstiger als ein Mietwagen.

Breymaier: Leute teilen ja auch ihre Wohnungen mit Fremden, offenbar kann man sie durch das Sharing zum guten Teil finanzieren. Das finde ich bemerkenswert.

Bartel: Ich vermiete mein WG-Zimmer auch über Airbnb, wenn ich nicht da bin.

Breymaier: Meine Wohnung würde ich nur mit Leuten teilen, die ich kenne. Beim Auto wäre ich leidenschaftslos.

Bartel: Ich teile vieles nicht. Mein Handy, meinen Laptop, meine Unterwäsche, meine Zahnbürste. Ich teile dann nicht, wenn der Aufwand zu hoch ist. Es lohnt nicht, ein Buch in einen Umschlag zu packen und zur Post zu laufen. Da ist Verschenken besser!

Breymaier: Vor Jahren habe ich mal einen Hochdruckreiniger gekauft, damit ich im Frühling die Terrasse saubermachen kann – natürlich verleihe ich ihn im Freundeskreis. Insofern denke ich: Das gab es schon immer, das wird es auch immer geben.

Aber heute heißt das Share Economy. Ist das nicht ein irre­führender Ausdruck – für Geld etwas zu teilen?

Breymaier: Ja, früher gab es das kostenlos – Teilen im eigentlichen Sinn hat ja gerade nichts mit Kommerz zu tun. Aber dadurch, dass man durch das Internet und Handy-Apps viel mehr Menschen erreichen kann, funktionieren auch solche kostenpflichtigen Plattformen. 

"Vertrauen ist die neue Währung" (Bartel)

Bartel: Und diese wiederum verdienen mit Provisionen und können so die Plattform betreiben. Deshalb nenne ich das lieber Collaborative Economy. Es geht nicht nur ums Teilen, sondern auch darum, gemeinsam an etwas zu arbeiten. Denken Sie an das Maker Movement: Leute versuchen, technische Probleme ­ mit 3D-Druckern zu lösen. Es gibt aber genauso die altruistischen Modelle, couchsurfing.org, wo man Leute findet, bei denen man umsonst übernachten kann. Oder foodsharing.de, ein einge­tragener Verein...

..da kann man Essen abgeben.

Bartel:  Genau. Wenn Sie jetzt in den Urlaub fliegen und haben noch was übrig, können Sie ein Handyfoto machen, es online stellen, dann holt sich jemand das Essen ab. In manchen Städten gibt es öffentliche Kühlschränke – wie Bücherschränke.
 
Wer ist der typische Teiler?

Bartel:  Junge Leute, die mit der Digitalisierung kein Problem haben. Die bereit sind, im Internet Transparenz zu zeigen, die ihren Klarnamen verwenden, die bei Facebook unterwegs sind. Und Leute, denen es nicht viel bedeutet, Dinge zu besitzen. Wer die Autofelgen pflegen muss und Angst hat vor Kratzern, der sollte es lassen. Generell ist Teilen aber immer noch eine Nische.    

Woher weiß ich, ob ich den Leuten vertrauen kann, die mein Auto leihen oder meine Wohnung mieten?

Breymaier: Man vertraut, weil jeder jeden bewertet. Gibt die das Auto schön sauber zurück? Ist sie freundlich gewesen bei der Übergabe? Dann gibt es überall Bewertungen über mich, in diesen vielen Portalen, das will ich nicht. 

Bartel: Sie teilen Dinge mit Fremden. Da ist Vertrauen die neue Währung. Mir als Vermieter ermöglichen die Bewertungen, zu sagen, o. k., der ist jetzt drei Mal gescheit gefahren, dem kann ich mein Auto blind anvertrauen. Und trotzdem kann ein Unfall passieren. Dafür schließt man eine spezielle Versicherung ab.

Das Brot brechen und teilen – das ist die Urgeste des Christentums. Ohne Gegenleistung. Dieses „Einfach so“ – gibt es das gar nicht mehr?

Bartel:  Doch! Zum Beispiel pfandgeben.de, da kann man im Internet Telefonnummern finden von Menschen, die bedürftig sind und Pfand sammeln, um ihnen zu sagen, ich hab hier eine Kiste mit Flaschen, wollen Sie die nicht abholen und verwerten? Oder man stellt die Pfandflaschen neben den Mülleimer, damit Pfandsammler nicht im Müll kramen müssen.

Breymaier:  Dieses Teilen auf Internetplattformen hat nichts mit dem Teilen im christlichen Sinne zu tun! Vielleicht ist es ja auch deshalb ein englisches Wort – Sharing Economy –, da kommt man erst mal nicht drauf, dass es nur ums Geld geht. Letztlich werden hier Menschsein und Gemeinschaftsdenken kommer­zialisiert. Ich gieße deine Blumen, und du leerst meinen Brief­-kas­ten – dafür zahlt man jetzt.

Digitale Wirtschaft macht andere Dienstleistungen, die bisher ordentlich bezahlt wurden, billiger. Wie müssen wir uns das künftig vorstellen?

Breymaier: In letzter Konsequenz könnte es in wichtigen Sektoren der Wirtschaft passieren, dass wir keine normalen Arbeitsverhältnisse mehr haben und die Menschen ihre Arbeit kleinteilig anbieten. Wenn sie zu teuer sind, werden sie nichts verkaufen. Dann laufen wir Gefahr, dass wir Massenarmut kriegen. Ich kann das Internet nicht aufhalten. Aber Gewerkschaften und Politik müssen sich zusammensetzen und die Risiken bearbeiten – und vielleicht auch Probleme, die ich heute noch gar nicht sehe.

Bartel: Die Politik hat drei Jahre nur zugeschaut.

###mehr-extern### Breymaier: Wir sind auf diesem Tausendmeterlauf bei Meter 80. Mich beschäftigt nicht so sehr der Hochdruckreiniger, das Auto oder die Bohrmaschine. Ich denke an klassische Dienstleis­tungen wie Fußpflege, Haareschneiden, Kosmetik. Im Grunde funktionieren viele dieser Transaktionen wie umgekehrte Versteigerungen: Der Billigste bekommt den Zuschlag. Da macht einer online ein Angebot für 30 Euro, einer für 15 und einer für vier. So wird Professionalität abgelöst durch Amateure, in jedem Fall werden Löhne gedrückt. Sascha Lobo, sicher kein Gegner des Internets, spricht von einer „Dumpinghölle“, die hier drohe. Die Frau, die für vier Euro Fußpflege macht, kann sich Ihren Wagen, Herr Bartel, nicht leisten – selbst wenn der 30 Prozent billiger ist. Und statt normaler Zeugnisse, die ein halbes Berufsleben in dürre Worte fassen, habe ich eine tägliche Bewertung meiner Arbeit im Internet. Das finde ich furchtbar.

 "Ein wesentlicher Punkt ist die Professionalität" (Breymaier)  

Bartel: Das kann ich mir vorstellen. Schon seit Jahren gibt es diese Tendenz in der Digitalwirtschaft, Programmierarbeiten, Outsourcing, da läuft es genauso.

Breymaier: Schlimm genug. Oder bei MyHammer, dieser Plattform, auf der man Handwerker- und Renovierungsaufträge versteigern kann. Die Handwerker unterbieten sich da gegenseitig.

Bartel: Es müssen richtige Handwerker sein. Sie regeln so ihre Auslastung. Man kann ja auch Flugtickets kaufen zwischen 19 und 290 Euro, da entscheiden Angebot und Nachfrage.

Breymaier: Das ist ein wesentlicher Punkt: die Professionalität. Ich befürchte, dass alle, die schon mal ihre Wohnung tapeziert haben und darin ein bisschen geschickt sind, da draufgehen und ganze Gewerke kaputt machen. Wenn Sie sagen: Nein, auch künftig muss Voraussetzung sein, dass die eine ordentliche Ausbildung haben, könnte ich mich durchaus drauf einlassen.

Bartel: Ja. Aber wer soll es kontrollieren? Ich behaupte, es gibt genug Leute, die ein Talent haben für Tapezieren.

Breymaier: Also doch keine Regeln?

Bartel: Es ist schwierig. Wir brauchen das, Ausbildung, Sozialversicherung, Arbeitsschutz. Aber wir brauchen auch eine Flexibi­lisierung, Quereinsteigern muss man doch auch Chancen geben.

Breymaier:
Ich glaube, es ist noch ein größeres Problem. Mit der Digitalisierung geht eine Steigerung der Produktivität einher. Der einzelne Mensch wird viel mehr arbeiten. Es sind immer die alten Wörter: Verteilungsgerechtigkeit. Alle sollen profitieren. Ich möchte nicht, dass die Fußpflegerin für vier Euro arbeitet. Als Sie gerade das Wort Sozialversicherung benutzt haben, kam schon so eine Staubwolke mit heraus, aber ich sehe dazu keine Alterna­tive. Wir müssen Menschen, die erwerbstätig sind, auch absichern für die drei großen Risiken: alt, krank, arbeitslos zu werden.

Bartel: Da bin ich auf jeden Fall bei Ihnen. Nur: Die wenigsten, die diese kleinen Jobs machen, durchblicken das. Die Strukturen sind eben, wie sie sind, die Leute nehmen das hin. Die neuen Beschäftigungsmöglichkeiten sind aber auch schön! Dass Omis ihre Häkelmützen verkaufen oder Leute selbst gemachten Schmuck.

Ist das eine gute Nachricht, dass Omis Mützen verkaufen, ­Frau Breymaier?

Breymaier: Bei den Omis ist das in Ordnung. Aber diese Haltung der Jungen, dass sie eh keine Rente mehr bekommen, macht mich fast wahnsinnig.

Bartel: Das ist aber so.

"Die Spirale nach unten wäre endlos" (Breymaier)

Dann ist es doch gut, dass es diese neue Economy gibt, oder?

Bartel: Indem man sich Dinge leiht, statt sie zu kaufen, kann man sich trotzdem Luxus leisten. Wenn man diesen Kreislauf in Gang setzen würde, wenn man verschiedenste Einkommensquellen hat und Autos günstig mietet, braucht man weniger Geld.

Breymaier: Es ist in Ordnung, wenn wir die Ressourcen schonen, weniger produzieren und mehr Menschen Zugriff haben auf das, was wir produzieren. Damit kann ich aber nicht das niedrigere Einkommen rechtfertigen. Die Spirale nach unten wäre endlos.

Wir haben nun viel von Nachhaltigkeit gehört, von Vertrauen oder Gemeinschaftsgefühl. Ist das der moralische Deckmantel der Sharing Economy? Immerhin wird der Chauffeurdienst Uber mit 17 Milliarden US-Dollar bewertet, die Wohnungsplattform Airbnb mit zehn.

Bartel: Ja, findige Finanzmenschen investieren und verdienen gerade sehr viel Geld damit. Aber warum müssen die Plattformen im Besitz einiger weniger sein? Foodsharing wird niemals Plakate aufhängen oder Fernsehwerbung machen. Können die nicht, die haben kein Geld, das ist eine altruistische Bewegung. Es gibt 20 000 Sharing-Unternehmen, manche sind genossenschaftlich organisiert, ich bin auch an einem beteiligt. Die schaffen es, die Plattform unter der Kontrolle und im Besitz der Teiler zu halten und dann ein faireres Wirtschaften zu ermöglichen.

Würden Sie das auch sagen: Teilen ist gar kein Konsum, sondern Verzicht?

Bartel: Viele betrachten es so, ich nicht. Teilen ist auch Konsum – aber man hat nun viel mehr Möglichkeiten. Das sehen Sie bei den Autos: Mietwagen, privates Carsharing, Car2Go. Ich kann einen Bus nehmen oder einen Porsche, ich habe mehr Freiheit, ohne dass ich mehr Eigentum haben müsste. Eigentum ist ja auch Last, es verpflichtet.

Verpflichtet diese Art von Konsum weniger?

Bartel: Es ist intelligenterer Konsum. Sonst stehen Autos 23 von 24 Stunden herum. Aber ist intelligenterer Konsum jetzt böser Konsum oder in Ordnung, weil jemand sein Auto teilt? Man kann jederzeit Auto fahren und verhält sich trotzdem nachhaltig.

###autor### Jeremy Rifkin, der US-amerikanische Publizist, sagt, Teilen könnte der Anfang vom Ende des Kapitalismus sein.

Breymaier: Ich glaube, so sehr ich ihn schätze, das ist dummes Zeug. Das ist nicht das Ende des Kapitalismus, da wird mit Sachen Geld verdient, mit denen vorher kein Geld verdient wurde. Das ist noch ein Krönchen drauf auf dem Kapitalismus.

Bartel: Natürlich ist da die Chance einer neuen Wirtschafts­ordnung. Ich teile ja unter Fremden, das ist anders. Und unter Freunden wird es bestimmt kostenlos bleiben.

Breymaier: Sie kriegen mehr Geld, als es kostet. Das ist doch der Spaß. Ihr Ziel ist es, nicht nur Menschen zu beglücken, damit die von A nach B kommen. Sie wollen Geld verdienen, das ist legitim. 

"Aber der Nutzer hat gewonnen: Luxus haben, ohne Dinge besitzen zu müssen" (Bartel)

Bartel: Und wenn man jemanden mitnimmt, spart man noch, indem man sich die Kosten weiter teilt.

Breymaier: Da sind wir mittendrin im Kapitalismus.

Bartel: Ja. Aber der Nutzer hat gewonnen, er hat eine Wahlfreiheit, die früher nur wenige hatten. Wir müssen zusehen, dass Sharing nicht kriminalisiert wird. Ich vermiete mein Bett etwa 30 Tage im Jahr. Und weil ich Geld bekomme, ist es kein Verleihen, sondern Vermieten. Bin ich deswegen Gewerbetreibender?

Breymaier: Wo wäre Ihrer Meinung nach die Grenze?

Bartel: Die ist da, wo Leute Wohnungen anmieten, um sie wieder zu vermieten. Wenn ich eine möblierte Wohnung vermiete, kann ich in guten Lagen mehrere Tausend Euro im Monat verdienen. Das geht auf keinen Fall. Die feine Grauzone, mehr Einkommensquellen für sich zu erschließen, finde ich in Ordnung.

Breymaier: Wenn Sie darauf Steuern zahlen...

Bartel: Natürlich. Ich gebe das in meiner Steuererklärung an, 650 Euro Airbnb. Nur: Die Finanzämter fragen nach den Mietverträgen – die hat man aber nicht, weil alles online abläuft. Wenn man direkt von den Sharing-Plattformen weg seine Steuern abführen könnte und seine Sozialabgaben noch dazu – das wäre doch super! Micro-Entrepreneure, jeder macht sein Glück.

Frau Breymaier, was ist Ihre Zukunftsvision?

Breymaier: Wir werden die Vollzeitarbeit neu definieren müssen, sie wird vielleicht bei 20 Wochenstunden liegen. Durch intelligente Regulierungen müssen wir dafür sorgen, dass die Sharing Economy nicht zur Ausbeutung in großem Stil und zur Totalkommerzialisierung des Lebens führt. Und wenn wir das, was in diesem Land erwirtschaftet wird, gut verteilt bekommen, können die Leute gerne Autos, Betten oder Bohrmaschinen verleihen oder Mützen häkeln. Es sind dann einfach weitere Geschäftsmodelle, bei denen Einzelne Geld verdienen, was ich ihnen gönne, und das regeln wir mit Steuern. Es würde schon genügen, wenn die, die richtig viel Geld verdienen, hier Steuern zahlen würden. Denken wir nur an Google. Amazon. Und Ikea.