Ein Herz für Schwarzarbeiter
Auch wenn es dem Finanzminister nicht gefallen kann: Schwarzarbeit steigert den Wohlstand, sorgt für Steuereinnahmen und stützt die Konjunktur. Ein Essay über ein Phänomen, das ebenso nützlich wie verwerflich ist
07.10.2010

Was René O., seit ein paar Monaten Chef der Deutschen Telekom, und Adrian N., polnischer Putzmann in Hamburg, gemeinsam haben? Es wird über sie auf Feten gesprochen. Neulich auf der Geburtstagsfeier war es Marlies, die damit anfing: Ein großes schwarzes Loch sei die Telekom! Und wenn man doch mal jemanden erreiche in diesen Callcentern, dann könnten die doch nicht erklären, warum das DSL-Paket schon zweimal an die falsche Adresse geschickt wurde! Der Kampf gegen die Windmühlen der Telekom hat in der Fetenunterhaltung inzwischen das Ringen mit der Nikotinsucht überholt.

Habt Ihr nicht diesen Putzmann, der so toll sein soll?

Wie anders klingt es, wenn das Gespräch auf Adrian N. kommt: Habt Ihr nicht diesen Putzmann, der so toll sein soll? Ob der wohl noch Termine frei hat? Adrian ist ein Schwarzarbeiter und meistens ausgebucht. Er ist darauf angewiesen, dass man über ihn spricht. Er bekommt nicht einen neuen Kunden, ohne dass ihn einer der alten empfohlen hat. Wenn die nicht mehr gut über ihn reden oder gar so schlecht wie über die Telekom, dann kann Adrian einpacken. René O. sollte sich an Adrian N. ein Beispiel nehmen: Jeden einzelnen Kunden so behandeln, als ginge es ums Ganze ­ dann klappt's auch bei der Telekom.

Barbara K. ist 82 Jahre alt und gut beieinander. Aber das Reihenhaus in Ordnung halten, den Garten pflegen, die Wäsche machen, die Post erledigen ­ das kann sie nicht mehr alles allein. Die Kraft fehlt, die Kinder leben weit weg, manchmal zittern die Hände. Deshalb hat sie sich ein Netz von Helfern zugelegt, alle kriegen von ihr zehn Euro die Stunde und manchen nützlichen Rat. Aber ist das nicht Schwarzarbeit?! Ja, sagt Frau K., aber was soll ich machen? Ließe sie jedes Mal offiziell Handwerker kommen, wenn sie Hilfe am Haus braucht, dann ginge ihre Witwenrente schon für die Anfahrtsgebühren drauf. Barbara K. hat einmal den Installateur gerufen, als der Gasofen nicht lief: "Am Ende habe ich über 100 Euro bezahlt, aber es funktionierte nichts. Dann habe ich doch wieder Herrn W. genommen, die Rechnung war halb so hoch, und der Ofen brannte wieder." Und wo wäre überhaupt die Firma, die Frau K. jemanden schickte, der mal ein paar Briefe tippt?

Für den offiziellen Markt ist vieles nicht lukrativ genug

Der offizielle Markt lässt vieles links liegen, weil es nicht lukrativ genug ist. Burghard N. arbeitet als Steuerfachangestellter in einer Kanzlei und abends betreibt er schwarz eine Art Steuerberatung für Kleinfälle. Er kommt zu den Klienten ins Haus und macht ihnen den Lohnsteuerjahresausgleich für 30 oder 40 Euro. Aus seinem Hauptjob weiß Burghard N., was das auf dem offiziellen Markt, also beim Steuerberater kostet: "Unter 300 Euro kommt man da auf keinen Fall davon. Und wenn man dann 100 oder 200 Euro vom Finanzamt zurückbekommt, hat sich das nicht gerechnet." á

Eine Journalistin berichtete vor einiger Zeit im Bekanntenkreis, wie sie ihre kleine Wohnung neu streichen lassen wollte. Sie bat einen Meisterbetrieb des Malerhandwerks um ein Angebot und war schockiert, als sie den Kostenvoranschlag in Händen hielt: "Ein Monatsgehalt hätte ich rechnen müssen!" Sie schaute sich auf dem Schwarzarbeitsmarkt um. Ein handwerklich erfahrener Polizeibeamter, der sich schon bei Kollegen bewährt hatte, erledigte schließlich den Auftrag um die Hälfte billiger. So hat die Journalistin unter dem Strich ein halbes Monatsgehalt mehr zur Verfügung, als wenn sie den Malerbetrieb beauftragt hätte. Der Polizist hat ebenfalls ein halbes Redakteursgehalt zusätzlich in der Tasche und kann sich dafür etwas leisten, was sonst nicht drin wäre.

Mit Schwarzgeld werden das neue Auto, die Couchgarnitur und der Flachbildfernseher gekauft

Mit schwarz verdientem Geld werden üblicherweise das neue Auto, die Couchgarnitur und der Flachbildfernseher gekauft. Der gebrauchte Kleinwagen für die Tochter zum Abitur, der Wochenendtrip zum Musical nach Hamburg, hier ein Computer, da eine Digitalkamera der neuesten Generation ­ über die Schwarzarbeit werden die angenehmen Extras finanziert, die man sich sonst nicht oder nur selten leisten könnte. Zwei Drittel des schwarz verdienten Geldes werden sogleich wieder ausgegeben. Das bedeutet Konsum, Konsum bedeutet Steuern und Arbeit, Arbeit bedeutet Steuern und Sozialbeiträge.

Aber wäre es nicht für alle besser, wenn die Redakteurin den Malerbetrieb beauftragt hätte? Wären nicht das Finanzamt und die Sozialversicherungen zu ihrem Recht gekommen, der Malergeselle, die Büroangestellte, das neue Firmenfahrzeug und vielleicht sogar eine Lehrstelle mitfinanziert worden? Theoretisch ja, aber in der Praxis leider nein: Die Frau hätte gar nicht renovieren lassen, wenn sie nicht auf die schwarze Alternative hätte ausweichen können. Dann wäre nicht nur der Handwerksbetrieb leer ausgegangen, sondern auch der Baumarkt, die Farbenfabrik und so weiter. Empirische Untersuchungen besagen, dass die Schwarzarbeit nur zu einem Drittel dem legalen Sektor Wirtschaftsleistung wegnimmt, während zwei Drittel komplementär sind: Wenn sie nicht schwarz erbracht werden könnten, würden sie gar nicht erbracht.

Das gilt nicht nur auf der Seite der Nachfrage, sondern auch für das Angebot. Der Studienrat, der nebenbei schwarz Nachhilfeunterricht erteilt, würde in dieser Zeit eher Tennis spielen oder Klavierkonzerte hören, als den Nebenverdienst anzumelden und zu versteuern. So aktiviert die Schattenwirtschaft ökonomische Ressourcen, die sonst ungenutzt blieben. Der Ausländer, der offiziell nicht arbeiten darf, der Handwerker, der vergeblich eine Anstellung sucht ­ mit Schwarzarbeit tragen sie zur Wertschöpfung bei, statt Däumchen zu drehen. Schwarzarbeit erhöht die gesamtwirtschaftliche Aktivität, und das heißt: Sie steigert unseren Wohlstand.

Schwarzarbeit ist ein Reflex auf hohe Steuern und Sozialabgaben

Schwarzarbeit gibt es, weil in der offiziellen Wirtschaft die Arbeit für den Kunden zu teuer ist und der Nettolohn für den Arbeitnehmer zu niedrig. Welcher Kfz-Mechaniker könnte sich einen regulären Maurer leisten? Schwarzarbeit ist ein Reflex auf hohe Steuern und Sozialabgaben, auf bürokratische Vorschriften und Regularien aller Art und auch darauf, dass in der offiziellen Wirtschaft nicht genügend Arbeit angeboten wird. Alle diese Gründe spiegeln sich in der Tatsache wider, dass die meisten Schwarzarbeiter eine feste Anstellung haben und nach Feierabend etwas hinzuverdienen.

In ihrem Hauptjob können sie nicht länger arbeiten, weil die Tarifverträge das nicht zulassen, und vor allem wollen sie es nicht, weil es sich nicht rechnet. Da ist zum Beispiel ein Arbeitnehmer ­ 26 Jahre alt, ledig, keine Kinder, 2000 Euro Monatslohn, Steuertabelle von April 2006. Er zahlt 260 Euro Lohnsteuer, was 13 Prozent entspricht. Nehmen wir an, er macht ein paar regelmäßige Überstunden oder erhält eine kleine Leistungsprämie und kommt nun auf 2100 Euro monatlich. Nun verlangt der Fiskus 287,33 Euro Lohnsteuer. Auf den Zuverdienst von 100 Euro entfällt eine (Grenz-)Steuerlast von 27,33 Prozent. Praktisch werden also die zusätzlichen 100 Euro mehr als doppelt so hoch besteuert wie der bisherige Verdienst. Es kommen noch die Krankenkasse, die Pflegeversicherung, der Rentenbeitrag und die Arbeitslosenversicherung hinzu, so dass unserem 2000-Euro-Arbeiter von brutto 100 Euro mehr Lohn gut 47 Euro netto bleiben, also nicht einmal die Hälfte. Hält sich der Fiskus bei ihm schadlos, weil er eine leichte Beute ist? Kein Schwarzgeld nach Luxemburg bringen, nicht in die Schweiz auswandern kann? In demselben Steuersystem konnten gut verdienende Dax-Konzerne jahrelang ihre Unternehmenssteuer so gestalten, dass die Finanzämter nicht nur nichts einnahmen, sondern Milliarden auszahlen mussten.

Gegenwärtig brummt die offizielle Wirtschaft so, dass es mehr Steuereinnahmen, mehr Sozialversicherungsbeiträge und sogar mehr Arbeitsplätze gibt. In solchen Zeiten haben Sündenböcke Schonzeit. Aber früher oder später wird die Konjunktur wieder abflauen. Dann wird wieder vom "Krebsgeschwür" Schwarzarbeit die Rede sein, das die Wirtschaft schädigt, und ein Bundesfinanzminister ­ wie einst Hans Eichel ­ wird wieder fälschlich behaupten: "Wenn es die Schwarzarbeit nicht gäbe, hätte ich keine Schulden." Er wird wohl nicht, wahrheitsgemäß, hinzufügen: "Die Schwarzarbeit wächst wieder kräftig, seit im Jahre 2007 die Kosten offizieller Arbeit abermals in die Höhe getrieben wurden. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Renten- und der Krankenkassenbeiträge wirken als ein gigantisches Programm zur Förderung der Schwarzarbeit."

 

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