09.04.2020
Martina Kissel-Staude

Gründonnerstag 2020


Manchmal denke ich, es ist alles nur ein Traum. Ein schlechter Film, in den ich aus Versehen selbst herein gerutscht bin. Ich wache auf und dieser ganze Corona-Spuk ist vorbei. Es ist alles wieder so wie vorher. Nur dass ich vieles, was mir vorher banal und manchmal lästig erschien, neu zu schätzen wüsste.
Ich arbeite als katholische Pastoralreferentin in einer kleineren Großpfarrei – und durch die Krise hat sich mein Alltag völlig verändert.
Es gab keinen letzten Schultag. Wir konnten uns nicht verabschieden. Plötzlich hieß es: „Am Montag wird keine Schule mehr sein!“ Kurz danach: „Keine Messe!“ Jetzt an Ostern: „Keine Osternacht!“ „Keine Besuche!“ Die erwachsenen Kinder werden nicht kommen. Die kamen doch immer!
Meine Eltern haben den Krieg erlebt, unsere Freunde aus dem Osten Deutschlands den dortigen Umbruch. Die vielen Flüchtlinge, mit denen ich zusammenarbeite, kennen das gut, kennen das bitter, wenn eine Welt zusammenbricht und sich neu sortiert.
Plötzlich ist alles anders. Eben noch ein festlicher Einzug in Jerusalem. Jubelnde Leute, Hoffnung in den Gesichtern, Hosianna, preist den Herrn.
Plötzlich ist alles anders. Der dunkle Garten, ein Meister voller Angst und Vorwurf. Könnt ihr nicht mit mir wachen? Ein Gott, der keinen Ausweg weist. Ein bitterer Kelch – und als ein schrecklicher Höhepunkt kommt die Tempelwache. Bewaffnet erscheinen die Diener des Gotteshauses, geführt vom Freund, als Zeichen ein Kuss.
„Alleiner“ geht nimmer!
2020 – Für mich der erste Gründonnerstag seit fünf Jahrzehnten ohne Gottesdienst und ohne gemeinsame Nachtwache danach…
Aber ich verstehe ihn besser in diesem Jahr.
Die Priester feiern in unseren katholischen Gemeinden die Messe an Ostern alleine – für alle. Ist das ein „Abendmahl“? Auch die Messen im Fernsehen und im Internet zeigen, was fehlt. Im Fußball nennen sie es „Geisterspiele“…
Da schickt mir meine Mutter ein Bild: Die Nachbarin hat geklingelt und ihr ein Essen vor die Tür gestellt. Sie gönnt sich ein Glas Wein. Zwanzig Minuten später ein leerer Teller. „War lecker!“
Geht doch! Das Mahl – allein und doch füreinander – miteinander.
Wir werden uns umstellen. Vieles wird anders. Wahrscheinlich wird es noch ein ganzes Stück schlimmer. Aber wir können lernen, zusammenzuhalten, auch wenn wir „alleiner“ leben müssen.
Ich hab sie mal gefragt, wie sie die Bombennächte im Keller in Mainz als sechsjähriges Kind überstanden hat. „Wir haben gebetet. Und wir haben viel Quatsch gemacht.“
Humor und Gottvertrauen, na denn.
Und jetzt fahre ich in Seniorenheime in unserer Pfarrei und gebe unsere Briefe an BewohnerInnen und MitarbeiterInnen ab. Die haben es schwer. DA brennt die Hütte.
Ich dagegen werde Zeit haben, einen großen Spaziergang zu machen und einige „Fünf-Meter-Fenster-Gespräche“ zu führen.
Gründonnerstag 2020. Ich freu mich auf Ostern. Ich sehne mich nach Auferstehung!
Martina Kissel-Staude