Best of 2025
Musik, die Sie 2025 verpasst haben
Traditionell an dieser Stelle: drei Alben, die im Jahr 2025 in keinen der Musiktipps gepasst haben, aber auf keinen Fall überhört werden sollten
Musiktipps
pr
Tim Wegner
30.12.2025
5Min

Es gibt sooo viel neue Musik jedes Jahr – und so wenig Platz jeden Monat in dieser Kolumne. Und es gibt so viele Gründe, warum es ein Album nicht in die Musiktipps schafft: Es passt thematisch nicht zu den anderen, ist zu früh oder zu spät erschienen, um noch vor Redaktionsschluss berücksichtigt werden zu können, ist der Musik oder dem Thema aus der letzten Ausgabe zu ähnlich, erscheint zum Dezember (ist aber kein Weihnachtsalbum) und, und, und … Aber an einer Sache liegt es oft nicht: dass es nicht gut genug ist, um empfohlen zu werden. Deswegen sollen an dieser Stelle – wie jedes Jahr zum Jahreswechsel – wenigstens drei unbedingt hörenswerte Alben vorgestellt werden, die hier bisher nicht zum Zuge kamen.

Auf dem Weg ins Glück

Das erste davon heißt "Road To Happiness". Und beim Hören wähnt man sich durchaus auf dem Weg ins Glück. Perfekt temperierter, tanzbarer und harmonischer Pop hebt die Stimmung. Kleine Song-Meisterwerke, verpackt in einen warmen Sound, der nach Sixties, Northern Soul und schlauem 80er-Pop klingt.

Ein bisschen Carpenters oder Beatles, ein bisschen Prefab Sprout, ein bisschen James und hin und wieder etwas "Daft Punk meets Everything But The Girl", wie das Label selbst schreibt. Dabei klangen die aus Manchester stammenden Postpunk-Veteranen von Dislocation Dance nicht immer so. Als er Ende der 70er Jahre die Formation gründete, schrieb Bassist Paul Emmerson in seiner Annonce, mit der er die weiteren Bandmitglieder suchte, dass er Funk, Soul, Kraut- und Psych-Rock sowie eine Menge Jazz mischen wolle.

Nach drei Alben löste sich die Band 1986 auf, nur um knapp 20 Jahre später mit einem neuen Studioalbum überraschend zurückzukehren. Für die nächsten Alben ließ man sich dann aber auch immer mindestens fünf bis sieben Jahre Zeit – Druck war nicht das Ding der Band. Und schon gar nicht das, was man für eine solch ausgefeilt komponierte, geschliffen arrangierte und vor allem zeitlos klingende Musik gebrauchen kann.

Anfang 2025 nun also das siebte Studioalbum (das letzte erschien 2017). Auf dem ist von der Urbesetzung allerdings nur noch Gitarrist und Hauptsongwriter Ian Runacres dabei. Das tut dem Ruf von Dislocation Dance, der immer noch irgendwo zwischen Geheimtipp und Legende herumgeistert, allerdings keinen Abbruch.

Und besonders gut tut dem Ganzen offenbar auch die neue Heimat beim Hamburger Trüffellabel Marina, das nicht zuletzt für besonders gelungenes Grafikdesign und liebevolle Verpackungen bekannt ist. Umso trauriger, dass diese kleine Plattenfirma nun Ende 2025 ihre Aktivitäten einstellt. Schöne Musik, die auch noch besonders schön präsentiert wird, ist offenbar nicht (mehr) ausreichend nachgefragt.

"Road to Happiness" von Dislocation Dance auf Spotify anhören.

Die Mary Poppins der Popmusik

Das Thema Abschied führt auch direkt zum nächsten Album: "International" ist nämlich das dreizehnte und letzte Album der Edelpopper von Saint Etienne. Die Band, die außerhalb der britischen Insel nun wohl ewig ein von etlichen Musikliebhabern kultisch verehrter Geheimtipp bleiben wird, hatte vor Erscheinen des Werks offiziell ihr Karriereende verkündet.

Gegründet wird Saint Etienne von Bob Stanley und Pete Wiggs vor rund 35 Jahren – und nach einem französischen Fußballclub benannt. Sarah Cracknell komplettiert das Trio und verleiht mit ihrer klaren Stimme und einer Extraportion Style dem Projekt den nötigen Glamour. In ihren Songs hört man die Musiksammelleidenschaft der Bandmitglieder deutlich – sie offenbaren einen eklektischen und höchst geschmackvollen Mix aus Stilen wie French- oder Indiepop, Sixties-Beat, Lounge, Electronica und House/Techno, Downbeat und Dub – und immer wieder auch Reminiszenzen an die Beatles und sogar ABBA. Stets scheint eine gewisse Melancholie als Grundierung unter der Musik von Saint Etienne zu liegen, die sie aber mit Uptempo-Beats, strahlenden Synthieflächen und hin und wieder gleißenden Gitarren zum Glitzern bringen.

Lesetipp: Jazzpianist Omer Klein über das Göttliche in der Musik

Der Eröffnungstrack des Albums, "Glad", ist ein Paradebeispiel dafür. Inhaltlich geht es darum, dass man doch recht häufig Gefühle wie Einsamkeit und Trauer mit sich herumträgt. Aber auf "sad" reimt sich eben "glad" – und froh kann man eben werden, wenn man sich zum Beispiel den Sinn für die kleinen Wunder der Natur erhält. Das singt Sarah Cracknell glockenhell, der Beat fängt an zu wirbeln, die hymnische Gitarre setzt ein und schraubt sich in die Höhe – und plötzlich ist Ostern.

Saint Etienne sind in ihren 35 Jahren immer so etwas wie die Mary Poppins der Popmusik gewesen: stilvoll und elegant, unbeirrbar und irgendwie ein bisschen vom Himmel und aus der Zeit gefallen – aber immer bestrebt, mit "einem Löffelchen voll Zucker die bittere Medizin zu versüßen". Und so heißt der letzte Song des letzten Albums nun "The Last Time". Diese Band wird fehlen.

"International" von Saint Etienne auf Spotify anhören.

Harmonische Melange

Wie die beiden vorigen Bands kommt auch der Jazzpianist Alfa Mist aus Großbritannien. Aufgewachsen ist der als Alfa Sekitoleko geborene Musiker im Londoner Bezirk Newham. Dort schien es, so beschreibt er, als hätte man nur die Wahl, Musiker, Sportler oder Krimineller zu werden. Er entschied sich für die erste Variante und bastelte bereits in den Unterrichtspausen auf dem Schulhof Hip-Hop-Stücke. "Das führte dazu, dass ich die Quellen der im Hip-Hop verwendeten Samples hörte. So entdeckte ich andere Musik und fing an, Klavier zu lernen, um diese andere Musik zu verstehen. Schließlich schrieb ich selbst solche Musik wie die in den Samples. (...) Erkundung war der Schlüssel." So erklärt er im Interview mit "Laut.de", wie er schließlich zum Jazz kam.

Die Wurzeln aus Hip-Hop, Rap und Grime hat Alfa Mist nicht gekappt, sie fließen in seine Art, Jazz zu interpretieren, ein – genauso wie Elemente aus R’n’B, Soul und Elektronik. Das aktuelle Album "Roulette" versammelt alle diese Einflüsse und verbindet sie kongenial zu einer dunklen, harmonisch fließenden Melange.

Inhaltlich ist "Roulette" ein Konzeptalbum: Es erzählt von einer Welt in einer dystopischen Zukunft, in der Reinkarnation als wissenschaftlich nachgewiesen gilt. Diese Tatsache nämlich führt zu einer Reihe von Gedankenexperimenten über die Auswirkungen einer solchen Erkenntnis: Eifersucht, Revanche, Determinismus, Rehabilitation – etliche Themenbereiche laden zur Reflexion ein. Und dafür ist auch genug Platz: Jenseits von Raps und Gesangsparts von Alfa Mist und einer Reihe von musikalischen Gästen gibt es viele instrumentale Passagen und Stücke, die sich wunderbar organisch entwickeln, winden und weiterfließen – und Platz lassen für eigene Gedanken.

Es klingt über weite Strecken eine Art entspannter und doch erzählender Late-Night-Jazz aus den Lautsprecherboxen, der düstere Elemente gleichsam in seidig schimmerndes Geschenkpapier verpackt.

"Roulette" von Alfa Mist auf Spotify anhören.

Drei Alben aus dem Jahr 2025 also, die man unbedingt nachhören sollte!

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